Was macht das Leben spannend auf der Zielgeraden?

Sibylle Bergs neuer Roman „Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand“ fragt danach, was Menschen beieinanderhält

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist Theaterregisseur – aber einer, mit dem es langsam bergab geht. Sie Antiquarin – und seine Frau. Rasmus und Chloe sind die Hauptpersonen in Sibylle Bergs neuem Roman „Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand“. Der Leser lernt sie während eines Aufenthalts in einem Land der Dritten Welt kennen. Rasmus will hier Theater mit jugendlichen Laienschauspielern machen. Chloe langweilt sich und hat genügend Zeit, über ihre Ehe nachzudenken.

Abwechselnd lassen beide Figuren uns ein in ihre Gedanken – Sibylle Berg hat diesen ästhetischen Kniff schon einmal in ihrem Büchlein „Habe ich dir eigentlich schon erzählt … Ein Märchen für alle“ (2006) gewinnbringend angewandt. Man reflektiert über seine Beziehung, Vergangenheit und Gegenwart, Alltag und Älterwerden, Erste und Dritte Welt, Gutmenschentum und soziale Missstände. Und selten ist es nicht, dass er und sie zum selben Thema unterschiedlicher Meinung sind. 

Allein mit ihnen selbst ist eigentlich alles in bester Ordnung. Zwanzig Jahre sind Rasmus und Chloe verheiratet. Und irgendwie funktioniert die Geschichte immer noch. Nur der Sex hat nachgelassen beziehungsweise war noch nie so prickelnd, wie er eigentlich hätte sein müssen. Aber ist das so wichtig, wenn man sich liebt? Kühlt nicht jede Beziehung irgendwann einmal ab? Und sollte man nicht eher dankbar sein, wenn die Hormone einen nicht mehr in jede Venusfalle locken?

Aber wer denkt schon so rational, wenn er Mitte 40 ist, anfängt, Spiegel zu meiden, aufgehört hat, seine Geburtstage zu feiern, und sich ohnehin von den Krankenkassen verraten fühlt: „Es wird schlechter, egal, was uns die Krankenkassen erzählen von einem erfüllten Alter. Es wird schlechter, anstrengender, die Augen versagen, das Gehör fällt aus, die Osteoporose nagt. Die Menschen sind für die sogenannte zweite Lebenshälfte nicht gemacht. Wie sehr auch alle bekräftigen, wie großartig das Leben sei mit diesem entspannenden Wissen, über das sie im Alter verfügen, die Wahrheit ist: Keiner braucht alte Menschen mit ihren Weisheiten. Die Jungen wünschen sich nur, dass die Alten verschwinden, und damit haben sie recht.“  

Nicht unbedingt politisch korrekt, wie Chloe denkt. Aber das kennen die Leser ja von den Heldinnen Sibylle Bergs und vielleicht liest man diese Autorin gerade deshalb so gern, weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt, die Dinge beim Namen nennt, gerne auch mal übertreibt und Reales in Grotesk-Surreales kippen lässt. Schön fühlt sich das „Warten auf den Tod“, als das Bergs Heldin ihr Leben begreift, jedenfalls nicht an, wenn beide Partner nur noch mehr oder weniger still vor sich hin masturbieren und ihr überragendes, von gegenseitigem Verstehen getragenes Miteinander letzten Endes schuld daran zu sein scheint, dass man eigentlich nie „sexuell die Sau rauslassen“ kann.

Da kommt Benny gerade recht. Der fremdländische Masseur mit dem perfekten Körper gibt Chloe all das, wonach sie sich zwanzig lange Jahre gesehnt hat. Zwar lässt er gesprächskulturell ein paar Wünsche offen, doch die kann sie sich ja später von ihrem Mann erfüllen lassen. Im Moment jedenfalls ist sie komplett überwältigt von dieser vielleicht letzten Leidenschaft ihres Lebens, wendet ihrem Eheglück den Rücken zu und kann von Benny auch nicht lassen, nachdem sie gemeinsam mit Rasmus nach Deutschland zurückgekehrt ist. Also kommt ihr exotischer Lover nach und es beginnt eine merkwürdige Ménage a trois, in der Rasmus derjenige ist, der dem wilden Treiben der beiden Sexbesessenen vom Nachbarzimmer aus zuhören muss.

„Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand“ ist ein Roman, der viele Themen und  Motive, die wir aus früheren Werken Sibylle Bergs schon kennen, noch einmal bündelt. Witzig, elegant, ein bisschen pornografisch, ein bisschen provokant, dennoch wunderbar lesbar. Keine Welterklärung aus dem Geiste des Nihilismus – aber so streitbar wie weise. Als moderner Eheratgeber taucht das Buch freilich weniger. Denn welche Erkenntnis soll man aus der Geschichte schon ziehen? Geht es doch Chloe mit ihrem neuen Lover nicht anders als mit allen anderen vorher – am Ende steht die Enttäuschung: „Nun geh schon, denke ich, geh schon […]. Die Haustür schlägt hinter ihm zu. Ich beginne aufzuräumen. In zwei Wochen darf Rasmus nach Hause.“

Titelbild

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
254 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247604

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