Aufrechter Kämpfer

Im siebten Teil seiner Tagebücher schreibt der Anarchist Erich Mühsam über die Hoffnung auf eine Revolution

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Man müsste schon jeden Tag einige Seiten des Tagebuchs vollschreiben, um mit den Abwechslungen innerhalb der Anstalt und draußen in der Welt einigermaßen mitzukommen.“ So schrieb Erich Mühsam am 21. Januar 1920 in sein Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Niederschönenfeld in Bayern, wo er seit dem 15. Oktober inhaftiert ist und bis zum 20. Dezember 1924 eingesperrt sein wird. Gemeinsam mit Ernst Toller und Gustav Landauer gehörte Mühsam zu den Anführern der Münchner Räterepublik. Nach dem vereitelten Palmsonntagsputsch wurde er festgenommen und wegen Hochverrats zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der siebte Band seiner Tagebücher – nun im Verbrecher Verlag veröffentlicht – beschreibt die erste Phase dieser Haft, die Jahre 1919 bis 1921. Und auch wenn Mühsam in der Tat immer wieder einzelne Tage auslässt, dokumentiert er auch diesen Abschnitt seines Lebens wieder sehr ausführlich. Stattliche 405 Seiten sind so zusammengekommen.

Der erste Eintrag datiert vom 19. November 1919. Mühsam sitzt seit sieben Monaten in der „Hölle von Ansbach“. Unter seinen Mithäftlingen haben sich verfeindete Splittergruppen gebildet. Mühsam teilt die harte Linie der KPD nicht, was die anderen mit sozialer Isolierung, übler Nachrede und Intrigen quittieren. Eine Aussprache wird ihm verwehrt, Briefe werden ihm nicht ausgeliefert, weil die „Gruppe“ im Besitz des Schlüssels ist. Gerade diese Beschreibung des systematischen „Mobbings“ sind auf den ersten Seiten des Bandes eindrücklich beschrieben.

Schärfung des Profils

Mühsams Wunsch nach einer Versetzung nach Niederschönenfeld erfüllt sich am 15. Oktober 1920. Dort trifft er zwar alte Freunde, aber auch neue Feinde. Die Begegnung mit dem pazifistischen Dichter Ernst Toller fordert ihn in besonderem Maße heraus. Mühsams Einträge sind schonungslos. Das Tagebuchschreiben als Therapie. Mit Anfang, Mitte 40 hat Mühsam ein scharfes Profil entwickelt; die Gefangenschaft und die rasanten Veränderungen der Verhältnisse zwingen ihn jedoch ständig aufs Neue, Stellung zu beziehen. In Einzelhaft verfasst er einige seiner wichtigsten Werke: das Judas-Drama und seine Streitschrift zur Einigung des Proletariats.

Das Tagebuch gibt schonungslos, stilsicher und pointiert Einblick in das Seelenleben des Schreibers. Der Leser erfährt von den Schikanen der Kerkermeister, spürt die immer wieder aufkeimende Revolutionshoffnung und die zunehmende Sorge vor einem Scheitern. Mühsam Tagebücher sind Zeugnis eines großen Kampfes, in dem es um alles geht, „ums tägliche Überleben und um die Zukunft der Menschheit, um den eigenen Stolz und um die Menschenwürde, um den Versuch der Vermenschlichung von Gefängnisaufsehern und um die Weltrevolution“, wie Chris Hirte es im Nachwort beschreibt. Das Zusammenwirken von Privatem und Öffentlichen macht den Reiz dieser Tagebücher aus. „Gott mag wissen, ob das nächste Tagebuchheft noch voll wird. Ich rechne mit allen Möglichkeiten“ – so lautet der letzte Eintrag in diesem siebten Band. Wie wir wissen, wurden es einige mehr. Band 8 von 15 geplanten Editionen erscheint im Frühjahr und widmet sich dann ganz den Eintragungen im ereignisreichen 1921.

Titelbild

Erich Mühsam: Tagebücher. Band 7. 1919-1921.
Herausgegeben von Chris Hirte und Conrad Piens.
Verbrecher Verlag, Berlin 2014.
405 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426833

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