Ein Brückenbauer

Mit einem ausführlichem Interview sowie einer kommentierten Anthologie legt der polnische Diplomat, Historiker und Publizist Władysław Bartoszewski seine Erinnerungen an Auschwitz vor

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als am 24. April 2015 die Nachricht verbreitet wurde, daß der polnische Diplomat und Publizist Władysław Bartoszewski im Alter von 93 Jahren verstorben ist, hatten die internationalen Nachrufe zurecht auf dessen lebenslange Rolle als einfühlsamer Mahner und unermüdlicher Brückenbauer hingewiesen. Mit einem Male verwandelte sich Bartoszewskis Handreichung an die Nachgeborenen in ein kostbares Vermächtnis: „Ich habe berichtet, habe Zeugnis abgelegt. Die letzten von uns gehen heim. Was bleibt, sind unsere Geschichten. Ihr tätet gut daran, Schlüsse daraus zu ziehen.“

Es sind Sätze wie diese, die in die Zukunft weisen. In eine gemeinsame Zukunft, denn Władysław Bartoszewski hat sich über Jahrzehnte hinweg für die deutsch-polnische Versöhnung wie auch für einen Neubeginn der polnisch-jüdischen Beziehungen eingesetzt. Nicht nur auf dem Papier, was vor allem während der Phase des Kalten Krieges, als Europa durch einen „eisernen Vorhang“ geteilt war, nicht ohne Risiko war. Bartoszewski stand für seine Überzeugung auch dann ein, als Gefängnisgitter seine Blicke schraffierten.

In „Mein Auschwitz“ äußert er sich in einem Gespräch mit Piotr A. Cywiński und Marek Zając eindrucksvoll und erstmals ausführlich über seine Erlebnisse als Häftling „Nummer 4427“ in Auschwitz. Als achtzehnjähriger Jüngling wurde er für sieben Monate in das KZ Auschwitz verfrachtet und war vermutlich durch Vermittlung des polnischen Roten Kreuzes im April 1941 wieder freigelassen worden. Im Zuge der Vorbereitungen der Deutschen Wehrmacht auf den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion hatten die Nazis zeitweise versucht, ihre Rolle als angebliche Bewahrer Europas vor dem Bolschewismus unter Beweis zu stellen.

Bartoszewskis Schilderungen beginnen mit seiner Verhaftung und dem anschließenden Transport. Sein ganzes Leben lang hatte ihn die ungeheuere Wucht der öffentlichen Folterung eines willkürlichen Opfers nicht mehr verlassen, mit welcher die Lagerleitung 5.000 angetretene Häftlinge moralisch zu brechen versuchte. Es folgen Einblicke in den Lageralltag, der von zunehmendem Hunger und unerträglichen Strapazen wie stundenlangem Stehen auf dem Appellplatz bei jeder Witterung geprägt war. Besonders schwer hatte es die inhaftierten katholischen Priester getroffen. Bartoszewski hatte es am eigenen Leibe erlebt, von der Willkür der Blockältesten abhängig zu sein. Geriet man an einen Sadisten, hatte man eben Pech gehabt. Die Schilderungen von Demut, Qualen und Willkür werden durch Reflexionen über menschliche Verhaltensweisen ergänzt: „Es ist sehr interessant, was für eine große Rolle unter anderem die Motivation spielte. Paradoxerweise ertrug ein Teil der Intellektuellen das Lager besser als zum Beispiel Bauern.“

Im Zuge von Bartoszewskis Berichten über die Sterblichkeitsziffern wird unter anderem auch erläutert, wie es zu den charakteristischen Tätowierungen der Häftlinge gekommen war. Die ursprüngliche Methode, mit einem Kopierstift die Leiche zu beschriften, führte angesichts der rasant anwachsenden Sterblichkeitszahlen zu einem Verlust der Übersicht: „Die Körper lagen in klirrender Kälte und klebten zusammen und die Nummern verwischten. Es kam zu Irrtümern und Irrtümer mochten die Deutschen nicht“. Auf diese Weise war das Verfahren entstanden, den lebenden Häftlingen ihre Nummer auf den Unterarm zu tätowieren.

Noch im hohen Alter war Władysław Bartoszewski seinem Beichtvater Pater Zieja dafür dankbar, daß dieser ihm nach seiner überraschenden Freilassung im Mai 1941 den Weg zum polnischen Widerstand gewiesen hatte: „Es fanden sich nicht nur Bedürftige, sondern auch Menschen, die mir halfen, mich formten und mir die Arbeit für andere ermöglichten. Das ist eine große Gnade, die ich erfuhr.“ Unter anderem engagierte sich der überzeugte Katholik Bartoszewski unter Lebensgefahr im polnischen „Hilfsrat für Juden“.

In einem zweiten Teil werden Berichte von Halina Krahelska, Zofia Kossak, Jerzy Andrzejewski und Pater Augustyn über Erlebnisse und Zustände in Auschwitz dokumentiert, die von Kommentaren Bartoszewskis ergänzt sind.

Kurz vor seinem Tod im Alter von 93 Jahren am 24. April 2015 ist mit der Publikation des letzten Buches „Mein Auschwitz“ jenes Vermächtnis erfüllt worden, das Bartoszewski als junger Mann von dem polnischen Pfarrer Zieja auf den Weg gegeben worden war: „Du bist lebend aus dem Lager gekommen, denn Gott wollte, daß Du dem Bösen, das Du erfahren hast, widerstehst. Das ist eine große Gnade. Eine Gnade und eine Schuld, die Du zurückzahlen mußt. Ziehe Deine Schlüsse daraus …“ Mit seinem Lebenswerk hat Władysław Bartoszewski die Mahnung Pfarrer Ziejas unter Beweis gestellt. Die heutigen nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind nachhaltig von seinem Wirken geprägt.

Titelbild

Wladyslaw Bartoszewski: Mein Auschwitz.
Schöningh Verlag, Paderborn 2015.
282 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783506781192

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