Am Ende dann doch nix

Zu Karine Tuils Roman „Die Gierigen“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuerst erscheint die Handlung komplex, dann wird die Lektüre verwirrend. Dann kommen auch noch Terrorismus und Islam ins Spiel. Schließlich hört man auf, den Weg des Romans mitzugehen. Es wird langweilig. Man legt das Buch zur Seite. Natürlich gibt es ein paar zähe Leser, die wissen wollen, wie es weiter geht.

Der Ausgangpunkt des Romans deutet auf einen klassischen Konflikt in einer Dreiecksgeschichte. Eine Frau und zwei Männer sind befreundet. Die Frau ist mit einem der beiden Männer zusammen, verliebt sich aber in den anderen Mann. Als sie sich trennen will, droht Mann Nr. 1 mit Selbstmord. Sie bleibt bei ihm und geht nicht zu ihrer neuen Liebe. Diese Konstellation könnte schon für genug Konfliktstoff sorgen. Die eigentliche Handlung beginnt aber erst zwanzig Jahre später. Nina lebt immer noch mit Samuel zusammen. In den Medien werden sie auf ihren alten Freund Samir aufmerksam, der mittlerweile erfolgreicher Anwalt in New York ist. Allerdings nennt er sich nicht mehr Samir, sondern Sam.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Samir verschleiert nach Abschluss des Studiums und nach mehreren gescheiterten Versuchen im Berufsleben Fuß zu fassen, seine arabische Herkunft, in dem er seinen Namen ändert. Er wird bei einem Rechtsanwalt mit jüdischem Hintergrund eingestellt, in der Annahme, Samir aka Sam, sei mit einem jüdischen kulturellen und religiösen Hintergrund aufgewachsen. Samir klärt dieses Missverständnis nicht auf, ist er doch davon überzeugt, dass er aufgrund seiner arabischen Herkunft diskriminiert wird. Aus dem gleichen Grund verbirgt er die Existenz seiner Mutter und seines Bruders. Er übernimmt einen Teil der Identität seines ehemaligen Freundes Samuel. Später heiratet er Ruth, Tochter einer exponierten und einflussreichen Familie in New York.

Ein Treffen des Trios lässt bei allen Beteiligten Ängste und Neid aufkommen. Nina trennt sich danach von Samuel und geht nach New York, um Samirs beziehungsweise Sams Geliebte zu werden. Samuel beginnt ernsthaft mit dem Schreiben und Samir ist endlich mit seiner einzigen Liebe zusammen. Aber alle sind unzufrieden, wollen immer etwas anders und scheuen gleichzeitig den Konflikt. Hier gelingt es Tuil, die Einsamkeit und Vereinzelung der Personen in seltsam unverbindlichen Beschreibungen zu präzisieren. Als diese Situation wiederum durch die Verhaltung Samirs aus dem vermeintlichen Gleichgewicht gebracht wird, beginnt sich auch der Nucleus des Konflikts aufzulösen. In das Zentrum des letzten Drittels des Buches schiebt sich der Vorwurf des Terrorismus gegen Samir, der seinen Bruder finanziell unterstützt und dem vorgeworfen wird, terroristische Aktivitäten zu befördern. Die Folgen der Verhaftung sind fatal. Samirs gesellschaftliche Existenz ist ruiniert. Allerdings wirkt der Terrorismusvorwurf wie aus dem Hut gezaubert, um den Konflikt zwischen den drei ehemaligen Freunden irgendwie voranzubringen.

Vielleicht sind die Unentschlossenheit und die literarische Gestaltung dieser Zerstreuung Ziel des Buches gewesen. Aber die anfangs gut aufgebauten Charaktere stürzen in einen unspezifischen Strudel, in dem der eigentliche Konflikt zwischen den Figuren auf der Strecke bleibt. Und als zum Ende eigentlich alle alles verloren haben und Samir über die befreiende Wirkung der verlorenen Ansprüche spekuliert, hat Karine Tuil den Leser definitiv verloren.

Titelbild

Karine Tuil: Die Gierigen. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff.
Aufbau Verlag, Berlin 2014.
480 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351033781

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch