Vernetzte Gemeinschaften

Der digitale Wandel schafft neue Räume und fordert neue kulturelle Kompetenzen, wie Sigrid Meßner, Oliver Ruf und weitere 30 Autoren im Band „Organisierte Phantasie“ aufzeigen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Welt dreht sich mit dem Medienwandel in rasanter Geschwindigkeit. Was gestern zeitgemäß war, fällt heute ins Reich der Geschichtsschreibung. Währenddessen – und im Grunde auch nicht verwunderlich – bleibt vieles beharrlich gleich, über Jahre, ja Generationen hinweg. In dieser Zange ist die Literatur gefangen: Sie ist einerseits Repräsentantin der alten Buchkultur und andererseits bedroht durch die Instabilität, der die Schrift im anbrechenden digitalen Zeitalter unterworfen ist.

Eine der kennzeichnenden (Medien-)Gesten dieses Zeitalters ist das Wischen. Auf Smartphones und Tablet-Computer wischen wir Fragen weg und Angebote heran. Das Schreiben wird taktil und verliert jegliche Kraftaufwendung, wie sie minimal noch bei der Tastatur vorhanden ist. Oliver Ruf, Professor für Medienästhetik an der Universität Furtwangen, widmet dieser „geradezu kulturverändernden Art der Bewegungssensitivität“ einen langen Essay.

Er unternimmt den Versuch, Schreiben und neue Medien in ihrem Zusammenspiel wechselseitig zu bestimmen, wobei dem Wischen eine besondere Bedeutung zukommt. Er geht von der Geste des Schreibens aus, die nebst anderen auch Vilém Flusser näher definiert: „Die Geste des Schreibens ist eine Geste der Arbeit, dank derer Gedanken in Form von Texten realisiert werden.“ Mit Rückgriff auf medientheoretische Überlegungen, die von Michel Foucault und Jaques Derrida bis Friedrich Kittler reichen, die neueste Forschung mit inbegriffen, skizziert Ruf den durch neue mediale Realitäten bestimmten Wandel des Schreibens und im Schreiben.

Die neuen Medien zeitigen neue Praktiken des Schreibens, die wiederum neue Texte erzeugen. Schreiben am Smartphone oder Tablet-Computer geschieht taktiler als mit Griffel oder Schreibmaschine: es ist ein unmittelbarer Eingriff in den Text. Das instrumentelle Handwerk mutiert bei der „digitalen“ Oberfläche (digitus = Finger) zu einem eigentlichen „Fingerwerk“. Die Bewegungen der Finger werden direkt in Sprache umgewandelt, wobei die taktile Bewegung vervollständigt wird von dunklen Vorgängen im Innern der softwaregesteuerten Prozessoren. Exemplarisch wird dies bei der Swype-Technik: die Finger wischen ohne abzusetzen über die virtuelle Tastatur auf der Oberfläche des Tablets oder Smartphones, eine Linie beschreibend, die unterschwellig analysiert und in Worte übersetzt wird, als ob eine „unsichtbare Hand“ mitschriebe. Wer ist hier womit verknüpft, lautet die Frage. Mit Verweis auf die Definition von Marshall McLuhan, wonach Medien eine Extension des menschlichen Körpers darstellen – oder umgekehrt, schreibt Ruf: „Die Buchstaben werden geschrieben, als ob sie getippt wären. Sie sind jedoch gewischt. Das ist er, der Clou des ,bewegten‘ Schreibens, der den Körper ins (virtuelle) Gehäuse des Mediums sperrt.“

Dieses „bewegte Schreiben“ verortet Ruf diskursiv in die verschiedensten Richtungen, eingedenk Nietzsches Diktum in einem Brief an Heinrich Köselitz: „Sie haben recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ Im Zentrum steht dabei aber weniger die neue Praxis als ihre Herleitung aus dem medientheoretischen Feld. Besonderes Augenmerk wird aufs Design gelegt. In der Geste des Entwerfens (projeter) liegt die Entwurfsskizze, die im disegno der Renaissance eine erste Aufwertung erfuhr. Im modernen Design konzentrieren sich heute Erscheinen wie Verschwinden der Dinge und ebenso des (digitalen) Schreibens. Ruf bezieht sich auf die modischen Design Studies, in deren Kontext, so Ruf, „eine Reihe von Arbeiten das ‚Schreiben‘ als Verfahren sowohl der (Selbst-)Aufzeichnung wie der Konstruktion und des Entwurfs untersucht“ und „in seiner insbesondere prozesshaften Erscheinung als Schriftform betrachtet“ wird.

