Auf der Moralschiene entgleist

In Sarah Katharina Kayß‘ Debüt „Ich mag die Welt, so wie sie ist“ erleidet die Littérature engagée einen Totalschaden

Von Matthias FriedrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Friedrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was tut man gegen Ignoranz, gegen irregeleitetes Denken, gegen die manipulative Sprache der Politik? Man erhebt die Stimme. Aber am besten notiert man jeden Gedanken, alles, was einen an der Welt aufregt – damit auch die Nachfahren etwas davon haben. Sarah Katharina Kayß tut genau das in ihrem Debüt „Ich mag die Welt, so wie sie ist“.

Der Band behandelt politische Themen wie Altlast, Schuld, Amerika-Skepsis: „unterdrückte Schreie und laut gewordenes Schweigen / werden zur Karnation dieser Texte“. Sie werfen sich dem Leser an die Brust, betteln um sein Verständnis. Sie zeichnen sich weder durch ein Reimschema noch durch sonstige formale Mittel aus, Zeilenumbrüche werden willkürlich gesetzt, Gedanken nicht ausgeführt, sondern immer wieder von neuen Wellen der Suada überschwemmt: „mit zement bestreuen: befeuern, der asche übergeben / vergewissern: gesichtsfacetten, nationalitäten, rassen / spezifika: wiederholen wiederholen wiederholen: aufhören / weggefegt, gewischt, erloschen, ignoriert […]“. All das formt eine Kakophonie des Ungenießbaren: ein Stimmenchaos, das letztlich nur im erzählenden Ich verortet ist und aus diesem Grund niemals unterschiedliche Perspektiven ansprechen kann, sondern in seinem eigenen Wortschwall ertrinkt. Das hat etwas Ironisches, will das Ich doch gerade durch sein Geschrei sich selbst (und vor allem die anderen, die Unwissenden!) vor der Götterdämmerung bewahren.

Zu den formalen Mängeln gesellen sich inhaltliche, denn das Ich begnügt sich nicht mit Gebrüll, sondern muss in seinem übersteigerten Geltungsbedürfnis auch noch die Wahrheit (ergo seine eigene) verkünden, die es, damit auch der Leser aus der letzten Reihe sie versteht, zwei- bis dreimal absichert: „Diplomatie ausradiert: Soldaten durch Söldner ersetzt / Die RAF hätte die Demokratie wegbomben können / Gier, Macht und Eifersucht – eine Konsumgesellschaft […]“. Hauptsächlich begründet sich das Problem der Texte darin, dass ihre Abstraktionsebene zu hoch ist – sie sprechen meistens von politischen Institutionen, auch dann, wenn sie ein lautes, panisch um sich schlagendes Ich vorstellen, dessen Einstellung wohlwollend mit Idealismus, besser aber mit Größenwahn zu bezeichnen wäre. Denn in seinen Tiraden schwingt es sich zu derjenigen Person auf, die das Elend beenden darf: „Ich möchte eine lange Bombenschnur durch alle Städte dieser Welt legen und diesem Planeten sein verdientes und lang erwartetes Ende geben.“

Trotz der Ironie einzelner Abschnitte – beispielsweise des Titels – ist es doch vor allem diese absolut narzisstische Betonung des Ichs, die eine Rezeption dieses Bandes verhindert, sogar gänzlich verunmöglicht. Das Unterhaltsamste an diesem Buch ist die unfreiwillige Komik einzelner Passagen: „Vielleicht sagt das Wort BLA alles aus, was wir noch zu sagen haben.“ Kayß‘ Hang zu völlig verunglückten Sprachbildern gehört ebenso dazu: „Trotzdem hat man das Gefühl, als müsse einer immer aufpassen, dass nicht auch mal ein blindes Huhn ein Korn findet und dann einen auf dicke Hose macht“ – dieser Ausdruck kehrt in einem späteren Gedicht wieder, in dem sich das Ich als „Oberkorn“ am Strand bezeichnet. Auch die in Prosaform verfassten Einschübe können diesem Desaster nichts entgegensetzen. Die Autorin bezeichnet sie als Essays; doch sie tasten sich nicht an ihren Sachverhalt heran, erzählen nichts, weil Pseudowissenschaft jedes Narrativ verbiegt – was dabei entsteht, ist nur unter dem Begriff „Unfall“ fassbar.

Kayß‘ Texte kennzeichnen sich durch einen starken Willen, nämlich das Politische zum Zentrum eigenen Schreibens machen zu wollen. Das Handeln findet hier aber auf einer kontemplativen Ebene statt und versucht damit, den Widerspruch zwischen Kreation und Aktion zu vertuschen. Keinem Leser ist die Beschäftigung mit diesem Nonsens zumutbar.

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Sarah Katharina Kayß: Ich mag die Welt, so wie sie ist. Gedichte & Essays.
Allitera Verlag, München 2014.
124 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783869066677

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