Ein Sohn mit besonderen Vorzügen

Kurze Anmerkungen zu Jo Nesbøs Thriller „Der Sohn“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Oslo sitzt Sonny Lofthus in einem der modernsten Gefängnisse Norwegens. Er ist ein Mustergefangener. Seit über 10 Jahren hört sich die Geschichten seiner Mithäftlinge an, gewinnt ihr Vertrauen und ihren Respekt. Fast religiöse Züge nimmt der Protagonist an, wird ihm doch auch von seinen Mitgefangenen die Fähigkeit zugesprochen, die Sünden der anderen Menschen auf sich zu nehmen. Darüber hinaus kann er sich seit über einem Jahrzehnt einem exzessiven Drogenkonsum hingeben. Im Gegenzug für dieses Privileg erledigt er für den Gefängnisleiter illegal „Jobs“ außerhalb des Gefängnisses. Diesmal übernimmt er die Verantwortung für einen Mord, den er nicht begangen hat, um dem eigentlichen alibilosen Täter zu entlasten. Dieses Vorgehen wird von einflussreichen Persönlichkeiten in der Politik und im organisierten Verbrechen gedeckt. Wie es zu diesem „Arrangement“ kommen konnte, erfährt der Leser erst nach und nach im Laufe der Lektüre. Der Protagonist Sonny Lofthus, genannt der „Sohn“, ist aber vor allem auch der Sohn des erfolgreichen Polizisten Ad Lofthus, der zum Ende seiner Karriere mit einem Geständnis, korrupt zu sein, aus dem Leben getreten ist. Seinem Sohn hat er nur die Erinnerung an eine gescheiterte Polizeilaufbahn und an eine verlassene Familie hinterlassen. Die Auswirkungen dieser persönlichen Katastrophe reichen bis in die Gegenwart hinein und sind maßgeblich der Grund, warum sich Sonny durch Drogen der Wirklichkeit entzieht.

Die polizeilichen Ermittlungen zu dem oben erwähnten Mord, für den Sonny Lofthus als Täter in Frage kommt, nimmt Simon Kefas auf. Der Mordfall ist merkwürdig, weckt sofort sein Interesse. Hinzu kommt noch, dass Simon Kefas, Ermittler der „alten Schule“, ein guter Freund von Sonnys Vater war. Die Ermittlungen von Kefas kreuzen sich mit dem Gefängnisausbruch von Sonny, der durch ein Geständnis eines Mitgefangenen erfährt, das sein Vater nicht korrupt war und keinen Selbstmord begannen hat, sondern ermordet wurde. Sonny will Rache und bricht aus.

Damit beginnt eine rasante Jagd durch Oslo und seinen Vororte. Dabei sind allerdings einige Merkwürdigkeiten zu verzeichnen, die für die ansonsten sehr präzisen Beschreibungen Nesbøs ungewöhnlich sind. Wie konnte sich der Protagonist Sonny Lofthus seine beeindruckenden Fähigkeiten aneignen? Warum kann der aus dem Hochsicherheitstrakt ausgebrochene und als Mörder gesuchte Häftling unbehelligt durch Oslo wandern? Warum kann er in dem ehemaligen Elternhaus unbeobachtet übernachten? Warum wird das Haus nicht überwacht? Warum kann er problemlos Profikiller ausschalten? Zumindest werden diese Sachverhalte nicht geklärt und sind insofern eher der auratischen Persönlichkeit des Protagonisten zuzurechnen. Doch diese Ungereimtheiten beeinträchtigen nicht das Lektürevergnügen, Lofthus und Kefas bei der Suche nach dem ehemaligen Maulwurf zu suchen, der offensichtlich hinter den Ungereimtheiten des Todes von Sonnys Vater steckt. Die polizeilichen Ermittlungen bleiben dabei eher im Hintergrund und es ist Sonny, der Handlung und Aufklärung der Sachverhalte vorantreibt.

Dieser gebrochene und zwiespältige Protagonist weckt Sympathie beim Leser, obwohl er ein drogenabhängiger Killer ist. Aber seit Tom Ripley mögen wir sympathische Mörder sowieso. Im Zwielicht stehen eher Vertreter aus der Politik und dem Polizeiapparat mit seinen zweifelhaften Vertretern. Positive Charaktere sind eigentlich nur Simon Kefas und sein junge Kollegin.

Letztendlich zeigt Nesbø, das seine erzählerischen Qualitäten nicht an seinen Charakter Harry Hole gebunden sind und er auch neben dieser Romanserie starke Personen und Charaktere zum Leben erwecken kann. Und das alles in einer gut lesbaren Übersetzung, die nicht an Geschwindigkeit verliert und den Leser einige Stunden mit guter Kriminalliteratur unterhält.

Titelbild

Jo Nesbø: Der Sohn. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob.
Ullstein Verlag, Berlin 2014.
522 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783550080449

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