Kompilationen und Abenteuer

Miriam Edlich-Muth untersucht König Artus als europäisches Phänomen

Von David NistersRSS-Newsfeed neuer Artikel von David Nisters

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Gegensatz zur gängigen modernen Editionspraxis umfassen spätmittelalterliche Bücher häufig eine Vielzahl von Texten unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit, die darüber hinaus in der Regel von verschiedenen Autoren verfasst wurden, sodass die Buchkultur des europäischen Spätmittelalters geprägt war von der Darreichungsform der Textsammlung, der Kompilation. Die mittelenglische Auchinleck-Handschrift (Edinburgh, National Library of Scotland MS Advocates 19.2.1), die aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert, kann hierfür als Beispiel angeführt werden, denn sie beinhaltet unter anderem Heiligenlegenden, Ritterromane und satirische Dichtung in der Volkssprache. Tatsächlich wird der Kompilator im Mittelalter nicht selten als eigenständiger Verfasser von Texten angesehen, etwa wenn der hl. Bonaventura (ca. 1217-1274) in seinem Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (ca. 1100-1160) die Funktion des compilator in Verbindung setzt mit derjenigen des Schreibers, des Kommentators und des Autors. Die genaue Betrachtung der Rolle des Kompilators sowie des Charakters der Kompilation ermöglicht daher einen sinnvollen Zugang zum Verständnis spätmittelalterlicher Dichtung, insbesondere vor dem Hintergrund der damals wachsenden Bedeutung volkssprachiger literarischer Kulturen.

In diesem Zusammenhang leistet die von der Cambridger Mediävistin Miriam Edlich-Muth verfasste und nun bei D.S. Brewer erschienene Monographie Malory and his European Contemporaries: Adapting Late Arthurian Romance Collections einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der vormodernen Textsammlung als literarischer Form. Die Autorin vergleicht die spätmittelalterliche Aufbereitung des Artusstoffes anhand verschiedener volkssprachiger Quellen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der „shared structural features of the collections with regard to their chronological arrangement of the material, their presentation of character and the solution they offer to the particular problems of the Arthurian storyline”. Fünf Textsammlungen über König Artus und dessen Ritter der Tafelrunde stehen im Mittelpunkt ihrer Untersuchung, nämlich die italienische Tavola Ritonda, der niederländische Lanceloet, das vom Münchener Dichter Ulrich Füetrer verfasste mittelhochdeutsche Buch der Abenteuer, die französische Sammlung von Artussagen in der Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale MS fonds français 112 und Thomas Malorys mittelenglisches Werk Le Morte Darthur. Da die italienische Tavola Ritonda und der niederländische Lanceloet aus dem 14. Jahrhundert, die drei übrigen Quellen hingegen aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts datieren, erlaubt dieser Ansatz der Autorin, Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Kompilationen als Aspekte einer gattungsspezifischen Entwicklung über einen längeren Zeitraum nachzuvollziehen.

Die Textsammlungen sind, so Edlich-Muth, trotz ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen volkssprachigen Traditionen insofern eng miteinander verknüpft, als sie eine chronologische Abfolge von Ereignissen darstellen, die wiederum mit der Biographie König Artus‘ in Verbindung steht. Aufgrund dieser Verbindung chronologischer und biographischer Elemente charakterisiert Edlich-Muth die Kompilationen als chronographies, denn „the term ‘chronography’ suggests the charting of chronological developments aligned to a biography – in this case, the biography of Arthur”. Gerade die Ausrichtung auf Artus‘ Leben bestimmt dabei die gemeinsame Grundstruktur der Chronographien, da die darin versammelten Einzelerzählungen jeweils einem Abschnitt in Artus‘ Biographie zugeordnet sind, nämlich entweder seinem Aufstieg zum König, der Blütezeit seiner Regentschaft oder seinem Niedergang. Gerade die Textsammlungen aus dem 15. Jahrhundert weisen im Vergleich zu früheren Werken jedoch einen starken Zuwachs an Erzählungen über die Abenteuer einzelner Ritter auf. So gliedert etwa Thomas Malory ein Abenteuer des Sir Gareth in seinen Morte Darthur ein, das in dieser Form in keiner weiteren Quelle belegt ist, und auch in Füetrers Buch der Abenteuer werden neue Ritter verschiedenster Herkunft in Artus‘ Hof eingeführt, was eine Anhäufung nicht nur von Rittern, sondern auch von Abenteuern zur Folge hat.

Der Zuwachs an Rittern und Erzählungen in den spätmittelalterlichen Chronographien um Artus und seine Tafelrunde ist hierbei eng verknüpft mit einer Veränderung in Form und Inhalt dieser Sammlungen. So verweist Edlich-Muth auf das Phänomen, dass neue Geschichten vor allem dem mittleren Abschnitt von Artus‘ Biographie, der Blütezeit seiner Regentschaft also, hinzugefügt wurden. Diese Strategie bewirkt eine Aufweichung der strengen chronologischen Aufbereitung des Artusmaterials, sodass die Autorin bemerkt: „In systematically cutting chronological markers in these middle sections, Malory and Fuetrer are able to add new tales into the open-ended and non-developmental phase that constitutes Arthur’s prime or ‘golden age’ without sacrificing consistency”. Dieser Ansatz wiederum ermöglichte es den Verfassern der Textsammlungen, den chronologischen Ablauf durch andere Aspekte zu ersetzen, um die Einheit und den Zusammenhang zwischen den einzelnen Geschichten zu garantieren. So wird die genaue chronologische Abfolge der Ereignisse in Füetrers Buch der Abenteuer vernachlässigt zugunsten einer Erzählstruktur, die den Übergang von den nahen zu den entfernten Verwandten Artus‘ nachvollzieht, wobei nahezu alle auftretenden Charaktere miteinander verwandt sind. Die Einbettung immer neuer Ritter und Erzählungen in die Grundstruktur der Geschichte Artus‘ verlangte von den Verfassern der Chronographien darüber hinaus die Entwicklung von Erzählstrategien, die die plausible Zusammenführung von Charakteren aus unterschiedlichen literarischen Traditionen erlaubten.

Auf der Grundlage des Vergleiches verschiedener spätmittelalterlicher Sammlungen vermittelt die Studie somit einen Einblick in die historische Entwicklung dieser volkssprachigen literarischen Tradition. Dabei steht die englischsprachige Bearbeitung des Artusstoffes nicht im Zentrum der Arbeit, trotz der Hervorhebung Malorys im Titel des Bandes. Vielmehr wird die englische Tradition arthurischer Dichtung stets im Zusammenhang mit den entsprechenden kontinentaleuropäischen Entwicklungen gesehen, wie es dem komparatistischen Ansatz der Autorin entspricht. Wer die Arbeit mit Gewinn lesen will, sollte allerdings über Grundkenntnisse hinsichtlich der Geschichten um Artus und seine Ritter der Tafelrunde verfügen, da die Vielzahl von Charakteren, die die arthurische Welt bevölkern, sowie deren Verhältnisse untereinander von der Autorin zumeist vorausgesetzt werden. Hervorzuheben ist außerdem der Anhang der Studie, in dem die Autorin die fünf zugrundeliegenden Chronographien vor allem hinsichtlich ihrer Überlieferungsgeschichte kurz und präzise erläutert, was aufgrund der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes äußerst hilfreich ist.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Miriam Edlich-Muth: Malory and his European Contemporaries. Adapting Late Arthurian Romance Collections.
D. S. Brewer, Cambridge 2014.
186 Seiten, 70,00 EUR.
ISBN-13: 9781843843672

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