Von Erzählwundern

Was Walker Percys Kinogeher und Sibylle Lewitscharoffs Pfingsterlösungsentwurf gemeinsam haben

Von Tanja Angela KunzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Angela Kunz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 2010 vergibt die Universität zu Köln jährlich eine Literator-Dozentur für Weltliteratur. Nach den Reden des ersten Literators Daniel Kehlmann und des zweiten Dozenten Peter Esterházy, ist nun die Rede der Literatorin von 2012 in Druckform erschienen: Sibylle Lewitscharoff. Ihr Nachfolger war 2013 der Schriftsteller und Lautpoet Michael Lentz, dessen Redeabdruck zu erwarten bleibt.

Zwischen der Rede und ihrem Erscheinen liegen nicht nur etwa zwei Jahre. Sibylle Lewitscharoff hat sich seitdem in kulturkritischen Reden, wie beispielsweise jener am Dresdner Schauspielhaus im Frühjahr 2014, in Öffentlichkeit und Wissenschaft unbeliebt gemacht. Wie unter anderem ein Blick auf die Literaturkritik zu Ihrem jüngsten Roman Killmousky (2014), aber auch die editorische Notiz in dem der Autorin gewidmeten Band von Text und Kritik (2014) zeigen, werden Ihre Werke seitdem mit anderen Augen betrachtet: Hervorgehoben wird das „erzkatholisch-konservative[] Weltbild“ (Jens-Christian Rabe), kritisiert werden die „leutselig dargebotenen Ressentiments“ (Sebastian Hammelehle im Spiegel) und gesucht wird nach Gemeinsamkeiten der Werke mit den „retrograde[n] Thesen“ der Autorin (Stefan Kister in Stuttgarter Zeitung).

Erstaunlich genug, dass solche Tendenzen erst nach der sogenannten „Skandalrede“ der Autorin bemerkt worden sein sollen. Nicht weniger bedenklich jedoch, dass die ungebrochen vorhandene Wortgewalt der Autorin nun vor allem in der Literaturkritik unter Generalverdacht zu stehen droht. Hat sich Sibylle Lewitscharoff aus der ihr lange Zeit zugeordneten Schublade einer zur Verbesserung der Menschen beitragenden Femme de Lettres in die Freiheit eines ruinierten Rufs eingekerkert?

Festzuhalten bleibt, dass der von Ines Barner und Günter Blamberger nun herausgegebene Band Literator 2012. Dozent für Weltliteratur. Sibylle Lewitscharoff, der ein Grußwort des Rektors, eine Laudatio von Günter Blamberger sowie die Eröffnungsvorlesung Sibylle Lewitscharoffs mit dem Titel Held oder Heiliger? Über den Kinogeher von Walker Percy im Internationalen Kolleg Morphomata der Universität Köln versammelt, aus einer Zeit weitestgehend ungetrübter Verehrung der Autorin stammt, die heute kaum mehr so ungebrochen möglich wäre.

Und so offenbart sich der Laudator Günter Blamberger unmittelbar als begeisterter Leser der Werke von Sibylle Lewitscharoff und betont die Einzigartigkeit und Besonderheit ihrer Bildsprache. In seiner Rede gibt Blamberger einen leicht verständlichen Einstieg in das bislang erschienene Werk von Sibylle Lewitscharoff und stellt zugleich deren grundlegendes Thema vor: Die erzählexperimentelle Beschäftigung mit dem empirisch nicht Fassbaren und Unnennbaren. Dieser Einführung wird Lewitscharoff sodann gerecht, indem sie vor dem Publikum flink ein mögliches Romangebilde entwirft. Keine Frage, Lewitscharoff gibt sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden: Und so stellt sie unvermittelt das „Wunder“ dem „Bunker des Realen“ entgegen, wenn sie ein Romanprojekt um ein modernes eine Gemeinschaft von Danteforschern in Rom von ihrem irdischen Dasein erlösendes Pfingsterlebnis entwirft.

In diesem Zusammenhang fragt Lewitscharoff nach den Möglichkeitsbedingungen einer zeitgenössischen Literatur, die kitschfrei „vom Gutsein handelt und obendrein gut ausgeht“. Als seltenes Beispiel hierfür nennt sie Walker Percys Moviegoer und betont dabei zugleich, dass die regionalen, politischen und künstlerischen Bedingungen, in denen der Roman entstand, es unmöglich machten, ihn als Vorbild für ein ähnliches Romanprojekt in Deutschland heranzuziehen.

Was Walker Percys Kinogeher und das von Sibylle Lewitscharoff imaginierte Pfingstwunder gemeinsam haben, ist die sprachliche Filigranität, die das Unsichtbare vor dem Auge des Lesers auszubreiten vermag. Lewitscharoff beschreibt dies bei Percys Hauptfigur Jack Bickerson Bolling als die schwierige aber geglückte Verbindung aus einem „melancholischen Insichgekehrtsein“ mit einer „Strahl- und Tatkraft“, was dazu führt, „dass sich der Mann nie in den Vordergrund spielt“ und dennoch nicht blass wirkt. Der Autor habe ihn mit „insgeheimen Kräften“ und einer „großen, gleichsam schleichenden Wirkmacht“ begabt. In dieser abwesenden Anwesenheit weilt auch der Erzähler des Pfingstwunders, der sich erst beim Wundergeschehen selbst dem Leser als Zeuge zu Erkennen gibt. Dabei aber präsentiert er sich zugleich als der einzige Unerlöste und zukünftige Purgatoriumsverdammte: Zum einen kommt ihm die tradierende Aufgabe des Erzählens zu. Zum anderen aber wird er dem Verdacht der irdischen Kriminalisten ausgesetzt sein, die das unerklärliche Verschwinden der Forschergemeinschaft untersuchen.

Wenn Jack Bickerson Bolling als imaginäre Stimme an dieser Stelle dem fiktiven Rausch Lewitscharoffs Einhalt zu gebieten sucht, so deshalb, weil es auch einen großen Unterschied zwischen Walker Percys Kinogeher und Lewitscharoffs Pfingstwunder gibt: Der Charme von Jacks Glück liegt darin, dass es bescheiden dem Alltäglichen verhaftet bleibt. Sibylle Lewitscharoff geht es hingegen, wie eingangs durch Günter Blamberger erwähnt, um das Außergewöhnliche, Unfassbare, Absonderliche, und dies bedeutet, um die Ahnung von einer unbegreiflichen Transzendenz.

Allein um der Sprachmacht der Sibylle Lewitscharoff Willen, die gespickt ist von einer beflügelnden Ironie und einem gekonnt eingesetzten schwäbisch-trockenen Humor, lohnt sich eine Lektüre ihrer Rede. Auch ist es ein Vergnügen, sie bei ihrer literarischen Fantasiearbeit zu begleiten, die durch eine sich stets erweiternde Komplexität aus dem Einfachen ein erahnbares, interpretationsfähiges, plötzlich nicht mehr nur zukünftiges und dennoch provisorisch bleibendes Sprachgebilde webt, von dem sich der Leser wünscht, sie würde es weiterspinnen, als sie abbricht.

Titelbild

Ines Barner / Günter Blamberger (Hg.): Literator 2012: Sibylle Lewitscharoff. Dozentur für Weltliteratur.
Reihe: Morphomata Lectures Cologne 10.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014.
39 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783770557073

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