Die Gewalt kommt aus dem Volk

Über die Judenfeindschaft in der Weimarer Republik

Von Waltraud StrickhausenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waltraud Strickhausen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Autor Dirk Walter zeichnet in dieser wichtigen Studie die verschiedenen Etappen antisemitischer Aktivitäten im Verlauf der Weimarer Republik nach, wobei als eingrenzendes Kriterium der Blick auf strafrechtlich verfolgbare Delikte antisemitischer Kriminalität gerichtet ist. Zu dem vielfältigen Quellenmaterial, das hier aufgearbeitet wurde, gehören neben Zeitungsberichten, antisemitischen Pamphleten und Schriften insbesondere die im Moskauer "Sonderarchiv" gefundenen Akten des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" (CV) sowie die Gerichts- und Polizeiakten der Weimarer Justiz.

Dabei zeigt Walter auf, wie der deutsche Antisemitismus, der im Kaiserreich ein konstitutives Element des Nationalismus gewesen war, durch die Ereignisse von Revolution und Republikgründung 1918/19 eine Radikalisierung erfahren konnte, nachdem das Ziel der Verabschiedung antisemitischer Gesetze illusionär geworden war. Neben den gemäßigten, sogenannten "Vernunft-Antisemitismus" trat ein forcierter "Radau-Antisemitismus" extremistischer Vereinigungen und Splitterparteien, die die Straßen zum Schauplatz antisemitischer Agitation machten und deutlich Gewaltbereitschaft signalisierten. Der diffus verwendete Begriff 'Pogrom' wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu einem weitverbreiteten Schlagwort. Hitler reagierte auf diesen Pogrom-Antisemitismus, ohne ihn wesentlich beeinflußt oder entfacht zu haben. Das deutschnationale Lager, das sich in der DNVP sammelte, versuchte zur Behauptung seiner Position im rechten Spektrum auf diese Tendenzen mit 'gewaltfreien', aber extremen Vorschlägen zu reagieren und machte die sogenannte "Ostjudenfrage" zu seinem Thema.

In der Konsolidierungsphase der Weimarer Republik riefen Formen des Radau-Antisemitismus wie Friedhofs- und Synagogenschändungen, Ausschreitungen gegen Ostjuden im Berliner Scheunenviertel oder der Ende der 20er Jahre auftretende antisemitische Voyeurismus eine breite öffentliche Empörung auch in den nicht-jüdischen demokratischen Kreisen hervor. Aber vor allem der CV, der nicht nur die Aufklärung der Öffentlichkeit zum Ziel hatte, sondern als Rechtsschutz-Organisation fungierte, bemühte sich, durch die Aufdeckung antisemitischer Gesinnungsjustiz und durch die Ausschöpfung vorhandener Gesetze gegen die Aufreizung zum Klassenhaß, gegen Religionsbeschimpfung und Beleidigung eine öffentliche Skandalisierung des Judenhasses auf rechtsstaatlichem Wege zu erreichen.

Der selten erwähnte Versuch jüdischer Kreise, sich gegen den Antisemitismus zur Wehr zu setzen, blieb vergeblich: Mit der Zunahme politischer Gewalttaten kam es Ende der 20er Jahre gehäuft zu Mißhandlungen jüdischer Bürger, die jedoch weiterhin als Randerscheinungen wahrgenommen wurden. Als Alternative zum Radau-Antisemitismus wurden von rechten Intellektuellen zudem volkstumspolitische Konzepte entwickelt, die auf eine Segregation der deutschen Juden abzielten. Parallel dazu entwickelte der Nationalsozialismus einen Forderungskatalog, um das Projekt einer "Entfernung" der Juden langfristig durchzusetzen, nach 1933 wurde er in die Praxis umgesetzt.

Die Studie macht die enge Verknüpfung der öffentlichen Diskussion über den Antisemitismus mit der allgemeinen politischen Polarisierung der Gesellschaft in Republikanhänger und -gegner deutlich. Judenfeindschaft und Systemfeindschaft waren eng gekoppelt. Antisemitismus, so Walters Fazit, wurde nicht primär von staatlichen Stellen betrieben, er ging vielmehr vor 1933 fast ausschließlich von der Bevölkerung aus, wobei die treibenden Kräfte in der deutschnationalen Bewegung ebenso zu finden waren wie unter den frühen Rechtsradikalen und später vor allem in der NSDAP. Radau-Antisemitische Handlungen "von unten" und kalkulierter, intellektueller Rechtsradikalismus "von oben" radikalisierten sich wechselseitig.

Titelbild

Dirk Walter: Antisemitische Kriminalität und Gewalt. Judenfeindschaft in der Weimarer Republik.
Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 1999.
349 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3801250261

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