Die Zeichen einer Zeit

Georg Scheibelreiter entführt in die Welt der „Wappen im Mittelalter“

Von Marcus MeerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Meer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was Wappen mit Mittelalter sein möchte, ist von Georg Scheibelreiter im Vorwort klar umrissen: Weder wolle das Buch eine Einführung in die Heraldik als historische Hilfswissenschaft sein, noch verstehe es sich als ein spezialisiertes Studienbuch zu diesem Gegenstand. Ein „Bilderbuch“ sei das Werk deshalb aber ebenso wenig. Vielmehr sei „Wappen im Mittelalter“ ein Versuch im Rahmen der Sozial-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte, der von den Wappen ausgeht und darlegen will, welch hoher Wert dem Verständnis des Wappenwesens für die Erkenntnis der mittelalterlichen Periode unserer abendländischen Vergangenheit zukommt“.

Dabei finden sich in „Wappen im Mittelalter“ durchaus Elemente des klassischen Heraldik-Lehrbuchs: Scheibelreiter beschreibt die vielfältige Gestalt und geschichtliche Entwicklung von Schild, Helm und Helmzier als Trägermedien heraldischer Symbolik; er läutert die Funktionen von Beizeichen und Prachtstücken (Schildhalter, Devisen, Amtszeichen, Orden etc.) beim Anzeigen von politischer Parteiung, familiärer Stellung und gesellschaftlicher Zugehörigkeit; auch die Form- und Farbvielfalt von Heroldsbildern und gemeinen Figuren sowie deren Symbolgehalt nimmt Scheibelreiter in den Blick; schließlich werden ebenfalls Grundsätze der Blasonierung (der sprachlichen „Übersetzung“ von bildlichen Wappenzeichen) vermittelt.

Wen allerdings vor allem ein hilfswissenschaftliches Interesse antreibt, dies sei gleich vorweg geschickt, der ist mit Scheibelreiters „problemorientierter Einführung“ Heraldik besser beraten, die neben detaillierteren Beschreibungen und Aufzählungen der häufigsten heraldischen Elemente auch praxisorientierte Übungen zur Blasonierung enthält. Denn in „Wappen im Mittelalter“ steht im Gegensatz dazu ein geschichtswissenschaftliches Erkenntnisinteresse im Mittelpunkt. Die „Lehrbuch-Elemente“ werden immer an den „Sitz im Leben“ der Wappen in der mittelalterlichen Gesellschaft zurückgebunden.

Die Entwicklung der Wappen und die Ausdifferenzierung der Heraldik als gesellschaftlichem Zeichencode verfolgt Scheibelreiter entlang ästhetischer Bedürfnisse der Selbstdarstellung sowie pragmatischer Bedürfnisse der Kriegsführung: Aus den „vorheraldischen“ Zeichen des Frühmittelalters (Feldzeichen, Banner, Schilde), entwickelte sich langsam das elaborierte heraldische Zeichensystem. Diesen Prozess beschreibt Scheibelreiter dabei durchaus differenziert nicht als kontinuierliche „Erfolgsgeschichte“, sondern durch das Nebeneinander vorheraldischer und heraldischer Zeichen sowie von „Rückfällen“ in vorheraldische Darstellungsformen gekennzeichnet. Wappen, so Scheibelreiter, seien während eines „Rationalisierungsschubes“ im 11. Jahrhundert aufgekommen, in dessen Folge unter anderem auch die Bindung des Einzelnen an die Sippe abgelöst wurde durch die Bindung des Individuums an den Mannesstamm der Familie. Wappen wurden zum Sinnbild und Identifikationsmerkmal eines nunmehr von der agnatischen Linie abgeleiteten Selbstverständnisses. Heraldische Zeichen und deren ikonografische Symbolik wurden zum „Mittel- und Ausgangspunkt“ mittelalterlicher Identität und Legitimität, beispielsweise durch „Krafttiere“ wie Löwen und Adler auf dem Wappenschild, symbolische Anspielungen auf den eigenen Namen in „redenden Wappen“, oder durch die Verbindung der Zeichen mit der „eigenen“ Geschichte in Wappesagen.

Bei Scheibelreiter erscheint das Wappen so als das zentrale Zeichen des Mittelalters: „Ohne Wappen kein Kaiser und kein König; so erschien es den Zeitgenossen des Wappenalters fraglos richtig.“ Es erscheint dann auch nur folgerichtig, dass die „großen Männer“ des mittelalterlichen Geschichtsbewusstseins wie Karl der Große und König Artus ebenfalls (fiktive) Wappen zugeschrieben bekamen. Sogar Gott, Christus und der Tod konnten schließlich mittels Wappen repräsentiert werden.

