Kurzes Glück aus Norwegen

Mit „Wider die Natur“ liegt das zweite Werk des norwegischen Schriftstellers Tomas Espedal in deutscher Sprache vor

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn in diesen Tagen im Feuilleton von norwegischer Literatur die Rede ist, bleibt ein Schriftsteller selten unerwähnt: Karl Ove Knausgård. Dessen sechsbändige autobiografische Romanreihe mit dem Titel „Min Kamp“ sorgt weltweit für Aufsehen. Auch Tomas Espedals Buch „Wider die Natur“ ist keine Knausgård-freie Zone, denn schon aus der Kurzbiografie Espedals auf der Umschlaginnenseite erfährt der Leser, dass der Autor und Knausgård Freunde sind. Was man an dieser Stelle noch als überflüssige Information zur Kenntnis nimmt, wird innerhalb des Romans – wenn sich Espedals Schreiben tatsächlich dieser Gattung zurechnen lässt – expliziter: Da lesen die Figuren einen der Knausgård-Bände und staunen darüber, was der Autor sich darin alles zu Erzählen traut.

Doch Espedals Schreiben steht diesem Wagnis in nichts nach, im Gegenteil: Lebenserinnerungen sind es, die in „Wider die Natur“ eingerahmt werden von der ganz großen Geschichte, die mit einem Knall in das Leben des Erzählers bricht. Es ist die Liebe zu Janne, einer viel jüngeren Frau, die für Espedals Alter Ego von höchster Bedeutung und Anlass des Erzählens ist. Auf diese Liebe läuft alles hinaus, zumindest aus Sicht des zurückblickenden Erzählers, der schon als junger Mann erfahren hat, worin seine Rolle in den entscheidenden Beziehungen seines Lebens bestehen würde. Die Frauen – und wer auch hierin einen Chauvinismus erkennen möchte, dem ist nicht mehr zu helfen – sind für ihn nahe und ferne Subjekte der Begierde zugleich. Sie sind zwar anwesend, aber nur für den Moment, denn der sich immer schon als alt empfindende Erzähler ist mit fast fünfzig derselbe Mann, der er auch als sechzehnjähriger Fabrikarbeiter gewesen ist. Er ist frei von Jugend, ist wider die Natur. Mit diesem Wissen ist Espedal bestens vertraut: Sein Held also ist immer schon schuldig und immer schon kleiner als die Frau auf der anderen Seite.

Mit Janne, so will es die notwendige Illusion von Dauer, ist er kurzzeitig angekommen und weiß beim ersten Betreten ihrer Wohnung dennoch, dass er schon einmal hier gewesen ist. Denn trotz der Einzigartigkeit, die ihre Beziehung ausmacht, ist alles Fühlen, Wünschen und Leiden doch auch eine Wiederholung der eigenen Geschichte und erst recht derer, die zuvor über die Liebe geschrieben werden. Ihre Beziehung hat begonnen, welch Glück, doch genau in diesem Moment beginnt sie bereits langsam wieder zu verenden. Die große Parabel über Leben und Tod steckt hier in jedem kleinen Satz.

Das Herzstück dieses autobiografischen Romans und Notizbuchs, diesem kleinen Konvolut verschiedener Schreibformen, ist ein fragmentarisches Buch im Buch über das Glück. Denn was könnte kürzer sein, als die Geschichte des Glücks, fragt der Schreibende, der auf den folgenden Seiten einkreisen will, was sich nicht konkret benennen lässt oder was nicht aufs letzte Wort gebracht werden darf, ohne ihm dabei etwas wegzunehmen. Die Geschichte des Glücks wird zu einer Geschichte des Hauses, in dem Janne und er gemeinsam lebten, eine literarische Anschauung der Innenräume, denn das Haus ist eine Schutzzone und das Glück liegt stets innen. Gaston Bachelards „Poetik des Raumes“ klingt an und so verwundert es nicht, dass nach Jannes Auszug ausgerechnet der Keller zum Ort des Rückzugs wird. Stille und Angst erfüllen nun die Luft: das Mädchen ist weg, was bleibt, ist der Tod. Und was kann man gegen den schon tun? Schreiben natürlich – und so sucht der Verlassene nach Worten, die ein Tagebuch, den letzten Teil des Werkes, füllen, womit der Leser endgültig Zeuge davon wird, worin Espedals Wagnis besteht. Denn während Karl Ove Knausgårds Mammutbekenntnisse vor allem nach Wahrheit und allumfassender Deutungshoheit über die eigene Biografie streben, sind es bei Espedal, wie bei Roland Barthes, die ‚Fragmente einer Sprache der Liebe‘, die dieses Buch zu einem poetischen Erlebnis machen, dessen Wahrheit längst feststeht. Ergründen müssen wir hier nichts mehr, lesen sollte man Tomas Espedal dafür aber umso mehr.

Titelbild

Tomas Espedal: Wider die Natur.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt Henkel.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2014.
180 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882211887

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