Staat, Politik und die Selbstsorge

Drei wichtige Werke von Michel Foucault, Pierre Bourdieu und Alain Badiou sind jetzt in deutscher Übersetzung erschienen

Von Dieter KaltwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Kaltwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der französische Typus des Philosophierens habe eine Form von öffentlichem Vernunftgebrauch geprägt, die eine „tiefe Liaison mit der Literatur“ eingegangen sei, betonte Peter Sloterdijk einmal. Dass sprachliche Eleganz nicht gleichzusetzen ist mit mangelnder Systematik und Logizität des Denkens, darauf muss hierzulande hin und wieder hingewiesen werden.

So hat auch Alain Badiou, allerdings mit subtil-ironischer Note, beschrieben, wie sehr sich „die französischen Philosophen von der deutschen Sprache, dem deutschen Denken eingeschüchtert fühlen“. Der 77-jährige Badiou zählt zu den bedeutendsten französischen Gegenwartsphilosophen – ein marxistisch orientierter Denker, der sich auch als Mathematiker und Autor von Dramen und Romanen einen Namen gemacht hat. Jetzt ist, nach sechsjähriger Arbeit, Badious Hauptwerk erschienen. Er hat Platons „Politeia“ („Über den Staat“) übersetzt – allerdings nicht wortgetreu, und dabei hat er die historische Distanz von 2.300 Jahren einfach eingeebnet. In dieser zutiefst zeitgenössischen Platon-Übersetzung finden wir nicht nur TV-Promis neben William Shakespeare und Sigmund Freud wieder – Sokrates´ Schüler Adeimantos wird auch zu „Amantha“, der ersten Frau in Platons eigentlich männlicher Gesprächsrunde – und wenn es um Tyrannei geht, benutzt sie das Wort Faschismus. Philosophie ist für Badiou das Erwachen aus dem „Schlummer der Denkens“, aus der ewigen „Idee des Guten“ wird die „Wahrheit des Kommunismus“, für die es zu leben gilt. Fazit: Ein Platon für Umstürzler.

In den Vorlesungen „Über den Staat“ des großen französischen Soziologen Pierre Bourdieu, die er am Collège de France von 1989 bis 1992 hielt und die nun in deutscher Übersetzung erschienen sind, finden wir vielfältige Bezüge und Diskursanschlüsse zu Max Weber und Émile Durkheim, dem französischen Klassiker der Soziologie. Bourdieu geht in diesen Vorlesungen, die vielleicht sein Hauptwerk in der politischen Soziologie darstellen, auf Webers berühmte Definition des Staates als Monopol der legitimen physischen Gewalt ein, er erweitert sie jedoch auf alles symbolische Handeln, „um das Monopol der symbolischen Gewalt überhaupt“, das zur Grundlage des Funktionierens staatlicher Institutionen wird. Weber habe gegenüber Marx das Verdienst ,so sagt Bourdieu, die „Humesche Frage“ gestellt zu haben: „Wie kommt es, das die Herrschenden herrschen?“

Hierzu schuf Weber den soziologischen Begriff der „Anerkennung der Legitimität“. Bourdieu sieht dies anders. Für ihn ist diese Anerkennung „ein Erkenntnisakt, der keiner ist: Es ist ein Akt der doxischen Unterwerfung unter die soziale Ordnung.“ Es sind Akte „körperlicher, unbewusster, infrasprachlicher Erkenntnis“. Will man die Anerkennung der staatlichen und sozialen Ordnung verstehen, muss man von diesen inkorporierten, unbewusst gewordenen kognitiven Strukturen ausgehen; ihre Übereinstimmung mit den „objektiven Strukturen“ ist die Grundlegung für die „Einigkeit über den Sinn der Welt, des Glaubens, der Meinung, der doxa, von der Hume sprach“. Bourdieu deutet in seinen Vorlesungen die Politik als „Feld“ innerhalb der Gesellschaft, das genau wie die Sphären der Kunstwelt oder der Wissenschaft seinen eigenen, zuweilen informellen Regeln gehorcht. Die Bürger delegieren durch Wahlen ihre Macht an eine professionelle Schicht, und diese entscheidet fortan in deren Namen. Für den französischen Soziologen kommt das einer Enteignung gleich: Speziell den „Unterklassen“ bleibe nur, „zu schweigen oder andere für sich sprechen zu lassen“.

Michel Foucault hatte von 1970 bis zu seinem Tode im Jahre 1984 am Collège de France den eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme inne. Die Vorlesungen, die Foucault in den Jahren 1979 und 1980 am dort gehalten hat und die nun ebenfalls in deutscher Übersetzung erschienen sind, haben in seinem Werk eine Scharnierfunktion. Nach der Untersuchung der politischen Wahrheitsregime, die im Zentrum der großen Vorlesungen zur „Gouvernementalität“ standen, treten hier nun die „ethischen Wahrheitsregime“, die Selbsttechnologien, in den Mittelpunkt.

Es ist ein Thema, das Foucault bis zu seinem Tod beschäftigt hat. Mit „Die Regierung der Lebenden“ liegen Foucaults erste Untersuchungen zu diesen Fragen der „Ethik und Ästhetik der Existenz“ vor, die in sein Spätwerk münden. Seine letzte Vorlesung 1983/1984, in der Sokrates, die Gründergestalt der europäischen Philosophie, mit den Kynikern konfrontiert wird, den selbsternannten Underdogs des Denkens, sollte mit den von ihm noch ins Manuskript geschriebenen Worten enden: „Aber was ich zum Abschluss hervorheben möchte, ist folgendes: Es gibt keine Einsetzung der Wahrheit ohne eine wesentliche Setzung der Andersheit; die Wahrheit ist nie dasselbe, Wahrheit kann es nur in Form des Jenseits und des anderen Lebens geben.“

Titelbild

Alain Badiou: Platons ›Staat‹.
Übersetzt aus dem Französischen von Heinz Jatho.
Diaphanes Verlag, Zürich 2013.
388 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783037343180

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michel Foucault: Die Regierung der Lebenden. Vorlesungen am Collège de France 1979-1980.
Aus dem Französischen übersetzt von Andrea Hemminger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
400 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783518586082

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Pierre Bourdieu: Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France 1989–1992.
Übersetzt aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
700 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783518585931

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch