Das Frankenreich aus der mediterranen Perspektive

Das Deutsche Historische Museum lässt die kulturelle Verflechtung zur Zeit Karls des Großen untersuchen

Von Marc-André KarpienskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc-André Karpienski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Henri Pirenne postulierte in den 1930er-Jahren das Ende der antiken mediterranen Einheit durch die Ausbreitung des Islams im 7. und 8. Jahrhundert. Von da aus entwickelte sich eine spezifisch europäische Kultur, die ihre Zentren und Kontakte jenseits des Mittelmeeres verlor. Aus der Sicht einer gemeinsamen kulturellen Basis nördlich der Alpen sind die italienische und iberische Halbinsel nur Randgebiete, Byzanz und die aufstrebenden Herrschaften der Muslime dementsprechend ferne, periphere Konkurrenten, die nur wenig mit den politischen und kulturellen Zentren im Frankenreich zu tun haben. So ist es kein Wunder, dass Karl der Große zum Heroen der europäischen Entwicklung, zum Vater Europas wurde.

Tatsächlich lassen sich aber jede Menge Verflechtungen zwischen den Mittelmeeranrainern auch zur Zeit Karls des Großen finden, denen im vorliegenden Sammelband Kaiser und Kalifen nachgespürt wird. Seit die Auseinandersetzung mit dem Fremden und insbesondere mit dem Islam einen deutlichen Aufschwung in der Geschichtswissenschaft (und nicht nur dort) genommen hat, rücken unter anderem die kulturellen und wirtschaftlichen Austauschprozesse in der Vormoderne immer mehr in den Vordergrund. Diesen Prozessen der gegenseitigen Kenntnisnahme und Beeinflussung von kulturellen Praktiken, Ordnungen, Regeln und Normen ist auch dieses Werk gewidmet.

Kaiser und Kalifen ist ein großformatiger Aufsatzband mit zwei Dutzend Beiträgen herausgegeben von der Stiftung des Deutschen Historischen Museums. Auf den ersten Blick meint man einen wissenschaftlichen Essayband in Begleitung einer Ausstellung vor sich zu haben. Das Hochglanzpapier, die vielen Abbildungen und zahlreiche thematisch passende Karten verweisen zusammen mit den an das Ende des Werkes verbannten Verweisen als typische Elemente auf eine solche Publikation. Tatsächlich ist das Buch jedoch aus einer Tagung hervorgegangen und eine Ausstellung ist gemäß dem Vorwort bisher eher ein Wunsch als ein schon realisiertes Projekt.

Kritisch angemerkt werden muss, dass man im Untertitel und auf dem Cover auf Karl den Großen verweist, obwohl ein allgemeiner Bezug zum Frankenreich wohl ehrlicher gewesen wäre. Zur 1200-jährigen Wiederkehr des Todestages des ersten fränkischen Kaisers sollte wohl die Personalisierung und Zuspitzung auf ihn aufmerksamkeitsfördernd wirken.

Es wird deutlich hervorgehoben, dass dieser Sammelband kein Handbuch der mediterranen Beziehungen des Frankenreiches sein soll. Es ist eher ein Abstecken des Feldes, eine Sammlung von Diskussionsbeiträgen zur Verflechtungsgeschichte des Mittelmeeres um 800. Diesen Anspruch kann der Band auch einlösen.

Vier thematische Einheiten gliedern dabei Kaiser und Kalifen. Das Kapitel Mächte am Mittelmeer stellt ohne Vollständigkeit zu erreichen einzelne Machtgruppen wie das byzantinische Reich oder auch religiöse Gruppen wie die Juden vor. In den nächsten Abschnitten Begegnungen der Kulturen und Kulturelle Praktiken finden sich Aufsätze, die Austauschprozesse und gemeinsame oder zumindest ähnliche Verfahren im Mittelmeerraum umfassen, ohne dass im Einzelnen klar ist, warum ein Beitrag dem einen oder anderen Kapitel zugeordnet ist. Das Schlusskapitel ist mit Moderne Perspektiven betitelt, meint aber nicht, dass nur hier moderne Forschungsmeinungen genannt werden, sondern die Rezeptionsgeschichte des Frankenherrschers Karl, die in einigen Aufsätzen ausgebreitet wird.

Auf die Fülle der Texte kann hier nicht in Gänze eingegangen werden. Ein typischer Aufsatz ist Bauten für Kalifen und Kaiser von Lorenz Korn, der sich kulturellen Austauschprozessen rund um das Mittelmeer in Hinblick auf die Prachtbauten der Herrscher widmet. Hierbei wird deutlich, dass das antike Erbe nicht nur in Byzanz rezipiert wurde, sondern auch die weniger traditionsreichen Herrschaften sich der antiken Bauformen bedienten und sie entsprechend ihren Bedürfnissen modifizierten. Ein anderer Aufsatz von Volker Scior nimmt konkret die Mobilität um das Jahr 800 in den Blick. Das Mittelmeer erscheint dabei nicht als trennendes Gewässer, sondern als Kommunikationsraum zwischen Herrschaftsbereichen und kulturellen Räumen. Erörtert werden so sozialhistorische Hintergründe der Personengruppen, die mobil waren und dementsprechend als Träger der Kommunikation und des Kulturaustausches wirkten.

Insgesamt ist die Qualität der Texte hoch, aber es fällt auf, dass neben der Mehrzahl der thematisch passenden Texte auch Aufsätze existieren, die sich beim besten Willen nicht unter den Titel dieses Sammelbandes summieren lassen. Das Vorwort ermöglicht eine Deutung dieses Umstandes, denn der Sammelband beruht auf einer Tagung, die das Mittelmeer nicht im Namen trug und dementsprechend eine etwas andere Ausrichtung hatte.

Auch der Eindruck einer wirklich gelungenen Ausstattung des Bandes mit Abbildungen und Karten trübt sich ein wenig ein, wenn man die Karten etwas genauer betrachtet. Zwar müssen Karten vereinfachen, um lesbar zu sein, dennoch ist beispielsweise der Nutzen einer doppelseitigen politischen Karte der Mittelmeeranrainer begrenzt, wenn nur ein einheitlicher, einfarbiger islamischer Herrschaftsraum von Zentralasien bis zur iberischen Halbinsel aufgezeigt wird, der aber in dieser Form nicht existierte.

Diese Kritik muss aber vor dem Hintergrund vieler gut lesbarer und thematisch breiter Aufsätze und einer ansonsten sehr gelungenen Visualisierung gesehen werden, die dieses Buch zu einem gelungenen und informativen Lesevergnügen machen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Welt des Mittelmeers.
Herausgegeben von Deutsches Historisches Museum.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2014.
424 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783805347747

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