Seinen Essay verknüpft der Autor eng mit zahlreichen theoretischen Arbeiten, was sich im akribischen Anmerkungsapparat und in der ausführlichen Bibliografie ausdrückt – mehr als einen Drittel des Buches einnehmend. Diese Fülle, die im Apparat bestens aufgehoben ist, schwappt freilich etwas überorchestriert in den Text zurück, mit dem Effekt, dass die gedankliche Kohärenz mitunter mehr verstellt als herausgestellt wird – eine universitäre Geste.

Wir sind umgeben von Diskursen, schreibt Raymond Federman – weshalb unserer (Schreib-)Kultur unweigerlich etwas Plagiaristisches innewohnt. Es macht mitunter den Anschein, dass Oliver Ruf diesen Verdacht von sich schieben will, indem er jede begriffliche Regung im Text selbst absichert. Der plagiaristischen Falle entkommt er dennoch nicht, weil sie, gewissermaßen „gespenstisch“, jedem Text einbeschrieben ist. Theoretische Texte brauchen nicht leicht zugänglich zu sein, stellenweise aber macht es dieses Buch dem Leser schwerer als nötig.

Medientheorie bewegt sich ausgeprägt in einem selbstreferenziellen Feld. Die von Oliver Ruf mit Rückgriff auf Foucault aufgebrachte Frage nach dem Charakter des Schreibens als „lineares“, erzählendes oder als „kreisförmiges“, mithin „notierendes Schreiben“ findet ganz praktische Anwendung in den Autorenforen, denen Sigrid Meßner eine aufschlussreiche Arbeit gewidmet hat.

Bevor die digitalen Texte auf Tablets hin und her gewischt wurden, mussten sie für den Computer programmiert werden. Das liegt die relativ kurze Spanne von inzwischen zwei Jahrzehnten zurück und mutet doch wie eine Reminiszenz an ferne Zeiten an. Mitte der 1990er-Jahre flackerte für kurze Zeit eine Bewegung auf, die den Computer und das Internet als literarisch künstlerische Medien entdeckte. Das war aufregend und spannend, nicht zuletzt darum, weil dem behäbigen traditionellen Literaturbetrieb eine Gegenkraft zu erwachsen schien, deren Vektoren in die Zukunft gerichtet waren. Diese „Hyperfiction“ verblasste zwar relativ schnell wieder, doch nur um ein paar Jahre später unter technologisch neuen Bedingungen in der Geste des Wischens zurückzukehren. Das literarische Bindeglied zwischen erster und zweiter Digitalliteratur bilden die Autorenforen.

In einem ersten Teil ihrer Arbeit ruft Sigrid Meßner den medial-literarischen Kontext der 1990er-Jahre in Erinnerung. Im Schatten des Literaturbetriebs und von diesem eher scheel beobachtet machten sich Autoren-Programmierer daran, die neuen medialen Möglichkeiten auszuloten. Unterstützt wurden sie von theoretischen Ansätzen, die das neue Feld auch begrifflich abzustecken versuchten. Vielfalt regierte vor Einigkeit. Begrifflich firmierte die neue Literatur unter Hyperfiction, Netzliteratur, Literatur im Netz, Hypermedia, je nachdem – ein „System ohne General“, wie eine Publikation damals im Titel anregte.

In diesem Umfeld wurden 1999 drei Projekte ins Leben gerufen, die auf unterschiedliche Weise die Utopie einer Autorencommunity erproben wollten. „Null“ (1999) war als einjähriges Experiment zur Jahrtausendwende angelegt, das von Thomas Hettche begründet eine Reihe arrivierter Autoren zur Teilnahme bewog. „Pool“ (1999–2001) versammelte die Garde der jüngeren Pop-Generation um einen Text-Pool und einen Kommentar-Loop, der „das Lebensgefühl einer literarischen Strömung“ repräsentierte. Das „Forum der Dreizehn“ (1999 bis heute) schließlich entstand aus dem Kreis eines Autorenstipendiums und entwickelte sich allmählich zu einem freien Publikations- und Experimentierfeld für junge Autoren.

