Münsteraner Untiefen

Mit „Münsterland ist abgebrannt“ versucht sich Jürgen Kehrer am lokalen Globalkrimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass im beschaulichen Münsterland gut morden ist, ist nicht erst seit gestern bekannt, zumindest was das mediale Morden angeht. Hier, jenseits der urbanen Verwerfungen, darf nochmal beinahe jedes Motiv ran, für das die Provinz stehen mag: vom Brudermord bis zum Vetternraub ist da allerhand drin.

Davon versteht Jürgen Kehrer einiges, hat er doch dem deutschen Krimizuschauer jene Wilsberg-Reihe beschieden, in dem ein Verbrechen und ein altes Buch eine enge Verbindung eingehen. Schon vor den Zeiten des E-Books war Wilsberg so klamm dran, dass er sich immer wieder aufs alte Fach, das Recht, verlegen musste, dieses Mal eben auf der Seite der Aufklärer.

Wilsberg spielt in „Münsterland ist abgebrannt“ keine Rolle, dafür steht ein anderer Versehrter im Mittelpunt, der Kommissar Bastian Matt, der durch eine misslungene Rettungsaktion im Kosovo nachhaltig traumatisiert ist und aus irgendeinem Grund meint, in die Mordkommission zu müssen.

Zu mehr als zur Leiharbeit hat es bislang allerdings noch nicht gereicht, so auch für diesen Fall, einem vermeintlichen Selbstmord eines wohlhabenden und einflussreichen Münsteraner Privatbankers, der sich schnell als Mord herausstellt, dem dann ein weiterer folgt, dieses Mal ein Doppelmord.

Der Verdacht richtet sich auf eine Studentin, die als Begleiterin arbeitet und sich damit das Studium finanziert – nur dass sie nicht studiert und vor einigen Jahren, in Hamburg, im Umkreis von Ökoprotestierern aufgetaucht ist. Aha, ist die Folgerung, Öko-Terroristen könnten´s gewesen sein.

Der gemeinsame Nenner der beiden Morde ist, dass die Ermordeten an einem Pharmaunternehmen beteiligt waren, das mit einem Medikament groß geworden ist, dessen Basisstoff einem chinesischen Provinzgewächs entstammt. Um den Stoff zu gewinnen, sind die heutigen Opfer vor Jahrzehnten nach China gereist und haben die Sitten und Gebräuche eines fast vollständig abgeschotteten Volkes studiert. Den Stoff, den sie dabei fanden, probierten sie anschließend an einer Reihe von Frauen aus, von denen einige den Tod fanden.

Die Ausbeutung einer alten chinesischen Medizin und eines abgelegen lebenden Volkes, Experimente am lebenden Menschen, mit dem Beinamen skrupellos, wenn das man nicht Grund genug für eine Mordserie ist, an deren Auflösung sich Bastian Matt macht. Ihm hilft seine neue, befremdliche Freundin, die Gerichtsmedizinerin Yasi Ana, die demselben chinesischen Volk entstammt, das lange das Geheimnis dieses Wirkstoffes gehütet hat. Auch sie ist also in die ganze Sache involviert.

Die Geschichte eskaliert schließlich auf Spitzbergen, wo sich zwei weitere Beteiligte der damaligen Expedition treffen wollen (die eine will, der andere nicht), und am Ende sind die Bösewichter alle tot. Die Gerechtigkeit darf siegen, aber die Wahrheit ist das noch lange nicht, sodass Kehrer noch eine Schleife dreht, um klar zu machen, dass es das noch immer nicht war. Die Wahrheit nämlich liegt im reichen Münsterland, das eben sprichwörtlich abgebrannt ist. Ein Liedlein, das die demente Mama des Helden im Altersheim singen darf – auch wenn der Liedtext verfremdet wurde.

Das Problem dieses Krimis besteht darin, dass er ein biederes Schaufeld ins große Ganze drehen will (think local, act global). Was aber nicht funktioniert. Die Krähwinkel-Struktur passt nicht zum internationalen Thriller. Offensichtlich ist es Scherer zudem darum gegangen, das Motiv an das private Lebensfeld anzubinden, es quasi aus der Mitte des alltäglichen Leserlebens zu entwickeln. Missratene Kinder haben alle, nur nicht alle haben soviel Geld, dass missratene Kinder auf solche Abwege geraten.

Das allerdings ist nur eine Variante eines anderen von Krimischreibern gern genutzten Musters: Im alltäglichen Leben das Böse zu sehen, hinter die Oberfläche zu schaun, um dann so etwas wie das wirkliche Leben zu entdecken, was immer das denn sei. Dann tun sich Abgründe auf, das zivilisierte Leben hat mit einem Mal ganz andere Motive und Verhaltensweisen – Selbstsucht, Geldgier, Macht, Gewaltbereitschaft und Arroganz. So haben wir die Welt gern, weil das dann erklärt, warum so viel im Leben nicht so läuft, wie wir das gern hätten – davon abgesehen, dass es zweifelsfrei alle diese schlimmen Dinge ja auch tatsächlich gibt. Die Frage ist, wie dominant sind sie?

Es ist eine Entscheidung zwischen dem Normalzustand und dem Ausnahmezustand, irgendwie zwischen, sagen wir, Carl Schmitt und Walther Rathenau. Aber man soll einfache Kriminalromane nicht auch noch mit solchen Diskussionen überfrachten, selbst wenn sie definitiv dort eingreifen. Kehrer wenigstens ist ganz froh, seinen Helden einmal nach Spitzbergen und zurück zu bringen, dabei für Aufklärung zu sorgen und ihn auch noch in die Liebesgewohnheiten jenes Volkes einzuführen, von dem bereits die Rede war.

Titelbild

Jürgen Kehrer: Münsterland ist abgebrannt. Kriminalroman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
318 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499266508

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