Weiterhin auf Talfahrt

T. C. Boyle versucht sich in „Hart auf Hart“ an der dunklen Seite des amerikanischen Traums, tappt jedoch letztlich, sich verlaufend, im Nirgendwo umher

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anlässlich einer am 10. Dezember 2013 veröffentlichten Petition von 560 Schriftstellern aus 83 Ländern, eine verbindliche internationale Konvention der digitalen Rechte fordernd, erklärt der Bestsellerautor T. C. Boyle, sicherlich bereits den Geist seines neuen Romans atmend: „Während wir schliefen, haben die Maschinen die Welt übernommen, genau wie es die alten Science-Fiction-Filme voraussagten. Regierungen bauen und betreiben die Maschinen, und die Maschinen sammeln Daten, die immer missbraucht werden. Man kann nicht in die Öffentlichkeit gehen, ohne gefilmt zu werden, kann keine Website besuchen, ohne verfolgt zu werden, kann nicht zum Abendessen in ein Restaurant gehen, ohne dass der Aufenthalt dort markiert wird. Es gibt kein Rückzugsgebiet mehr. Und es gibt kaum etwas, das wir dagegen tun können, außer auszusteigen. Surfen Sie nicht im Internet, gehen Sie nicht hinaus auf die Straße, sprechen Sie die Drohnen nicht persönlich an. Zerstören Sie einfach das Telefon und den Computer, und nehmen Sie den Hinterausgang Ihres Hauses, Ihres Appartements, Ihrer Hütte oder Ihres Schuppens, und vergraben Sie sich im Dreck. So etwas nennt man demokratische Wahl. Man nennt es auch Rückzugsgebiet.“ Das ist selbstverständlich reine Provokation, denn wer möchte schon gerne in einer Höhle im Dreck vegetieren?

1.

Nun, die Helden seines neuen Romans versuchen sich eben hieran, mehr oder weniger konsequent. Da ist einmal die 40-jährige Sara, die sich ins kalifornische Hinterland zurückgezogen hat, um dort ihre Vorstellung von Freiheit auszuleben. Das bedeutet vor allem, dass sie ihren Hund nicht impft und die Anschnallpflicht ignoriert, denn „sie war keine Untertanin, sie war eine souveräne Bürgerin, in Amerika geboren und aufgewachsen, und sie würde weder jetzt noch sonst irgendwann eine unrechtmäßige Autorität akzeptieren.“

Dumm nur, dass während einer Polizeikontrolle der nicht geimpfte Hund eine Polizistin beißt und die verhasste Autorität unvermittelt hart durchgreift, den Hund wegsperrt und Sara das Autofahren verbietet. Fuchsteufelwild entschließt Sara, das geliebte Tier zu befreien und trifft auf dem Weg zum Heim zufällig Adam; womit die Sache ihren Lauf nimmt.

Adam wiederum nennt sich als mahnende Erinnerung an einen Waldläufer glorreicher Wild-West-Zeiten lieber Colter und hilft als ein solcherart gestricktes Raubein alter Schule natürlich gern beim Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die beiden passen in dieser Hinsicht ohnehin gut zusammen, denn auch Adam hadert mit der Welt: „Es gab auf der Welt keine Unabhängigkeit mehr, nur noch Abhängigkeit, und die Tiere starben, der Himmel war wie eine Wunde, und alles hatte ein Preisschild.“ Kein Wunder also, dass Sara nach erfolgreicher Entführung des Tieres dem jungen Mann bereitwillig zu einer einsamen Hütte im Wald folgt: Der Sex ist einfach wunderbar und Adam ein gestählter, kahlköpfiger Wutbürger, der jede Polizeistreife mit herausgerecktem Doppel-Stinkefinger beschimpft. Ganz nach Saras Geschmack also.

