Muse, Geliebte, Modell, Lebensgefährtin

40 Porträts von Raffael bis Man Ray erzählen vom vertrackten Thema Liebe

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die englische Kunsthistorikerin Juliet Heslewood hat vor drei Jahren einen Band „Liebende. Künstler und ihre Musen“ herausgebracht, der noch im gleichen Jahr in deutscher Übersetzung erschienen ist. Vierzig Porträts von der Renaissance bis in die 1960er-Jahre – die Porträtierten, Frauen, Männer und auch Paare –, wenden sich dem Betrachter zu, ihr offener, mitunter aggressiver Blickkontakt mit diesem, aber auch ihre Selbstvergessenheit, ihre Beschäftigung mit sich selbst lassen sie als Objekte erscheinen. Einmal leben sie im Bild sich selbst, dann wieder bedienen oder erfreuen sie mehr die Blicke des Betrachters, möchte man meinen. Bei Peter Paul Rubens ruhige Würde, bei Francisco de Goya, Édouard Manet und Pierre-Auguste Renoir betontes Selbstbewusstsein, bei Dante Gabriel Rossetti und Maurice Denis etwas Verspieltes, Verträumtes, bei Vincent van Gogh die Gequältheit des Daseins. Alle haben wenig Gemeinsames. Henri Matisse wiederum – er fehlt in diesem Band – malte seinen „Blauen Akt“ als Idee, nicht als Person. Bei allen aber hat – auch wenn es sich um Akt-Darstellungen handelt – zudringliche, voyeuristische Neugierde ein natürliches Hindernis gegen sich: die personalisierte Würde der Dargestellten. Die Bilder stellen Körperlust und Körperfreude dar – die am fremden Körper. Manche Bilder sind privat, andere verursachten öffentliche Skandale – sei es wegen der Person der Dargestellten, sei es wegen fehlender mythologischer Absicherung und der Verweigerung akademisch-verbrauchter Malweisen oder aus formalen Gründen. Die Italiener, Franzosen, Engländer und Amerikaner stehen im Zentrum des Bandes, während die Deutschen mit nur einem Künstler – Anselm Feuerbach – deutlich unterrepräsentiert sind. Was hat sich die Autorin hier entgehen lassen.

Die Geschichte von der Liebe des Malermönchs Filippo Lippi zu einer Nonne, die ihm Modell stand, hat Giorgio Vasari erzählt. Ist es diese Lucrezia Buti, die Lippi immer wieder in seinen Altarbildern und Fresken, so auch in „Maria überreicht dem Hl. Thomas ihren Gürtel“ (um 1456) konterfeit hat? Wer mag La Fornarina in dem „Porträt einer jungen Frau“ (um 1518) von Raffael sein – die „kleine Bäckerin“ Margherita Luti aus Rom? Die wundervolle Orchestration der Farben verleiht dem Bild eine heitere Gegenwärtigkeit. Ob es sich allerdings um Raffaels Geliebte handelt, wird ein ungelöstes Rätsel bleiben. Christofano Allori soll in „Judith mit dem Haupt Holofernes“ (um 1613) seine Geliebte Mazzafirra dargestellt haben, die ihm viel Liebesleid beschert hat. Seine zweite Frau, die 37 Jahre jüngere Helène Fourment, hat Rubens in ein prächtiges Brautkleid eingehüllt und ihr eine herrscherliche Positur gegeben (1630), während Rembrandt seine künftige Frau Saskia in natürlicher, anmutiger Geste gezeichnet hat (1633). Allan Ramsays Porträt seiner Frau Margaret Lindsay (1754) ist von ätherischer Zartheit in anmutiger Pose und schwerer kostbarer Kleidung, die sie fast zu erdrücken scheint. „La Leocadia“ (1819-23) stellt Goyas Haushälterin dar, die ihm 1824 auch ins französische Exil folgte. Sie lehnt an einem grabähnlichen Mauerwerk. Wollte Goya hier vielleicht ihre Trauer nach seinem Tode festhalten?

