Neue Facetten und Details

Mit „Goethes Freunde in Gotha und Weimar“ öffnet Sigrid Damm ein eher unbekanntes Kapitel in Goethes Leben

Von Dieter KaltwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Kaltwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Johann Wolfgang von Goethes Lebendigkeit, seine Aktualität und seine Anziehungskraft sind nach wie vor ungebrochen. Jährlich besichtigen über 200.000 Besucher aus aller Welt die Orte seines Wirkens in Weimar, Jena und Gotha. In den drei Städten kann die Vielschichtigkeit Goethes über das rein literarische Schaffen hinaus betrachtet werden: seine politischen Funktionen als Staatsmann und Minister, sein Wirken als Kunstsammler und Förderer der Wissenschaften, seine Freundschaften in den beiden Fürstentümern. Kein anderer deutscher Dichter ist in allen Fasern seiner Existenz so durchleuchtet worden und hat das kollektive Bewusstsein so geprägt wie Goethe. Die Beschäftigung mit Leben und Werk füllt ganze Bibliotheken.

Dass es in Goethes Biografie durchaus noch unbekannte Kapitel gibt, enthüllt die in Gotha geborene und auch dort lebende Schriftstellerin Sigrid Damm auf der Grundlage eigener akribischer Recherchen. Die Literaturwissenschaftlerin ist Autorin zahlreicher Schriften zum „Weimarer Viergestirn“ Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller und Goethe. Nicht zuletzt mit ihren in einem Mix aus Biografie und Fantasie geschriebenen Büchern über Goethes unglücklichen Jugendfreund Jakob Michael Reinhold Lenz und Goethes Ehefrau Christiane erzielte sie große Publikumserfolge.

In ihrem neuen Buch „Goethes Freunde in Gotha und Weimar“ erwähnt sie, dass Goethe bereits als junger Mann dem Gothaer Herzog seine Dienste angeboten hatte. Doch Weimar ist über ein halbes Jahrhundert der Lebensmittelpunkt von Goethe gewesen, die Stadt, mit der sich der Begriff „Weimarer Klassik“ verbindet. Hätte es nicht auch Gotha sein können? Diese Frage stellt Sigrid Damm an den Anfang ihrer Überlegungen und Recherchen. Oft und gerne sei er in Gotha gewesen, an seine Aufenthalte dort würden sich „die reichsten Erinnerungen eines langen Lebens knüpfen“, schreibt der 78-jährige Goethe in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“.

Damm erzählt, wie sich bereits der 19-jährige Student auf Schloss Friedenstein aufhält, von der intensiven Zeit der Freundschaft Goethes zum Gothaer Herzog und dessen Bruder, vom alten Goethe schließlich, dem Besuche und Nachrichten aus Gotha stets willkommen sind, der von Gotha wiederum gerne als Gast gesehen und umworben wird – ob als Dichter, privat oder in diplomatischer Mission. Vor dem Hintergrund von Wirrnissen, Kriegen und der Französischen Revolution, der Übereinstimmung und dem Widerstreit der beiden Fürstenhöfe Gotha und Weimar, öffnet sie ein noch unbekanntes Kapitel in Goethes Biografie und fügt dieser neue Facetten und Details hinzu, die einige Lebensentscheidungen Goethes verständlicher machen.

Da ist vor allem die überstürzt scheinende Reise nach Italien im Jahre 1786, die eine Flucht war vor den erdrückenden Amtslasten und Verpflichtungen in Weimar, die Goethes Schreiben fast völlig zum Erliegen brachten, die Arbeit am „Egmont“ stagnierte seit langem. 1782 schrieb er an Charlotte von Stein: „Von Gotha, wo es mir so weich wie einem Schoßkind ergangen, komme ich hierher, wo mich die Sorgen wie hungrige Löwen anfallen.“ Zuweilen fühlte er sich von beiden Fürstenhöfen geradezu belästigt: „Was das für eine Unruhe in den fürstlichen Gliedern ist. Sie können weder stille sitzen noch andere lassen.“„Nun sag ich noch allen Freunden in Gotha und Weimar ein treues Lebewohl“, heißt es 1787 in einem Brief aus Italien, in dem er beide Fürstenhöfe in einem Zug nennt. „Eure Liebe begleite mich, denn ich möchte ihrer wohl immer bedürfen“, so seine Worte an die fürstlichen Freunde von Weimar und Gotha, deren Gunst sich Goethe erhalten wollte. Der sich im Urlaub befindende Weimarer Minister offerierte, und zwar beiden Fürstenhöfen, seine Dienste: „Es ist denn doch als wenn ich mein Fasanenschiff nirgends als Bei Euch ausladen möchte.“ Dass er es dann in Weimar auslud, lag vor allem an der Weitsichtigkeit und der Großzügigkeit des Weimarer Fürsten Carl August, der dem in Italien weilenden Goethe bis in den Sommer 1788 seine vollen Bezüge weiter bezahlte. Doch vor allem gewährte er Goethe Dispens von den Amtsgeschäften und damit Zeit für seine Dichtkunst und naturwissenschaftlichen Studien. Auch in Gotha, so Damm, war er dann in Geschäften unterwegs, vor allem was die dortigen Kunstsammlungen und die naturwissenschaftlichen Forschungen betrifft. Im Jahre 1826 kam es zu größeren Streitigkeiten mit Gothaer Buchverlegern, die einen Nachdruck seiner Werke planten. Bei Goethe ist vom „Gothaer Räuberpack“ die Rede. Sein Neffe Alfred Nicolovius schritt ein und der Nachdruck wurde letztlich verhindert. Diese Auseinandersetzung war Goethes letzte in seinem lebenslangen Kampf gegen die Raubdrucke seiner Werke.

Im Alter, nach dem Tode Carl Augusts im Jahre 1828, als sich die Reihen der Freunde lichteten, zog sich Goethe immer öfter auf die Dornburger Schlösser hoch über der Saale zurück. Die großen Altersgedichte entstanden: „Dem aufgehenden Vollmonde“ mit den Schlusszeilen: „Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller, / Überselig ist die Nacht.“ Als er 1830 die Nachricht vom frühen Tode seines Sohnes erhielt, zog er sich immer mehr zurück in seine „Klosterzelle“ am Weimarer Frauenplan, arbeitete am zweiten Teil des „Faust“ und an der „Ausgabe letzter Hand“ seiner Werke. Letzte Kapitel eines singulären Dichterlebens.

Mit Sigrid Damms neuem Goethe-Buch wird der Blick für ein Kapitel aus Goethes Leben geschärft, das bedeutsam genug ist für sein politisches und wissenschaftliches Wirken wie auch sein literarisches Werk. Es mag schon erstaunen, dass es bislang eher am Rande der Forschung blieb. Wir können der Autorin und Goethe-Kennerin nicht genug dafür danken, uns diese Lebensabschnitte mit ihrem großen erzählerischen Vermögen wieder näher gerückt zu haben.

Titelbild

Sigrid Damm: Goethes Freunde in Gotha und Weimar.
Insel Verlag, Berlin 2014.
239 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783458176114

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