Hauptsache irgendwie ästhetisch

Giulio Ricciarellis Film „Im Labyrinth des Schweigens“ versucht sich an der Aufarbeitung des Auschwitzprozesses, verliert sich dabei aber in Modefragen

Von Romy TraeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Romy Traeber

Im Jahr 2014 hat die Erinnerungskultur dank diverser Kriegsanfangs- und Revolutionsjubiläen in Deutschland Hochkonjunktur. Da verwundert es nicht, dass Film und Fernsehen sich geradezu überschlagen mit Beiträgen zur Vergangenheitsbewältigung. Zuletzt bewies das ZDF mit dem Film Das Zeugenhaus, dass man einen Film über die Nürnberger Prozesse so richtig gegen die Wand fahren kann, wenn man den Holocaust inmitten eines prominenten Schauspieleraufgebots als schmückendes Beiwerk behandelt.

Im Kino versucht sich derweil Giulio Ricciarellis Film Im Labyrinth des Schweigens am gleichen Thema. In diesem Fall spielt die Handlung aber ein gutes Jahrzehnt später. Der Fokus liegt hier auf dem Frankfurter Auschwitzprozess. Begleitet wird der Weg des Staatsanwaltes Johann Radmann (Alexander Fehling), der den Zuschauern als ein Mensch vorgestellt wird, dem das Gesetz über alles geht, selbst wenn eine junge hübsche Frau die Strafzahlung für ein Verkehrsdelikt nicht aufbringen kann und der Richter Milde walten lassen möchte. Diese Sturheit aber ist es auch, die ihn als einzigen aufmerksam werden lässt, als eines Tages der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) im Gebäude der Staatsanwaltschaft anklagend verkündet, was ihm unfassbar scheint: Einer seiner Freunde hat in einem Lehrer einen Aufseher aus Auschwitz erkannt. Nur will keine Polizeidienststelle eine Anzeige aufnehmen, und auch bei der Staatsanwaltschaft zeigt man sich angesichts der Faktenlage wenig euphorisch. Gegen den Willen seines Vorgesetzten, Oberstaatsanwalt Walter Friedberg (Robert Hunger-Bühler), beginnt Radmann dennoch mit Ermittlungen und sieht sich recht bald mit Schweigen, Verleugnen und Vertuschen konfrontiert, das bis in die höchsten Ämter reichen. Im Deutschland des Jahres 1958 will man eben Schlager hören, tanzen, das Leben genießen und die Vergangenheit endlich hinter sich lassen.

Unterstützung bekommt Radmann nur vom Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss), der rauchend und mit sonorer Stimme immer irgendwo zwischen Helmut Schmidt und Joachim Gauck changiert. Im Labyrinth des Schweigens ist die erste fiktionale Aufarbeitung des historischen Weges zum Auschwitzprozess, an der der Film aber kunstvoll scheitert. Denn es wird geraucht und getrunken, beides vorwiegend in den Büros der Staatsanwaltschaft und in schicker 50er-Jahre-Optik, die Frauen tragen schöne Kleider oder nähen sie gleich selbst. Das wirkt zweitweise wie eine Folge der US-Serie Mad Men, was dem ernsten Thema des Films nicht gerecht wird – und zeigt, dass man sich bei deutschen Produktionen zum Thema Auschwitz leider weniger auf Inhalts- und mehr auf Ausstattungsfragen konzentriert.

Zu oft ist alles ein bisschen zu glatt, zu bunt und zu gestelzt – Darsteller wie Dialoge. Dass der enttarnte Lehrer ausgerechnet am Goethe-Gymnasium angestellt ist, verweist dann auch noch allzu platt auf den Diskurs der Nachkriegszeit, wo man mit der Erinnerung an die guten alten Klassiker Goethe und Schiller die Vergangenheit überschreiben wollte. Hinzu kommt eine unsägliche Liebesgeschichte, deren einzige Funktion darin zu bestehen scheint, in einem Pseudo-Metagespräch über einen Riss in der Kleidung zu enden. Als Johann Radmann nach einem Streit mit seiner Freundin Marlene (Friederike Becht) ein am Ärmel eingerissenes Jackett zu ihr bringt (sie ist es nämlich, die die Kleider näht), teilt sie ihm erst mit, dass dieses nicht mehr zu reparieren sei. Kurz darauf ist das Jackett dann doch genäht, Marlene weist allerdings darauf hin, dass die Reparatur nicht von statten gehen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Dass der Riss hier symbolisch für die Liebesbeziehung selbst herhalten muss, ist deutlich. Eine Meta-Ebene höher (und man möchte dem Film so gern unterstellen, dass dies kein Zufall ist), sind wir dafür bei der Geschichtspolitik der Bundesrepublik angekommen: Auschwitz und der Holocaust werden immer Spuren hinterlassen, egal wie sehr man sich bemüht, diese zu verdecken oder zu bearbeiten.

Wohlwollend kann zumindest erwähnt werden, dass der Film die Problematik des heftigen Widerstandes, auf den Radmann trifft, durchaus deutlich macht. Der Zuschauer verfolgt mit seinen Bemühungen um die Enttarnung und Anklage ehemaliger Auschwitz-Aufseher den typischen Weg eines Helden, der aus seiner bürgerlichen Idylle aufgeschreckt, versucht, für die Gerechtigkeit zu kämpfen und dabei beinahe scheitert, um am Ende doch noch zum Erfolg zu kommen.

Dabei geht man zwar gelegentlich recht frei mit der historischen Wahrheit um und greift beispielsweise auf den Günzburg-Mythos zurück, der besagt, dass Josef Mengele immer wieder seinen Heimatort Günzburg besucht und sogar an der Beerdigung seines Vaters teilgenommen habe. Obwohl dies nachweislich nie geschehen ist, steht diese Fiktion dafür, wie leicht es in der Realität der Bundesrepublik selbst für gesuchte Kriegsverbrecher war, sich der Justiz zu entziehen – weil nämlich jahrelang niemand ein Interesse an deren Ergreifung hatte oder man diese bewusst zu verhindern suchte. Das sind die starken Momente des Films, aber am Ende relativiert er diese dann leider doch noch einmal selbst: Direkt vor dem Abspann, in dem erklärt wird, dass letztlich nur neunzehn Angeklagte vor Gericht standen, schließen sich die Türen des Gerichtssaals zur Verhandlung, und man bekommt das Gefühl, der Film versucht hier mit der Geschichte ebenso abzuschließen. Klappe zu, Affe tot. Dass der Riss in der deutschen Vergangenheit aber eben nicht einfach verschwindet, beweist allein die Tatsache, dass auch 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs noch ehemalige KZ-Wächter in Freiheit leben. Das wäre ein würdiger letzter Satz des Abspanns gewesen.

Im Labyrinth des Schweigens (Deutschland 2014)
Regie: Giulio Ricciarelli
Drehbuch: Giulio Ricciarelli, Elisabeth Bartel
Darsteller: Alexander Fehling, Gert Voss, Friederike Becht, Johann von Bülow
Laufzeit: 123 Minuten

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