Sigrid Meßner protokolliert – anhand der oft nurmehr schwer aufrufbaren archivierten Webseiten – den Fortgang der drei Autorenforen, situiert ihre Konzepte und dokumentiert die Probleme, die fast zwangsläufig im Spannungsfeld von Gruppenerfahrung und Individualität auftreten mussten. Vorab diese Teile heben ihre Arbeit über die historische Betrachtung hinaus und lassen Rückschlüsse auf aktuelle oder gegenwärtige Konzepte zu. Während „Null“ in seiner Konzeption einigermaßen konsistent wirkte – Autoren verfassen kürzere Texte und beziehen sich hin und wieder aufeinander –, herrschte im „Pool“ der jüngeren Autoren mehr Dynamik. Insbesondere die Kommentarfunktion führte zu erheblichen Friktionen, weil darin nebst sachlicher Kritik auch verbale Rundumschläge geäußert wurden. Dies führte 2000 zu einer Neukonzeption, die eine Anonymisierung der Beiträge vorsah. Mit wenig Erfolg: „Das anonyme Schreiben führte in erster Linie zu Verwirrung und brachte keine neuen Impulse“, bemerkt Meßner. Mit dem Wegfall der Namen erlahmte auch das Interesse der Leserschaft.

Wegen der langen Laufdauer hat das „Forum der Dreizehn“ mehrere solcher Umbrüche erlebt, mit dem Effekt, dass von der anfänglichen Idee eines geschlossenen Forums nichts mehr übrig geblieben ist. Abschottung und Öffentlichkeit vertragen sich im Internet schlecht. Sigrid Meßner hat das „Forum“ über die Jahre hinweg untersucht und konstatiert ähnliche Probleme wie beim „Pool“. Allerdings gab es Phasen, in denen mangels öffentlicher Aufmerksamkeit die Kommentarebene „zunehmend zu einem Ort für Werkstattgespräche“ wurde.

Die interessantesten Resultate zeitigt Meßners Studie zu Aspekten der individuellen Schreibhaltung. Sie hat eine Vielzahl von Gesprächen mit involvierten Autoren und Autorinnen geführt, welche Aufschlüsse über die Schwierigkeit geben, fürs Netz zu schreiben – nicht allein wegen technischer Hürden. Zum einen geht es um die unité de doctrine. Wie finden unterschiedliche Autoren in einem gemeinsamen Forum zusammen? Wollen sie poetologische Debatten führen oder eigene Texte kritisch gegenlesen? Und wie sollen die Texte beschaffen sein: in sich abgeschlossen und fertig, oder offen als Notiz und Entwurf? Norbert Niemann hält fest, dass aufgrund der medialen Beobachtung klar geworden sei, dass ein online-Text „in einer gewissen Weise auch ein gedruckter Text ist, für den man auch stehen muss“. Wo aber bleibt hier das Experiment?

Fundiert in der historischen Aufarbeitung und zuweilen etwas redundant in der spezifischen Textanalyse präsentiert Sigrid Meßner in diesem Bereich interessante Aspekte des online-Schreibens. Auf dem Grat zwischen textueller Stillstellung und medialer Flüchtigkeit ist es nicht leicht, die eigenen Texte zu verorten. Jeder musste persönlich eine Lösung finden, beispielsweise Jörg Meyer: „Meine Handschrift verliert sich. Ich kann schneller tippen als schreiben.“ Mit dem Nachklang: schneller tippen als erzählen und komponieren?

Ein anderer Aspekt betrifft das experimentelle Potenzial. Es wird schnell ersichtlich, dass sich online-Experimente auf dem Tummelfeld der beobachteten Foren stark an historische Vorbilder wie OULIPO oder die Stuttgarter Schule anlehnen. Diese bleiben auch unter digitalen Vorzeichen eine unübertroffene Referenz.

Meßners Studie ist 2012 erschienen. Sie hat Gültigkeit bewahrt, was die individuellen Schreibprofile anbelangt. Der persönliche Weblog, der die Community zumindest konkurrenziert, ist darin bereits angelegt. Verbessert hat sich in der Zwischenzeit die Medientechnologie und die Lesbarkeit an den digitalen Geräten. Kommt hinzu, dass der Medienwandel vom Buch zum eBook allmählich fortschreitet. Was notwendig ist in diesem Prozess, sind Gütesiegel, Lektorate und eine Verbesserung der prekären Verdienstmöglichkeiten, dann werden auch Autorenforen einen neuen Aufschwung nehmen.