Manet wählte für sein Thema „Susanna im Bade“ als Modell Suzanne Leenhoff, eine junge Holländerin, die ihm wiederholt Modell stand und die er dann auch geheiratet hat. In „Die überraschte Nymphe“ (1861) leuchtet der helle Körper aus der dunkel gehaltenen Waldlandschaft hervor. Während seines Rom-Aufenthaltes begegnete Anselm Feuerbach Anna Risi, der Frau eines Schusters, sie verliebten sich ineinander, Anna verließ ihren Mann und Sohn, lebte mit Feuerbach zusammen, saß ihm mit ihren klassischen Gesichtszügen und ihrer statuengleichen Haltung Modell, so auch als „Lukrezia Borgia“ (1866). Sie verließ ihn einige Jahre später, eine spätere Aussöhnung lehnte Feuerbach ab. Lizzie Siddal wurde Dante Gabriel Rossettis Muse, er sah in ihr Beatrice, die große Liebe des italienischen Dichters Dante Alighieri, mit dem er sich selbst identifizierte. Sie war drogensüchtig und nach ihrem Tod malte er sie ganz verinnerlicht, ein Vogel hält eine Mohnblüte – eine Anspielung auf die Droge – im Schnabel („Beata Beatrix“, 1864-70). Im Hintergrund ist Dante zu erkennen, wie er der sich abwendenden Figur der Liebe hinterher blickt.

Bei einem seiner Aufenthalte in den Wäldern von Fontainebleau lernte Renoir die 17-jährige Lise Tréhot kennen, die ihm bald Modell und Geliebte wurde. Er malte sie als Diana, doch da ihre etwas füllige Nacktheit wenig mit einer göttlichen Idealfigur gemein hatte, wurde es zum Pariser Salon nicht zugelassen. Erst die in ein weißes Kleid gehüllte „Lise mit dem Sonnenschirm“ (1867), das Gesicht im Schatten, während ihr Kleid in gleißendes Sonnenlicht getaucht ist – Renoirs impressionistische Technik hat hier eine unvergleichlich flüssige Opulenz erreicht –, konnte die Jury überzeugen.

Im Louvre hatten sie sich kennen gelernt, der Maler Émile Auguste Carolus-Duran und Pauline-Marie-Charlotte Croizette, die Miniaturmalerin war. In der Vermählungszeit malte er „Der Kuß“ (1868), der Künstler neigt sich über sie und ihre Lippen berühren sich voller Zärtlichkeit. Ein Jahr später porträtierte er sie als „Frau mit einem Handschuh“ – hoheits- und würdevoll.

„Trauer“ (1882) ist der Titel der Zeichnung Vincent van Goghs, der die Prostituierte Sien Hoornik zeigt, die bereits eine kleine Tochter hatte und schon wieder schwanger war und die der Künstler bei sich aufgenommen hatte. Er zeigt den ausgemergelten, nackten Körper der Schwangeren, die ihr Gesicht zwischen den Armen auf aufgestütztem Knie vergraben hat, in ihrer Einsamkeit und Verlassenheit.

Der Gipsmaske, die Rodin von Camille Claudel schuf (um 1884), die eigentlich seine Schülerin war und mit der ihn eine leidenschaftliche Beziehung verband, mit ihren zarten Gesichtszügen stellte Camille Claudel zwei markante Bronzeköpfe von Rodin (1892) entgegen. Sie, die unter der Trennung ebenso stark litt wie Rodin, erkrankte psychisch und musste den Rest des Lebens in der Psychiatrie verbringen.

Henri de Toulouse-Lautrec wählte Suzanne Valadon als Vorbild für einige Charaktere seiner Milieustudien, so für sein Bild „Die Trinkerin“ (1888), die trotz des Alkohols ihre menschliche Würde bewahrt hat. Valadon ist dann selbst zu einer bekannten Malerin geworden. In dem Gemälde „Adam und Eva“ (1909) hat sie sich selbst und ihren 21 Jahre jüngeren Freund André Utter dargestellt. Die traditionelle Rollenverteilung von Künstler und weiblichem Modell verkehrt sich hier ins Gegenteil.

