Eine Welt am Rande des Nervenzusammenbruchs

Marlene Streeruwitz seziert in ihrem Roman „Nachkommen.“ den Literaturbetrieb – stellvertretend auch für eine Gesellschaft in der Krise

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus Anlass der Buchpreis-Verleihung lädt der Börsenverein des deutschen Buchhandels alljährlich zu einer Gala ein. Und alljährlich pilgert hin, wer im Literaturbetrieb etwas zu gelten hat. Dabei geht es um Bücher, und um Literatur – vor allem aber auch um Celebrity in allen Facetten. Marlene Streeruwitz nimmt dieses hollywoodeske Szenario der Eitelkeiten in ihrem neuen Roman scharf auf’s Korn. Sie schickt ihre jugendliche Heldin Nelia Fehn nach Frankfurt.

Die 20jährige Nelia ist mit ihrem Erstling „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ überraschend auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Eine Chance für sie und ebenso für ihren Verleger Gruhns, der mit seinem Kleinverlag in der finanziellen Bredouille steckt. Auf Nelia wirkt der Betrieb fremd und eigenartig. Alle reden von ihr und ihrem Buch, doch gelesen haben es nur wenige. Ja, was heißt denn „Buch“: Nelia besteht darauf, dass es ein „Roman“ ist. Verleger machen Bücher, sie schreibt Romane. Solchen Missverständnissen begegnet sie allenthalben, sie scheinen geradezu betriebsimmanent bei diesem glamourösen Stelldichein von alten Mackern und jungen Küken.

Die Kluft wird noch vergrößert dadurch, dass Nelia direkt vom Begräbnis ihres Opas aus Wien anreist. Zuhause ist sie eingespannt in eine konflikthafte familiäre Konstellation, in der ihre Mutter eine zentrale Rolle spielt. Dorothea Fehn war bis zu ihrem Tod vor fünf Jahren selbst eine ebenso erfolgreiche wie streitbare Autorin, die in der Literaturszene ihre Spuren hinterlassen hat. Nelia trauert ihrer „Mami“ nach. Ihr Roman ist auch ein Versuch, mit dieser Trauer fertig zu werden. Nach Mamis Tod fand sie Aufnahme bei den Großeltern, obgleich sich die Oma nur schwer damit abfinden konnte, dass Nelia vaterlos aufgewachsen war. Mit dem Opa aber verstand sie sich gut. Nun ist auch er tot.

In Frankfurt macht sich dafür ein anderer Mann erstmals bemerkbar: ihr leiblicher Vater, ein renommierter Literaturprofessor, der die günstige Gelegenheit ergreift, um sich seiner Tochter in Erinnerung zu rufen. Doch bei ihr erzeugt er keine Resonanz, so ist das Fiasko absehbar. Der alte Mann, der Teil der Betriebsschickeria ist, und die junge, gleichermaßen resolute wie verunsicherte Autorin und Tochter – sie finden unmöglich zusammen. Die Preisverleihung und die daran anschließende Buchmesse bilden dafür den adäquaten Rahmen.

Marlene Streeruwitz ist eine Autorin der Zuspitzung. Ihre Satire auf den Literaturbetrieb ist prägnant und zudem lustvoll formuliert. Wer hinter den Figuren und Ereignissen auf die Wirklichkeit schließen will, darf das gerne tun. Doch das Buch erschöpft sich nicht darin, dafür ist Streeruwitz zu gewieft. Es geht ihr um etwas anderes, wofür der Literaturbetrieb bloß symptomatisch steht: eine Welt am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Aufregung verliert sich in Aktivismus und eitlem Getue. Zwischendurch aber drückt offenkundig die Verzweiflung durch.

Die Turbulenzen um den Vater verstärken Nelias emotionales Auf und Ab. Sie schwankt zwischen Heulattacken und trotzigem Mut. Dabei kann sie nicht auf ihren Verleger zählen, der zwar auf „sein bestes Pferd im Stall“ hofft, sie aber nicht ernst zu nehmen versteht. Sie fühlt sich allein gelassen und ausgenutzt. Ungeschminkt, drogenfrei und vegetarisch korrekt stempelt sie sich selbst zur sozialen Außenseiterin, die (nicht nur im Kontext des schillernden Literaturzirkus) etwas farblos und verschlossen wirkt. Ihre äußere Erscheinung weckt Begehren allein dadurch, dass sie jung ist und das Leben noch vor sich hat: eine Projektionsfolie für Hoffnungen und Ressentiments.