Hinter den Autorenforen öffnen sich weite(re) Räume. Ein Sammelband gibt Einblicke in die „Medienwelten im 21. Jahrhundert“. Der Band ist eine Verbeugung vor Adolf Grimme, dessen Medienpreis vor 50 Jahren, 1964, erstmals verliehen wurde – notabene zu einer Zeit, wie die Herausgeber Jochen Hörisch und Uwe Kammann betonen, als Handy, PC, Smartphone et cetera weder begrifflich noch materiell auch nur erahnbar waren. 30 Positionen von renommierten Fachleuten öffnen Medienräume und umreißen „eine Gleichzeitigkeit des Disparaten mit einer unendlichen Zahl an Facetten und Richtungen“. Der Titel „Organisierte Phantasie“ erinnert an einen sokratischen Dialog von Paul Valéry, „L’Âme et la Danse“ (1923), in dem es wörtlich heißt: „Sind wir nicht eine organisierte Phantasie? Und ist unser lebendiges System nicht eine funktionierende Inkohärenz, eine Unordnung, die handelt? … Was für eine Kakophonie von Ursachen und Wirkung!“ Das anregende Motto könnte dem Buch voranstehen.

Als Start empfiehlt sich der Schluss: Peter Weibels Notizen „Medien als Weltentwurf“, in dem auch Oliver Rufs Essay nachklingt. Weibel skizziert in schnellen Schritten die Mediengeschichte vom Material über die Schrift zur Utopie einer „Plurität von möglichen Welten“, um beim in die Zukunft gerichteten Kapitel „Medien des Multiversums“ mit einem „…“ demütig zu schweigen. Im Zentrum dieses Grundrisses steht ein Bild, das metaphorisch für die Medienrevolution stehen kann: „Aus dem Fenster (eine Art natürlicher Bildschirm) blickend, sah ich den Mond, weit entfernt und immens verkleinert, und gleichzeitig sah ich auf dem TV-Schirm eine riesige Vergrößerung eines winzigen Teiles ebendieses Mondes.“ Anwesenheit und Abwesenheit, Nähe und Distanz, Mikro- und Makrokosmos, Hardware und Software … alles steckt da mit drin – auch einige der Positionen in diesem Band.

Für Medien gelte die Unschuldsvermutung, halten die Herausgeber mit Berufung auf den Preisstifter Grimme eingangs fest: „Ihm war deutlich, dass der Buchdruck sich mit der Bergpredigt, aber auch mit ‚Mein Kampf‘ verträgt“. Daran halten sich die Autoren und Autorinnen, mal mit Vorsicht, mal mit Weitblick kritisch abwägend. Zur Kürze verpflichtet, lassen sie sich, so der Ethnologe Christoph Antweiler, auf „das Abenteuer im Feld der Popularisierung“ ein, ohne die „der Vorsicht geschuldeten Formulierungen“.

Die 30 Positionen thematisieren aus unterschiedlicher Warte Fragen der Vernetzung, der Narration, des Konsums, der Information und der medialen Einflüsse auf die Gesellschaft. Digitalisierung und Internet haben innert kürzester Zeit die Welt verändert. Durch die globale Vernetzung sind die Menschen voneinander abgerückt und einander näher gekommen. Monopole wurden aufgesprengt und haben einer unübersichtlichen Fülle Platz gemacht. Die authentische Erfahrung weicht der kreativen Simulation. Das eröffnet Potenziale und Chancen, birgt aber zugleich Risiken und Gefahren. Auf der einen Seite drohen Entwertung und Partikularisierung, worin, wie Uwe Kammann entgegenhält, auch eine Stärke innewohnt: „nämlich ohne innere Restriktionen, ohne falsche Rücksichtnahmen, ohne institutionelle Einengungen publizieren zu können“. Dabei nehmen, wie Norbert Bolz ausführt, Netzwerke und Bindungen einen zentralen Stellenwert ein. Im Link steckt der Wert des Netzwerks, allerdings kommt es dabei, überraschenderweise, weniger auf die starken Bindungen („strong ties“) an, die zu enger Cliquenbildung neigen, als auf die schwachen Bindungen („weak ties“). Sie lassen neue Informationen durch und verlinken entfernte Bekannte. Solche „Strukturlücken“ zeichnen das Netz aus. Vieles ist dabei eine Generationenfrage. Digital Natives werden sich mit den neuen Gegebenheiten leichter und kreativer abfinden. Gerhard Vowe stellt das anhand der Gruppe der „Digital Citizens“ fest, die sich intensiv über die neuen Kanäle politisch artikulieren und die politische Diskussion der nahen Zukunft prägen werden.

