Filmreife Geschichtserzählung

Cornelius Ryans neu aufgelegtes Buch „Der letzte Kampf“ ist eine üppige Kriegserzählung aus den 1960er-Jahren

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch von Cornelius Ryan erschien bereits 1966. Dass es jetzt in einer Neuauflage vorliegt, ist dem Anlass des 70. Jahrestags des Kriegsendes 1945 geschuldet. „Der letzte Kampf“ beschreibt die Endphase des Zweiten Weltkrieges von März 1945 bis zur Kapitulation in den ersten Maitagen in Berlin. Man spricht immer noch und wieder von der „letzten Schlacht um Berlin“, die tatsächlich gar keine mehr war, denn eine Schlacht zu fechten war die deutsche Wehrmacht überhaupt nicht mehr in der Lage. Tatsächlich war die militärische Einnahme Berlins durch die sowjetischen Truppen eine zwangsläufige Folge des Kriegsverlaufs und als solche eine – freilich die letzte – Episode des Krieges: todbringend für Zivilisten ebenso wie für die Soldaten, dreckig und blutig, zerstörerisch, brutal, leidvoll – so wie der Krieg immer ist für diejenigen, die ihn erleben. Der „Endkampf“ in Berlin ist also ein idealisierter Mythos. Ein deutscher Mythos. In ihm schwingt immer noch etwas mit von edler militärischer Haltung, von einem ehrenhaften Kampf, in dem tapfere deutsche Soldaten, verführt und ausgenutzt von verbrecherischen Führern, einen vergeblichen Kampf gegen übermächtige Gegner führten.

Als dieses Buch 1966 erschien, lasen es viele ZeitgenossInnen in genau dieser Art und Weise. Ein „eiserner Vorhang“ trennte die Welt in Ost und West. Eine zweigeteilte Welt, in der die Bösen die Kommunisten im Osten und die Guten die Demokraten im Westen waren. In diesen Zeiten des Kalten Krieges ließen sich die tapferen ‚deutschen Endkämpfer‘ im Kampf um Berlin als die ersten Vorkämpfer gegen die vordringenden „sowjetischen Horden“ verstehen – Kämpfer für die (westliche) Freiheit. Und war es nicht gerechtfertigt, die Dinge so zu sehen? „Der letzte Kampf“ beginnt mit einer Widmung: „dem Andenken eines Jungen gewidmet, der in den letzten Kriegstagen in Berlin geboren wurde. Sein Name ist Peter Fechter. 1961 erschossen ihn seine Landsleute und ließen ihn an der Berliner Mauer, dem tragischen Denkmal des Sieges der Alliierten, verbluten.“  

Erheblichen Anteil an den beschönigenden Geschichtserzählungen, die auch den Mythos von der guten Wehrmacht in einem bösen Regime begründeten, hatten die überlebenden Ex-Nazis und Wehrmachtsoffiziere, die andauernd ‚ihre Geschichte‘ von der Nazizeit und dem Krieg zum Besten gaben. Bereitwillig hörte man ihnen zu, mochten doch ihre Geschichten von den wenigen Verbrechern an der Spitze des Nazi-Reichs, die ein ganzes Volk mit dämonisch-brutalen Methoden  verführten, auch ihnen Entlastung bieten.

Auch Cornelius Ryan sprach mit den Erbwaltern des Nazi-Regimes und ließ sich deren Geschichten erzählen. Sein ‚Held‘ im letzten Kampf: der deutsche Generaloberst Gotthard Heinrici, seit März 1945 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel. Ein Typus so recht nach deutscher Landserart, ein Soldat durch und durch, unkonventionell in seinem Auftreten: statt pfauenhaften Lamettas, mit dem sich Militärs wie Wilhelm Keitel in Hitlers nächster Umgebung gockelhafte Größe zu verschaffen suchten, sah man ihn unter seinen Soldaten in „seinem berühmten Schaffellmantel“. Und mit bitterem Groll gegen die stümperhaften Speichellecker in Adolf Hitlers Entourage, die sich nicht trauten, die irrsinnigen Befehle des „Gröfaz“ (Größter Feldherr aller Zeiten) zu kritisieren, geschweige denn – ja was eigentlich? Hätten bessere Befehle und ‚richtige‘ Entscheidungen einen anderen Kriegsverlauf bewirkt? Hätte nur der Diktator seinen fähigen Soldaten nicht andauernd ins Handwerk gepfuscht, so lautet der Subtext dieser Geschichtserzählung, dann wäre manches anders gekommen …

In einer erläuternden „Einführung“ weist der Historiker am Münchener Institut für Zeitgeschichte, Johannes Hürter, auf den zeitgeschichtlichen Zusammenhang hin, der sich in dem Buch von 1966 niederschlug. Neben der klischeehaften Darstellung der deutschen Militärs, deren fähige Offiziere an der Entfaltung ihrer Qualitäten von unfähigen und Hitler vollständig ergebenen Satrapen gehindert wurden, sei vor allem, so erläutert Hürter, eine „Abwertung der sowjetischen Kämpfer“ auffällig, „die unverkennbar von antikommunistischen und rassistischen Stereotypen geprägt ist“. Ein solches Urteil, so sehr es auch zutreffen mag, was die Leseerwartungen der Deutschen angeht, wird dem Autor und seinem Text dennoch nicht ganz gerecht. Für seine Darstellung hatte Ryan auch mit einigen der sowjetischen Akteure gesprochen. Ihre Aussagen integrierte er in gleicher Weise in seinen Text, wie auch die Aussagen der westlichen Zeitzeugen. Sein Kriterium für die Einarbeitung war freilich weniger ein ideologisches als vielmehr ein dramaturgisches. Denn dieses Buch ist eine sehr geschickt konstruierte Ereignisschilderung, in der viele subjektive Perspektiven von Zeitzeugen mit den 1966 bereits verfügbaren historischen Kenntnissen über den Verlauf der letzten Kriegstage spannend zusammengeführt werden. Die Vielzahl der kleinen und großen Geschichten ergibt ein interessantes Gesamtbild, lässt Stimmungen entstehen und zeichnet Bilder ebenso von Tragik und Komik wie sie apokalyptische Szenen beschreiben. Ryans literarische Kunst basiert auf einer der Filmdramaturgie nachempfundenen Technik. Kein Wunder: Bereits mit seinem Buch „Der längste Tag“ (1959) und dem späteren Buch „Die Brücke von Arnheim“ (1974) lieferte er fast drehbuchreife Vorlagen für den Film. Die gleichnamigen Verfilmungen der Bücher prägten denn auch maßgeblich das Genre der spektakulären Kriegsfilme.

Ryans Buch „Der letzte Kampf“ ist heute selbst ein Dokument der Zeitgeschichte. Eben deshalb aber hätte man sich einige über die Einführung von Johannes Hürter hinausgehende Erläuterungen  zu manchen Textstellen gewünscht, die mit heutigem Wissen anders, zumindest aber kritischer zu lesen sind.

Titelbild

Cornelius Ryan: Der letzte Kampf.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Helmut Degner.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2015.
480 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783806230260

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