Allein, die sich abzeichnende Idylle zweier Outlaws wird rasch von Adams anschwellendem Irrsinn konterkariert. Es sind die schwächsten Kapitel des ohnehin schwachen Romans, da es partout nicht gelingen will, den Wahnsinn als Wahnsinn fühlbar werden zu lassen; stattdessen wirkt das alles sehr neutral und theoretisch, weshalb Boyle wohl besser darauf verzichtet hätte, Adam mit Hilfe der personalen Erzählhaltung zu gestalten. Diese Problematik betrifft aber letztlich so gut wie alle Figuren des Romans: Da wirkt beispielsweise Sara trotz ihrer vehementen politischen Ansichten bei weitem zu reflektiert, um sich dermaßen vorbehaltlos mit Adam einzulassen – die pubertär anmutenden Verweise auf knallharten Sex jedenfalls reichen da nicht wirklich aus. Immerhin hockt Adam als kahlgeschorenes Symbol des White Trash mit Gewehr im Anschlag schweigend am Tisch, Risotto verschlingend und aus zu Schlitzen verengten Augen zu Sara starrend, vom „ficken“ brabbelnd – wer möchte sowas schon daheim haben? Nun ja, der Mensch bleibt halt doch ein Mysterium, gewiss, nachvollziehbar aber wird es auch unter Zuhilfenahme dieses immer tauglichen Klischees nicht wirklich.  Später tötet Adam dann einige Menschen und verschanzt sich endgültig in dem eingangs erwähnten Dreckloch.

2.

Das ist so uninteressant zu lesen wie miserabel konstruiert – führt nämlich nirgendwo hin, da bis zuletzt nicht klar wird, wohin Boyle eigentlich will. Wenn es ihm tatsächlich um eine Reflexion über die Möglichkeit eines Rückzugs in Zeiten totaler Überwachung und Kontrolle geht, um Freiheit also letztlich in einem Land, das eben diese garantiert und doch immer stetiger negiert, dann enttäuschen die agierenden Revolutionäre auf ganzer Linie. Da werden ein paar Schlagworte zwar immer wieder erwähnt, doch bleibt all das seltsam leer und unausgegoren – zudem ist Adam als Personifikation jener Freiheitsliebe eine schlechte Wahl, immerhin wahrhaftig geisteskrank. Sollte dieser also tatsächlich die amerikanische Verfasstheit spiegeln, wie die Verweise auf amerikanische Geschichte und auch das Motto von D. H. Larence nahelegen („Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder“), dann scheint diesem Land noch mehr Kontrolle eigentlich gut zu tun, da die Seelen in der Tat irre geworden sind.

Erzählt Boyle also vom White Trash? Von den Verlierern also, die sich mit roher Gewalt äußern? Dafür sind – außer Adam, der nun einmal krank ist – alle bei weitem zu wenig trash, sind zu reflektiert, zu gebildet, kochen zu gerne mit guten Zutaten und verweigern sich eben freiwillig der Moderne. Natürlich kann Boyle, wenn er denn möchte, ein Einzelschicksal mitsamt all der dem Leben notwendigerweise verhafteten Sinnlosigkeit erzählen, verwirrt aber dann mit den erwähnten Einschüben und Verweisen auf großartige Sinnzusammenhänge. – Nein, je länger man es dreht und wendet, desto deutlicher wird, dass es hinten und vorne nicht passt. Selbst zur Satire, einer boshaften gar, wie der Klappentext wenig originell verspricht, taugt das Material nicht: Der Roman ist und bleibt misslungen, da können auch einige wenige gute Szenen nichts dran drehen.

Dies gilt für den einzig geglückten Strang des Romans, die wunderbar erzählte Geschichte von Adams Eltern, die so ihre eigenen Probleme haben und im weiteren Verlauf angesichts ihres Amok laufenden Sohns vollends den Boden unter ihren Füßen verlieren, um sich am Ende mühsam wieder zu berappeln. Das ist gute Literatur in der besten Tradition amerikanischer Romanciers, nämlich anrührend, authentisch und kohärent. Und doch vermag es diese Episode trotz enormer Qualität nicht, den Rest zu tragen – zerfasert nämlich in dem Wust einer unausgegorenen Schreibwut, die alles erreichen, jedem gefallen und dem Mythos der Great American Novel gar zu gern entsprechen möchte. Vermutlich hätte Boyle die Handlung besser ganz auf Sten und Carolee, Adams Eltern, ausgerichtet und sich etwa American Pastoral von Philip Roth, dem er stilistisch ohnehin immer ähnlicher wird, zum Vorbild genommen: Auch dort sind Eltern mit einem gewalttätigen Kind konfrontiert, auch dort symbolisiert der familiäre Konflikt amerikanische Geschichte; allein, Roth konzentriert sich ganz auf den Vater und entwickelt die Gegenposition des Kindes allein in Form von Gesprächen und Rückblenden, womit Authentizität, Glaubwürdigkeit und eine parabelartige Kommentierung historischer Faktizität erreicht wird. So aber bleibt es dabei und Boyle findet auch mit diesem Roman nicht zur einstigen Form zurück: Lang ist’s her.

Titelbild

T. C. Boyle: Hart auf hart. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
396 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247376

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