Eine Ansammlung von Unplausibilitäten

Louis Begley hat mit „Zeig dich, Mörder“ erstmals einen Kriminalroman geschrieben

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Louis Begley hat mit „Zeig dich, Mörder“ erstmals einen klassischen Kriminalroman vorgelegt, in dem der Ich-Erzähler Jack Dana den Tod seines Onkels untersucht. Jack vermutet, dass sich sein Onkel Harry, ein erfolgreicher und wohlhabender Rechtsanwalt, nicht selbst das Leben genommen hat, sondern dass er ermordet wurde. In Kriminalgeschichten gelingt es Mördern immer wieder, der Tat den Anschein zu geben, das Opfer habe sich selbst erhängt. Jack findet dafür Indizien und schließlich handfeste Beweise und gerät dabei selbst ins Visier eines Auftragsmörders. Zugleich deckt Jack auf, dass das Verbrechen „ein Muster von Gesetzwidrigkeiten“ vertuschen soll und Harry sterben musste, weil er zu viel wusste. „Ich werde nicht ruhen, bis ich ausfindig gemacht habe, was und wer es war und was wirklich geschah“, sagt Jack. Er findet heraus, dass die Anwaltskanzlei, in der Harry gearbeitet hatte, die Interessen von Adner Brown vertritt und dass dessen Unternehmen in Drogen- und Waffenhandel, Umweltverschmutzung, Menschenhandel und viele weitere Verbrechen verstrickt ist. Adner Brown wird als „Widerling“ mit „Eidechsenlederstiefeln und dem anderen Beiwerk texanischer Ölmagnaten und Rancher“ eingeführt, sodass an seiner Rolle als skrupellosem Bösewicht und Auftraggeber des Mordes nie gezweifelt werden muss.

Während der Ermittlungsarbeit helfen Jack außerdem gleich mehrere unwahrscheinliche Zufälle: In einer Sofaspalte findet er ein Iphone mit der zufälligen Sprachaufzeichnung des Mordes, das die Polizei bei der Durchsuchung des Hauses zufällig übersehen hat. Und wenn Jack nicht weiterkommt, tritt stets eine neue Figur auf, die ihm wichtige Hinweise gibt. „Du wärst entsetzt, wenn du wüsstest, wie viele Kongressabgeordnete und Senatoren de facto auf Abners Gehaltsliste stehen“, raunt ihm sein Freund Scott zu.

Kriminalromane können spannende Charakterstudien sein. Die literarisch ins Leben gesetzten Figuren in „Zeig dich, Mörder“ entsprechen jedoch so vielen Klischees, dass sie zum Schmunzeln anregen. Sie wirken überzeichnet und handeln unglaubwürdig. Während der Suche nach dem Mörder seines Onkels widmet sich der Kriegsveteran und Schriftsteller Jack zugleich der Arbeit an einem neuen Buch und erfreut sich an einem erfüllten und intensiven Sexualleben mit Kerry, einer Freundin des Verstorbenen. Natürlich soll damit das Klischee des amerikanischen Helden, der im Krieg und im Bett seinen Mann steht, gleichzeitig intelligent ist und immer einen kühlen Kopf bewahrt, bedient werden. Aber ob in der Realität der Druck, von einem Auftragsmörder verfolgt zu werden, derartig entspannt hingenommen werden kann, darf bezweifelt werden.

Jack engagiert außerdem als Personenschützer für seine Freundin einen pensionierten FBI-Agenten. Dieser fragt nicht, weshalb Jack die Polizei nicht einschaltet. Er hält die Selbstjustiz seines Kunden nur für „ganz schön wagemutig“ setzt jedoch sofort hinzu, dass es dessen Sache sei. Jacks Freundin Kerry sorgt sich nicht um ihren Geliebten, sondern bekräftigt ihn noch in der Einschätzung, die Polizei könne ihm gar nicht helfen. Doch damit nicht genug, es gibt noch abwegigere Situationen im Roman: Jack erklärt einem Freund, er halte ihn nicht „für Q und mich für 007“, aber er brauche eine Pistole, die als Sprengfalle dienen und in der Hand eines Angreifers explodieren könne. Sein Freund erklärt, dass dies kein Problem sei. Außerdem möchte der Protagonist den Killer mit „sedierenden Pfeilen“ angreifen und besucht deswegen eine Tierärztin, die hübsche Susie. Diese fragt er forsch, ob sie ihm Giftpfeile besorgen könne (Jack sagt, dass ihn ein Auftragsmörder umbringen will: „Deswegen besorg mir bitte die Pfeile.“). Sie ist keineswegs überrascht oder zweifelt an seinem Verstand, sondern rutscht glücklich auf seinen Schoß, küsst ihn und besorgt die Pfeile. Quasi als Dank verkuppelt Jack die Tierärztin später auch noch mit seinem Freund Scott.

Die Dialoge sowie die Namen der Protagonisten erinnern an beispielsweise die Charaktere der amerikanischen TV-Serie „Homeland“. Auch dort ermittelt eine Carrie (hier: Kerry), die einem heimgekehrten Marine zur Seite steht, der Ungerechtigkeiten und Verschwörungen aufdeckt. Außerdem ist Jacks Nachname als Reminiszenz an den Vornamen der FBI-Agentin Scully aus der Fernsehserie „The X-Files“ zu sehen: Dana. Die Parallelen könnten Zufall sein. Aber die unglaubwürdige Handlung, die überzeichneten Figuren und deren Namen sind gleich mehrere Indizien dafür, dass Louis Begley seinen Krimi auch als Satire auf die derzeit wieder so populären Fernseh-Action-Thriller-Serien sieht. Im Gegensatz dazu vermutete Christoph Schröder in der „Süddeutschen Zeitung“ (07.01.2015), dass Begley das alles ernst meine.

Ob es sich um unfreiwillige Komik oder beabsichtigte Satire handelt, bleibt unklar. Der Einschätzung des Suhrkamp-Verlages, der im Klappentext von einem fesselnden und geistreichen „Katz-und-Maus-Spiel“ spricht, muss jedoch vehement widersprochen werden. Wie kann dieses Buch dem literarischen Anspruch dieses so renommierten Verlages überhaupt gerecht werden? Der Detektivroman mit einem viel zu langen, unnötigen Prolog und einer Indiziensuche, die dem ziellosen, willkürlichen Suchen in einer Geröllhalde entspricht, hat erhebliche logische Defizite. Er ist eine Ansammlung von Unplausibilitäten und gleicht einem Groschenroman-Krimi. Die Plattheit gipfelt darin, dass Adner Brown, als Jack ihm die Handyaufzeichnung des Mordes vorspielt, sogleich den Namen des von ihm engagierten Mörders verrät. „Dana kann es selbst kaum fassen. Er weiß, dass so etwas in Krimis nie vorkommt. Warum in diesem? Offenkundig ist der Verfasser in einer Bildungsideologie befangen, für die Bosheit nur ein Synonym von Dummheit ist“, urteilte Patrick Bahners daher auch in der „F.A.Z.“ (09.01.2015). „Zeig dich, Mörder“ ist ein sehr einfacher Krimi mit vorhersehbarer Story: eine herbe Enttäuschung. Offensichtlich ist Louis Begley mit dem Genre des Kriminalromans überfordert.

Titelbild

Louis Begley: Zeig dich, Mörder. Roman.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
203 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424667

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