Die Wappensymbolik erklärt Scheibelreiter dabei nicht in dogmatischer Art und Weise, sondern erläutert sie vor dem Hintergrund mittelalterlicher Deutungshorizonte und Mentalitäten. Anhand des zeitgenössischen Diskurses zeigt er überzeugend auf, wie vielfältig die Interpretationsmöglichkeiten von, zum Beispiel, Wappentieren und Wappenfarben bereits im Mittelalter waren. Scheibelreiter betont die Vielwertigkeit und Veränderlichkeit mittelalterlicher Wappensymbolik und unterstreicht die Unmöglichkeit, in der Gegenwart den symbolischen Gehalt und Anspruch eines Wappens mit überzeitlicher Sicherheit festlegen zu wollen. Damit werden Fragen nach mittelalterlicher Mentalität, Selbstverständnis und Selbstbewusstsein aufgegriffen, die Scheibelreiter in seiner hilfswissenschaftlichen Forschungstätigkeit im Detail herausgearbeitet hat. Für tiefere Einblicke in diese Zusammenhänge von Wappen, mittelalterlichen Deutungshorizonten und adeligem Selbstverständnis sei daher auch auf Scheibelreiters gesammelte Aufsätze in Wappenbild und Verwandtschaftsgeflecht verwiesen, die diese Gedankengänge vertiefen.

Ein Teil zum Herold, der in Heraldik-Abhandlungen fast schon zum quasi-obligatorischen Pflichtprogramm gehört, scheint die eigene Daseinsberechtigung dagegen fast selbst anzuzweifeln: Scheibelreiter stellt heraus, dass die Heraldik keineswegs Ursprung und alleiniger Zweck des Heroldsamtes gewesen sei. Das Wissen um Wappen habe lediglich eine Kompetenz der Herolde dargestellt und dürfe daher nicht als „Geheimwissenschaft“ des Heroldsamtes missverstanden werden. Damit stellt sich freilich die Frage, ob der Herold eigentlich noch in ein Buch über Wappen im Mittelalter gehört, oder ob man dessen angedeutete Funktionsvielfalt nicht doch in einem eigenständigen Buch würdigen müsste.

Zwar möchte „Wappen im Mittelalter“ explizit kein „Bilderbuch“ sein (obwohl es das angesichts eines so visuellen Phänomens wie den Wappen durchaus selbstbewusster sein dürfte), tatsächlich ist es dann aber doch ein „Buch mit vielen Bildern“: Ein großzügiges Papierformat und schweres, glänzendes Papier bringen die farbenfrohen Quellen der Heraldik zum Leuchten: Auf fast jeder Doppelseite findet sich mindestens eine farbige Abbildung. Besonders schön sind die seitenfüllenden Abbildungen von zeitgenössischen Handschriften, die die handwerkliche Fertigkeit der mittelalterlichen Buchmaler bei der Gestaltung heraldischer Illustrationen kontrastreich und eindrucksvoll hervortreten lassen.

Wer das „heraldische Handwerk“ erlernen möchte, der ist mit Scheibelreiters Lehrbuch Heraldik zweifellos besser beraten. Zwar kommt dieses nicht so farbenprächtig daher, bietet aber mehr anleitende Einführung in den hilfswissenschaftlichen Umgang mit Wappen. Als Einführung in die Heraldik eignet sich Wappen im Mittelalter aber dennoch gerade dann, wenn die Leserin oder der Leser neben einer Begeisterung für die Schönheit der Wappen auch ein Interesse an ihrer Bedeutung für die mittelalterliche Gesellschaft mitbringt. Für diese Leserschaft bietet Scheibelreiter eine anregende Mischung aus Einführungsband in die Heraldik, der die Gestalt und Entwicklung der Wappen aufzeigt, „Bilderbuch“, das die Ästhetik der Wappen vor Augen führt und die Sinne anspricht, sowie kulturgeschichtlicher Einordnung, die dem „Sitz im Leben“ der Wappen nachspürt und die Heraldik im gesellschaftlichen Leben des Mittelalters verortet.

Titelbild

Georg Scheibelreiter: Wappen im Mittelalter.
Primus Verlag, Darmstadt 2014.
192 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783863120252

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