Krieg und Religion

Harmut Zinser beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Krieg und Religion und fragt, was getan werden muss, um Religionen zu einer friedensstiftenden Größe zu machen

Von Julian KöckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Köck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis von Religion und Krieg ist nicht einfach zu bestimmen und Hartmut Zinsers „Religion und Krieg“ ist kein einfaches Buch. Der Vielschichtigkeit des Themas versucht Zinser mit einer ganzen Reihe von Einzeluntersuchungen gerecht zu werden. Dadurch hat die Monographie, die über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden ist, etwas von einer Aufsatzsammlung. Kapitel wie „Was ist Krieg, was ist Religion?“ und „Heldentum, Ruhm und Herrschaft“ stehen neben einem Kapitel zum bellum iustum in der römischen Antike sowie dem Christentum und einem Kapitel über „Siegerreligion – Interpretationen von militärischen Niederlagen“. Entsprechend schwer fällt es, einen roten Faden zu erkennen, der die Argumentation der verschiedenen Kapitel verbindet.

Hartmut Zinsers Anliegen ist es, zu zeigen, dass alle Religionen ein gewaltsames Potenzial in sich tragen, das sich aus der Unterscheidung der Gruppe der Gläubigen und der „Anderen“ ergebe. Er betont, dass alle heute wichtigen Religionen in der Vergangenheit Lehren entwickelt haben, die der Rechtfertigung von Kriegen dienten. Auch Buddhismus und Hinduismus stellen hier keine Ausnahmen dar, wie Zinser in eigenen Kapiteln zeigt. Aus dieser Erkenntnis leitet sich die Hauptthese des Buchs ab: „Alle Religionen sind nicht friedfertig, ihnen mußte die Friedenliebe aufgedrängt werden.“ Das Präteritum steht hier ganz bewusst: Zinser geht davon aus, dass heute alle Religionen im Grunde friedensliebend seien. Damit liegt er auf einer Linie mit der allgegenwärtigen Ansicht, dass Religionen friedlich und gut seien, die religiöse Begründung von Gewalttaten mithin einen Missbrauch der Religion darstellen würde. Darum, so Zinser, müssten die Vertreter der verschiedenen Religionen Terror, der in ihrem Namen verübt wird, verdammen und sich ebenso von all den Lehren der Vergangenheit distanzieren, durch die Kriege gerechtfertigt wurden.

Ein thematischer Schwerpunkt des Buchs stellt die Beschäftigung mit dem Konzept des gerechten Kriegs im Christentum dar. Zinser zeichnet die Entwicklung des frühen Christentums nach, in dem Gewalt zuerst abgelehnt wurde, das dann aber zur Staatsreligion des Römischen Reichs wurde und auf die Rechtfertigung von Kriegen nicht mehr verzichten konnte. Der Kirchenvater Augustin schuf dafür die argumentativen Grundlagen, die im römischen Kriegsverständnis verwurzelt waren. Kriege führten die Römer ihrer Propaganda nach immer nur aus juristischen Gründen, ein Zustand des Unrechtes musste beendet, ein Verbrechen bestraft werden. Der Gedanke eines dergestalt ‚gerechten Krieges‘ wurde im christlichen Mittelalter zur Rechtfertigung von Kriegen gegen Heiden, Häretiker und andere Feinde herangezogen und findet auch heute noch Anhänger, wie Zinser treffend betont.

Leider klammert der Autor das Thema „heiliger Krieg“ aus. Dabei stellten dessen Wurzeln im Alten Testament einen mindestens ebenso wichtigen Bestandteil der christlichen Kriegsideologie dar wie das Konzept des bellum iustum. Die (fiktiven) Berichte über die jüdische Landnahme Kanaans sind ein geradezu paradigmatisches Beispiel für einen heiligen Krieg, der auf direkten Befehl der Gottheit erfolgt und die Ausrottung aller „Heiden“ und damit die Verabsolutierung des eigenen Glaubens zum Ergebnis hat. Dieser Logik fielen die Bewohner Nordamerikas zum Opfer, die den verschiedenen protestantischen Einwanderern als Kanaanäer dienen mussten.

Jan Assmann hat sich in den letzten Jahren grundlegend mit diesen Bibelstellen beschäftigt und gezeigt, dass sie nach ‚innen‘ gerichtet waren: Es ging darum, sich von den Ungläubigen des eigenen Volkes abzugrenzen. Assmanns Theorie von der „mosaischen Unterscheidung“ hat großen Widerhall erfahren, aber auch zu kontroversen Diskussionen geführt. Leider verzichtet Zinser darauf, sich mit Assmanns Schriften auseinanderzusetzen. Auch Hans G. Kippenbergs einschlägiges Buch „Gewalt als Gottesdienst“ findet keine Beachtung. Dies mag daran liegen, dass sich Zinser dezidiert auf das Thema Krieg beschränkt. Gleichwohl zählt er bürgerkriegsähnliche Zustände hinzu. Im Hinblick auf das Thema Terrorismus hätte die Berücksichtigung der Untersuchungen zum (christlichen und muslimischen) Fundamentalismus des leider kürzlich verstorbenen Soziologen Martin Riesebrodt wertvoll sein können.

Am Ende des Buchs formuliert Zinser Forderungen an die Religionen: Sie dürften andere Religionen „nicht nur mit ‚repressiver Toleranz‘ ertragen“, sondern sollten sie als „gleichberechtigt und gleichwertig“ anerkennen. Auch dürften sie (militärische) Niederlagen nicht als „Niederlagen des eigenen Gottes“ begreifen. Schließlich fragt sich Zinser, ob nicht im Interesse des Friedens ein Missionsverzicht von den Religionen einzufordern sei. Aus politischer Hinsicht mag dies wünschenswert erscheinen. Doch lässt sich fragen, ob diese Forderungen und Fragen nicht das Produkt einer atheistischen oder agnostischen Geisteshaltung sind, die Religionen nicht mehr als Träger einer Wahrheit, sondern nur noch in ihrer funktionellen Bedeutung für die Gesellschaft versteht. Aus Sicht eines Gläubigen, der von der absoluten Wahrheit seines Glaubens und dem damit verknüpften Heilsversprechen überzeugt ist, kann es keine gleichwertige andere Religion geben und der Missionsverzicht ist gleichbedeutend mit einem Verbrechen an den Ungläubigen, die so nicht dem Heil teilhaftig werden können. Es könnte sein, dass Harmut Zinser mit seinen Forderungen einige offene Türen einrennen wird. Ob er damit aber Menschen erreichen kann, die ihre Religion als Quelle der Wahrheit ernst nehmen, bleibt fraglich. 

Titelbild

Hartmut Zinser: Religion und Krieg.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015.
200 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770558339

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