Die Metamorphose der leidenschaftlichen Liebe

In „Liebe. Eine kleine Philosophie“ beschreibt André Comte-Sponville die drei Seinsformen der Liebe

Von Jana FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Stendhals Le Rouge et le Noir (Schwarz und Weiß) wird Juliens Seele von einer Erregung erfasst, die in ihrer Intensität kaum zu überbieten ist. Er ist überwältigt von Madame de Rênal und auch sie wird durch den schönen Jüngling von der Leidenschaft davongetragen. Doch es handelt sich um eine Leidenschaft, die nur im Unglück von Dauer sein kann, da Julien gerade das begehrt, was er nicht zu besitzen vermag. So jedenfalls müsste die Deutung des französischen Autors André Comte-Sponville aussehen, wenn er die Weise, wie sich Julien und Madame de Rênal lieben, beschreiben sollte.

In Liebe. Eine kleine Philosophie, die von Hainer Kober ins Deutsche übertragen und 2014 im Diogenes Verlag veröffentlicht wurde, beleuchtet der Autor drei verschiedene Formen der Liebe: Eros, Philia und Agape. Eros ist die niedrigste Art zu lieben. Wenn wir gemäß dem Eros lieben, können wir nie glücklich sein, da Liebe hier immer Begehren bedeutet und Begehren immer einen Mangel miteinschließt, so der Autor. Nicht nur Julien in Le Rouge et le Noir liebt auf eine solch niedrige Weise. Der Verführer Don Juan vermag ebenfalls nur auf eine solche Art zu lieben, da dieser nur die Frauen begehren kann, die ihm fehlen.

Comte-Sponville ‒ der schon in Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben (1996) über die Liebe schrieb und sich in Sex (2015) der Lust als solcher widmet ‒ entlarvt eine solche Form der Liebe als eine, die im Unglück enden muss, denn: „Solange ich nur begehre, was ich nicht habe, habe ich nie das, was ich begehre. Wie könnte ich glücklich sein?“ Stattdessen solle der Liebende hinaufklettern. Hinaufklettern auf der Leiter der Liebe, stufenweise von der niedrigsten und zugleich leichtesten Form zur höchsten Form der Liebe, die viel seltener und anspruchsvoller ist. Comte-Sponville referiert hierbei auf das Symposion, das in Dialogform verfasste Werk Platons. Aber warum fokussiert er sich nicht auf die Rede der Diotima, die doch den Schlüssel für seine Hauptaussage ‒ dass die Liebe die niedrigste Ebene verlassen und aufsteigen soll ‒ liefert, und arbeitet diese klar heraus?

Auf welchem Weg man die wahre und wirkliche Liebe erlangt, wird in der Rede von Diotima nämlich folgendermaßen dargestellt: Der Weg, auf dem der Mensch zum Schönen selbst gelangen kann, besteht darin, wie auf einer Leiter verschiedene Stufen emporzusteigen. Der Weg beginnt bei der Liebe zu einem besonderen schönen Körper. Von der Liebe zu einem schönen Körper geht der Mensch weiter zu der Liebe aller schönen Körper, wenn er erkennt, dass die Schönheit an allen Körpern ein und dieselbe ist. Von dort führt der Weg weiter zu der Liebe zur geistigen Schönheit der Seele.

Und genau hierum geht es doch Comte-Sponville: die Fähigkeit, den Mangel in Freude umwandeln zu können. Nicht bei der Liebe als Begehren stehen zu bleiben, sondern die leidenschaftliche in eine aktive und die verrückte in eine vernünftige Liebe umzuwandeln. „Es geht darum, dass wir aufsteigen von der einfachsten Form der Liebe, die zugleich die wichtigste, fundamentalste, mächtigste Form ist (Eros: Primat der Sexualität), zur höheren und höchsten Form der Liebe, die auch die zerbrechlichste und ungewisseste ist: der Freude zu geben, zunächst den Nahestehenden (Philia), dann dem Nächsten (Agape).“

Wer Liebe. Eine kleine Philosophie liest, wird sich wahrscheinlich selbst enttarnen, denn er muss unweigerlich erkennen, dass er noch weit davon entfernt ist, wirklich lieben zu können. Die höchste Form der Liebe, die Nächstenliebe, existiert nur als Ideal. Oder wer könnte schon seine Liebe als eine gänzlich vom Ego befreite, uferlose und unparteiische charakterisieren? Diese Selbstreflexion ist es, weshalb die Lektüre ein gutes Gespräch mit dem Autor darstellt. Es ist gerade die so naheliegende Frage nach dem Wesen der Liebe, die sich die meisten Menschen nicht stellen, obwohl sie alles daran setzten möchten, glücklich zu lieben. Der ehemalige Philosophieprofessor schafft es, diese Überlegungen über die Herkunft der Liebe und ihr Wesen ins Bewusstsein seiner Leserschaft zu rücken und damit die unbedingt notwendige Basis zu schaffen, die jeder Beschäftigung mit der Liebe zugrunde liegen sollte.

Comte-Sponville führt eine Menge an Bezügen in Liebe. Eine kleine Philosophie auf, aber er verliert sich nicht in diesen. Gerade darin mag auch die Zielsetzung des Autors liegen. Nämlich nicht in die unergründlichen Tiefen der Philosophie einzutauchen, sondern eine Zusammenschau über das diffuse Thema Liebe dazulegen, die jedermann eine philosophische Auseinandersetzung ‒ sei sie auch noch so schemenhaft ‒ ermöglicht. Auch dadurch, dass die Niederschriften den Charakter des Mündlichen innehaben, wird ihnen die Schwere genommen, die geschriebene Texte zuweilen aufweisen. Also: eine leicht zugängliche Lektüre zum großen Thema Liebe! 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Andre Comte-Sponville: Liebe. Eine kleine Philosophie.
Übersetzt aus dem Französischen von Hainer Kober.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
192 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068900

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