Georges Seurat teilte sein Leben mit seinem Modell Madeleine Knobloch, er hat sie in einer neuen Malweise – in einer mit dem Pinsel punktförmig aufgetragenen Farbe – und in einer intimen Boudoir-Szene – beim Schminken – konterfeit („Sich pudernde junge Frau“, um 1890). Auch Giovanni Segantini malte in pointillistischer Technik, sein Porträt von Bice Bugatti („Rosenblüte“, 1889-91) – sie liegt krank im Bett, auf die Rose im Titel spielen ihre vom Fieber glühenden Wangen an – ist eher als symbolistische Arbeit gedacht, in der der Sieg des Lebens über den Tod dargestellt werden soll.

Das Bild seiner Verlobten Marthe Meurier „Marthe am Klavier“ (1891) hat Maurice Denis in ein umfassendes dekoratives Muster eingebunden. Paul Gauguin malte seine tahitanische Geliebte nackt auf dem Bauch liegend („Der Geist der Toten hält Wache“, 1892), sie fürchtet sich vor dem Nachtgeist, der im Hintergrund sichtbar ist. Weiße Blitze spiegeln die Erregtheit der jungen Frau wider. Die erotische Ausstrahlung von Gustav Klimts Porträt von Emilie Flöge (1902) wird von reich gemusterten Stoffen betont, die die ganze Länge der Leinwand in Anspruch nimmt. Egon Schiele lässt seine Geliebte Valerie Neuzil mit schwarzen Strümpfen posieren, in verrenkt wirkender Körperposition, dadurch erhält das Bild (1913) eine besondere Expressivität.

Anlässlich seines 28. Geburtstages („Geburtstag“, 1915) malte Marc Chagall in seinem Hochzeitsbild Bella Rosenfeld und sich als im Raum schwebende Gestalten, die ihre Gefühle füreinander zeigen. „Jeanne Hébuterne mit gelbem Pullover“ (1918) war bevorzugtes Modell für Modiglianis Porträts, sie führte mit ihm eine heftige, von öffentlichen Skandalen geprägte Beziehung. Davon merkt man nichts in diesem unnahbaren Porträt, übertrieben länglich die Figur wie Kopfform, die hellblauen Augen ohne Pupillen blicken leblos, die Lippen zusammengepresst. Als Modigliani starb, stürzte sich Jeanne, mit ihrem zweiten Kind schwanger, aus dem Fenster in den Tod.

Frida Kahlo hat ein Hochzeitsbild von sich und Diego Rivera, beide Hand in Hand, geschaffen (1931), sie, zierlich, in der traditionellen mexikanischen Kleidung, er, groß, massig, mit Palette und Pinsel in der Hand. Die ganzen Widersprüche dieser Beziehung sind hier enthalten: Heirat, Scheidung, wieder Heirat, Stolz, Eifersucht, Selbstbehauptung, denn auch sie sollte als Malerin zu Ruhm gelangen. Salvador Dali hat seine Gala in surrealistischer Weise „mit zwei Lammkoteletts auf der Schulter“ (1933) gemalt. Sie scheint die Sonne zu genießen, obwohl sie sich in einer zerstörten Landschaft befindet. „Faun, eine Schlafende enthüllend“ (1936) ist eine Radierung aus der Suite Vollard von Picasso – bei der Schlafenden handelt es sich um seine Geliebte Marie-Thérèse Walter. Das Thema vom Künstler und seinem Modell wird hier angeschlagen. David Hockney hat seinen Geliebten Peter Schlesinger, aus dem Wasser steigend, in Form einer zeitgenössischen Fotografie dargestellt (1966).

In einer mehr biografisch-psychologisch orientierten Einführung, die doch stärker der kunsthistorischen Betrachtung gewidmet sein müsste, und in kurzen Bildkommentaren werden dem Leser die nötigsten Informationen für ein Betrachten der recht subjektiven Auswahl der Bilder vermittelt.

Titelbild

Juliet Heslewood: Liebende. Künstler und ihre Musen. 40 Porträts von Raphael bis Man Ray.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernd Weiß.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2011.
96 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783496014447

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