Wo Psychologie und Politik verschwimmen

José Brunner betrachtet „Die Politik des Traumas“

Von Daniel LucasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Lucas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wo von seelischen Wunden und Verwundbarkeiten die Rede ist, kommen immer auch Gewalt, Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit zur Sprache, ebenso wie gesellschaftliche und staatliche Verantwortlichkeit thematisiert werden.“ Dieser Satz, welcher den Buchrücken von Die Politik des Traumas schmückt, stellt exemplarisch Brunners Argumentationslinie dar. Es geht nicht darum zu zeigen, dass Traumadiskurse auch politisch sein können, sondern, dass sie es immer auch sind. Als Prämisse ist diese Feststellung nicht zu unterschätzen, verweist sie doch auf eine Sonderstellung der Psychologie innerhalb der medizinischen Wissenschaften. Während die anderen medizinischen Disziplinen in ihrer Diagnostik deskriptiv sind, ist die Psychologie an der gleichen Stelle normativ. Ihre Befunde beschreiben nicht die Welt, sondern konstruieren und konstituieren performativ Normalität – und damit auch abnormales Verhalten.

Brunner selbst bezeichnet die von ihm gewählte Methode als Diskursanalyse. Das würde jedoch die methodische Vielfalt in diesem Buch nur ungenügend beschreiben. Zwar finden sich durchaus diskursanalytische Momente; ein nicht irrelevanter Teil des Buches befasst sich aber, vor allem im Kapitel zu den USA, mit einer historischen Rekonstruktion. Das macht dieses Werk keineswegs schlechter, sondern einem mit dem Thema nicht vertrauten Publikum leichter zugänglich. Im Zuge der historischen Rekonstruktion nämlich gelingt es Brunner, vor allem an dem von ihm in den Fokus gerückten Rape Trauma Syndrom (RTS), die engen Zusammenhänge zwischen klinischem Diskurs und gesellschaftlicher Debatte zu verdeutlichen. Denn ohne die zweite feministische Offensive in den 1970er Jahren, so Brunner, hätte diese Diagnose keine Chance auf Relevanz bekommen. Zur politischen Brisanz dieses Themas ist vielleicht anzumerken, dass bis zum Jahr 1997 in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe juristisch nicht existierte. Bis der Deutsche Bundestag, bei Gegenstimmen einzelner Parlamentarierinnen und Parlamentarier der CDU/CSU-Fraktion, diese Gesetzesänderung vornahm, gab es eine faktische männliche Verfügungsgewalt über die weibliche Sexualität innerhalb der Ehe. Das gesamtgesellschaftliche Klima, welches eine solch explizite Negation weiblicher Selbstbestimmung ermöglichte, muss zwangsläufig als reaktionär und patriarchal beschrieben werden.

Im Kern der Betrachtung stehen in diesem Buch jedoch vor allem militärische Auseinandersetzungen. Während die Nachversorgung der Vietnam-Veteranen nunmehr weitgehend von historischem Interesse ist, nimmt Brunner mit dem Umgang der deutschen Gesellschaft mit zurückkehrenden Soldaten aus Afghanistan ein noch heute virulentes Problem ins Visier. Interessant ist in diesem Kapitel vor allem der Umgang der deutschen Politik und der deutschen Medien mit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im medial vermittelten politischen Diskurs. So hält Brunner fest, dass die Narrative im deutschen Spielfilm, sofern er sich mit diesem Thema auseinandersetzt, zu einem Happy End neigen. Therapeutisches Scheitern, Suizide oder andere Gewalttaten, die ebenso die Folge sein können, kommen nicht vor – anders als in vergleichbaren US-amerikanischen Produktionen. In der Debatte um Auslandseinsätze der Bundeswehr, die spätestens seit der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz wieder einen prominenten Platz in der deutschen Außenpolitik gefunden hat, wird daher auch ein positives Bild der militärischen Auseinandersetzung gezeigt: Wir haben das im Griff!

Politisch hochaktuell ist das letzte Beispiel: Der Israel/Palästina-Konflikt. Brunner selbst verlässt in seinen Darstellungen hier auch deutlich die kritisch beobachtende Perspektive. Die politische Brisanz dieses Kapitels bemerkt man daran, dass Brunner, der viele Jahre in Tel Aviv gelebt und gearbeitet hat, sich oftmals an die Aufzählung von Institutionen und Studien hält. Das kritische Narrativ, welches das Buch zuvor geprägt hat, tritt an dieser Stelle zurück hinter eine oft lähmende Sachlichkeit. Trotz dieser Zurückhaltung zeigen sich besorgniserregende Beobachtungen, was das Fortschreiten eines Friedensprozesses betrifft. Die stärkere Verbindung zur Nation, die Bereitschaft, autoritären Vorgaben zu folgen, und der entwickelte Hass auf ‚die Anderen’ sind einer Atmosphäre der Versöhnung kaum förderlich. Aktualität erlangen diese Ergebnisse auch in Verbindung mit Berichten der Haaretz zum Rassismus unter israelischen Jugendlichen. Hier gibt es Einblicke in eine Generation, die nur ein Leben im Krieg, ein Leben im Kampf gegen den bösen Anderen kennt.

Brunner, der eine Professur für Wissenschaftsphilosophie und deutsche Ideengeschichte innehat, gelingt es in diesem Buch auf eindrückliche Weise, die Verbindung zwischen Traumadiskursen und den zeitgleich stattfindenden politischen und gesellschaftlichen Debatten darzustellen. Auch wenn er sich einer eindeutigen Wertung enthält, so scheint seine Position, die vielleicht als links-liberal und definitiv anti-bellizistisch zu bezeichnen ist, an manchen Stellen durch. Dem Buch jedoch tut das keinen Abbruch. Editorisch zu kritisieren ist, dass trotz der mehr als 400 Fußnoten kein Literaturverzeichnis angehängt wurde. Dies betrifft jedoch nur die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Für sich genommen ist das Buch auf Grund seiner sprachlichen Verständlichkeit, dem ihm zugrunde liegenden Narrativ und die Rückbindung an Produkte der Popkultur ein, im besten Sinne, populärwissenschaftlicher Beitrag, der ein erhellendes Licht auf ein komplexes Problem wirft.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

José Brunner: Die Politik des Traumas. Gewalt, Gesellschaft und psychisches Leid in den USA, in Deutschland und im Israel/Palästina-Konflikt.
Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2009.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
250 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783518585597

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