Vier Jahrhunderte weibliches Schreiben

Jutta Rosenkranz präsentiert bedeutende europäische Autorinnen

Von Helga ArendRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helga Arend

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jutta Rosenkranz, die Herausgeberin der Mascha-Kaléko-Gesamtausgabe, wendet sich in diesem Band wieder herausragenden Schriftstellerinnen zu. Indem sie Textauszüge ihrer Werke vorstellt, analysiert und in den Kontext ihres Lebens stellt, porträtiert sie eine Auswahl wichtiger weiblicher Literaten aus verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Ländern. Warum die Wahl gerade auf die achtzehn präsentierten Frauen fällt, wird zunächst nicht ausdrücklich begründet; es sind allesamt in ihren Ländern oder international sehr renommierte Autorinnen, deren Texte in den Rang der Weltliteratur gehören. Ihre Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass diese Autorinnen die Hindernisse, die dem weiblichen Schreiben entgegengesetzt wurden, mit einem Gefühl für ihre individuelle Freiheit und dem Wunsch, diese zu verteidigen und durchzusetzen, überwanden. Insgesamt ist auch eine Tendenz erkennbar, der Lyrik einen größeren Raum zu geben. Lediglich von vier Autorinnen werden keine Gedichte zitiert.

Louise Labé, einer französischen Dichterin der Renaissance, ist das erste Porträt gewidmet. Sie stellt in ihren Sonetten die Liebe aus der Perspektive der Frau dar und kämpft als gebildete Salondame um das Recht, als Frau in Literatur und Wissenschaft ihren Beitrag leisten zu dürfen. Obwohl in der Rezeptionsgeschichte immer wieder betont wird, dass ihre Texte mehr auf Gefühl als auf Können beruhen, werden ihre Gedichte von Rilke und Zech ins Deutsche übertragen und es fehlt in keiner französischen Anthologie eines ihre Sonette. Die Porträts zeigen immer wieder selbstbewusste Autorinnen, die um einen Ort, an dem sie schreiben, und um Zeit für das Schreiben kämpfen müssen. Bettine von Arnim wird von ihrer Rolle als Versorgerin eines großen Haushalts schier erdrückt, so dass eines ihrer größten Probleme darin besteht, neben der Last der Alltagsprobleme noch Zeit zum Schreiben zu erübrigen. Erst nach dem Tode ihres Mannes publiziert sie ihr erstes Buch. Die Unabhängigkeit der Frau und die Möglichkeit, die eigene Individualität zu leben, sind die Themen, mit denen sich die beschriebenen Schriftstellerinnen immer wieder auseinandersetzen beziehungsweise zu denen sie Stellung beziehen müssen, weil sie ihre eigenen Wege gehen. So erlebt auch George Sand die Phase, in der sie anfängt, für sich selbst zu sorgen, als die produktivste Zeit.

Während das Werk von George Sand auch heute noch seinen Stellenwert in der Weltliteratur behauptet, sind Dichterinnen, wie zum Beispiel Elizabeth Barrett-Browning, von der Nachwelt vernachlässigt worden. Obwohl sie zu Lebzeiten sehr berühmt war und ein umfangreiches Werk hinterlassen hat, sind heute nur noch ihre Liebesgedichte bekannt. Die in Schweden und Finnland ausgesprochen berühmte Edith Södergran ist trotz der Übersetzungen von Nelly Sachs in anderen Ländern fast unbekannt geblieben. Häufig stellt es schon ein Problem dar, dass schreibende Frauen kein eigenes Zimmer haben, in dem sie arbeiten können; in den Werken von Marlen Haushofer und Virginia Woolf wird das zum Thema. Die eigenen schriftstellerischen Interessen werden häufig zugunsten der Familie oder des Mannes zurückgestellt. Während Marlen Haushofer die Verwaltungsarbeit in der Praxis ihres Mannes verrichtet, muss Mascha Kaléko, die als Jüdin in die USA emigrierte, für den Unterhalt der Familie und für das Management ihres Mannes sorgen. Diesen Frauen gelingt es, die von ihnen erwarteten Rollen auszufüllen und darüber hinaus noch in ihrer selbst gewählten Berufung zu glänzen. Das Schreiben lässt sie einen Freiraum für ihre Identität entwickeln, sodass sie sich in zwei unterschiedlichen Welten bewegen. Ingeborg Drewitz engagiert sich sogar zusätzlich zum Hausfrauendasein und zur Schriftstellerei intensiv in verschiedenen sozialen Organisationen.

Schriftstellerinnen, wie Ingeborg Bachmann, Sylvia Plath und Sarah Kane, aber können sich nicht damit abfinden, zwischen diesen unterschiedlichen Welten zerrieben zu werden, sie werden depressiv und neigen zu Suizidgedanken, die Plath und Kane dann letztlich auch umsetzen. Am Ende des Buches wird dann deutlich, warum gerade die ausgewählten Schriftstellerinnen in diesen achtzehn äußerst beeindruckenden kurzen Porträts vorgestellt werden: Das Schicksal der porträtierten schreibenden Frauen in einem Zeitraum vom 16. bis zum 20. Jahrhundert ähnelt sich in vielen Facetten. In 400 Jahren haben sich die zentralen Probleme weiblicher Autoren nicht grundlegend geändert. Faszinierend stellt Jutta Rosenkranz dar, dass trotz dieser Hindernisse Frauen immer wieder Werke schaffen, die zur Weltliteratur gehören, und sich ihre Werke trotz einer schwierigen Rezeptionsgeschichte durchsetzen können. Das Buch kann auch als Leseanreiz dafür stehen, diese wunderbaren Werke der achtzehn ausgewählten Frauen zu lesen. Zur weiteren Beschäftigung mit diesen Autorinnen wird am Schluss eine kleine Auswahlbibliografie gegeben, die den Leser beziehungsweise die Leserin an die wichtigsten Texte heranführt.

Alles in allem verführen die kurzen Porträts zum weiteren Lesen der vorgestellten Werke. Der Band als Ganzes aber rückt die Probleme weiblichen Schreibens in den Mittelpunkt, indem die Auflistung der Schwierigkeiten verdeutlicht, welche immer gleichen Erwartungshaltungen an weibliche Biografien der kreativen Entfaltung der Schriftstellerinnen entgegentreten.

Titelbild

Jutta Rosenkranz: Zeile für Zeile mein Paradies. Bedeutende Schriftstellerinnen ; 18 Porträts.
Piper Verlag, München ; Zürich 2014.
352 Seiten, 10,99 EUR.
ISBN-13: 9783492305150

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