Marlene Streeruwitz zeichnet kein idealisiertes Bild der jungen Autorin. Sie ist weder sonderlich selbstbewusst noch beschlagen in ihrer politischen Rhetorik und ihrer Selbstdarstellung. Die Konzentration auf Nelias Perspektive ist deshalb auch ein Wagnis.

Ihre stilistische Vorliebe für kurze Sätze und streng punktierte Rhythmen ist mittlerweile bekannt. Sie wehrt sich mit diesem Mittel gegen den Swing des gepflegten Erzählens und zieht ihm die tastende Aneignung des Textes vor. Dies bleibt ein Markenzeichen, das auch in diesem Roman seine bohrenden Effekte nicht verfehlt. Beispielsweise wenn Marlene Streeruwitz die Preisverleihung mit dem demütigenden Award-System in Kurzsatzkaskaden – gleichsam im Zeitraffer – demontiert und auf den Eklat hinführt.

Stellenweise jedoch liest sich der neue Roman weniger atemlos, streng und schneidend, woran die jugendliche Heldin eine Mitschuld trägt. Die fundamentale politische Kritik klingt aus ihrem Mund zuweilen naiv und oberflächlich. „Ich kritisiere nicht. Ich lehne ab. Ich lehne jede Verantwortung für alle diese Erbschaften ab, mit denen ich belastet werde. Jede Verantwortung“ – klärt sie ihre Position in einem Interview vor Fernsehkameras. Ist es Naivität oder unterstellen wir ihr eine solche, nur weil sie jung und unbescholten ist? Eine Nagelprobe für die Leserinnen und Leser. Auf jeden Fall gibt sich „Nachkommen.“ insgesamt leichter als frühere Bücher – und in der Form versöhnlicher.

Mit den alten Patriarchen der Zunft verbindet Nelia einzig die Wut – doch es ist eine andere Wut, die sie hegt. Nicht gegen junge Autorinnen gerichtet, wie die Suada des Verlegers Umlauf verrät: „Ich mag euch junge Frauen nicht. Ihr glaubt wirklich, für euch gilt gar nichts. Keine Regeln. Nichts. Ihr glaubt wirklich, ihr könnt mit der Welt machen, was ihr wollt.“ Vergessend, dass das Fräuleinwunder ein verlegerischer Hype ist.

Nelias Wut zielt über den erniedrigenden Literaturzirkus und die Superstarshows hinaus. Sie mag keine geharnischten Reden, hinter denen sich Biedermänner vor dem Erschrecken über die Welt verstecken. Sie hat einen Roman geschrieben aus der Optik einer „wütenden Person. Einer sehr wütenden Person, die gegen die Ungerechtigkeiten Sturm lief“, die Geld und Macht erzeugen. In ihren Augen könnte Literatur dagegen helfen: „Das ist doch eine antietatistische Maßnahme. Eine antidatensammlerische Maßnahme … Literatur kann der Person gerecht werden.“ Vielleicht – es ist zumindest den Versuch wert.

Auch wenn sie dezidiert verneint, eine „Feministin“ zu sein – „Dafür müsste ich heute sechzig Jahre alt sein“ – so würde sich Nelia nie mehr „aus der Möglichkeit des Erscheinens wieder in das Schweigen. Das aufgetragene Schweigen“ verstoßen lassen, wie es die Feministin Marlene Streeruwitz, Jahrgang 1950, in ihren Poetikvorlesungen 1998 formuliert hat.

Sie kennt diesen Betrieb bestens, von dem sie erzählt. 2011 stand sie mit dem Roman „Schmerzmacherin“ auf der Shortlist des Buchpreises, ohne zu gewinnen. Ihr eigenes Debüt allerdings, den Roman „Verführungen“, veröffentlichte sie 1996 nicht als jugendliche Autorin. Sie war damals doppelt so alt wie Nelia.

Diese gewitzte Spiegelung findet demnächst eine Fortsetzung mit ihrem neuen Roman, der zugleich das beschriebene Debüt ihrer Heldin Nelia Fehn ist. Wer sonst als Marlene Streeruwitz sollte den frischesten Erstling des Herbstes vorlegen. Allerdings, Ironie der Geschichte: Auf die Longlist 2014 hat es nicht Nelia Fehn geschafft, sondern das sarkastische Original, der Roman „Nachkommen.“.

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Nachkommen. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014.
432 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100744456

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