Wie lässt sich dabei eine Orientierung finden, lautet eine der Kardinalfragen. Die Narration als gemeinschaftsbildendes Phänomen bietet einen Denkweg an, dem hier nachgegangen wird. In der Skandalisierung (als „unentbehrliches Mittel der moralischen und politischen Meinungsbildung“, so Sloterdijk), in der Katastrophe (Stichwort 9/11) oder in der Sporterzählung werden Emotionen transportiert, die von einer „imaginären Gemeinschaft“ rezipiert und nachempfunden werden. „Kulturen sind Erzählgemeinschaften“, schreibt Peter W. Marx, ihre Narrative haben „das Potenzial zur kollektiven Identifikation“. Dies impliziert freilich auch Gefahren, etwa im unhinterfragten „Rudelverhalten“ (Klaus Staeck) der politischen Medien auf der Jagd nach denselben dünn gesäten Top-News. Dem hält Stephan Weichert die Diversität sozialer Netzwerke entgegen, doch mit gebotener Skepsis. Der „digitale Sofortismus“ beinhaltet auch Gefahren des Leerlaufs und der anonymen Beschimpfung, die aber nicht nur dem Netz angelastet werden können. Weichert formuliert das tiefer liegende Problem, „wie die Ur-Prinzipien einer sportlichen und fairen Kontroverse überhaupt rekultiviert werden können“. Demokratie und Zivilisation sind ein dünner Firnis über der Barbarei.

Aus der Tradition des Grimme-Preises stammt der spezielle Stellenwert des Fernsehens in diesem Band, dessen Geschichte eine Linie aus dem öffentlich-rechtlichen Monopol in den unübersichtlichen Kabelsalat zeichnet. In mehrerer Hinsicht findet sich darin die Partikularisierung durch das Internet vorweggenommen. Norbert Schneider (über Medienkritik), Olaf Zimmermann (Massenmedium und Kultur), Barbara Sichtermann (Geschlechterverhältnisse) und andere beleuchten Aspekte des Mediums Fernsehen im Laufe der Zeit.

Johanna Haberer schaut auf Netzphänomene aus der Perspektive einer christlichen Ethik und hält der ebenso trivialen wir totalitären heilsgeschichtlichen Erwartung, wie sie der Google-Chariman Eric Schmidt sein Unternehmen betreffend formuliert hat, das „Recht auf ein Geheimnis“ entgegen. Friedrich Krotz ergänzt, indem er die herrschende „Beziehungsindustrie“ vom Standpunkt der permanenten Ökonomisierung aus kritisiert. Ein „immer mehr marktförmig funktionierendes Internet, das die Menschen manipuliert, beeinflusst und kontrolliert,“ ist ein „Unding“. Mit Rückgriff auf die Kommunikationsguerilla schlägt er vor, über Alternativen nachzudenken, die das Netz wieder der Zivilgesellschaft zurück geben.

30 Positionen bilden die mediale Wirklichkeit nicht ab, aber sie geben gute Anregungen, um erstens die uns umgebende mediale Wirklichkeit genauer zu sehen und um sie zweitens selbst weiter zu denken. Es ist eine der wichtigen Errungenschaften des Netzes: die Partizipation steht allen offen.

Titelbild

Sigrid Meßner: Literarisch vernetzt. Autorenforen im Internet als neue Form von literarischer Öffentlichkeit.
Thelem Universitätsverlag, Dresden 2012.
248 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783942411585

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Oliver Ruf: Wischen und Schreiben. Von Mediengesten zum digitalen Text.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2013.
163 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783865992178

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Titelbild

Jochen Hörisch / Uwe Kammann (Hg.): Organisierte Phantasie. Medienwelten im 21. Jahrhundert - 30 Positionen.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014.
302 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770556991

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