Der Mensch inmitten der Geschichte

Das neue Heft der Zeitschrift "Exil"

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Juni 1934 rief Theodore Abel, Soziologieprofessor an der Columbia University in New York, Hitlers Anhänger dazu auf, sich in einem Fragebogen zu ihren politischen Überzeugungen zu äußern. Der große Erfolg dieser empirischen Befragung veranlaßte Gordon W. Allport, Soziologe in Harvard, zusammen mit zwei Historiker-Kollegen, ein eigenes Preisausschreiben zu veranstalten: Ein Flugblatt, gerichtet "an alle Personen, die Deutschland vor und seit Hitlers Machübernahme gut gekannt haben."

Unter den Einsendern war auch Karl Löwith, der 1934 aufgrund des sogenannten "Arierparagraphen" von seinen Lehrverpflichtungen an der Universität Marburg suspendiert worden war. Nach frühen Vorlesungen zu Freud und der Psychoanalyse hatte sich Löwith der Philosophie zugewandt und suchte nun über Kontakte zur akademischen Welt nach einer Anstellung in den USA.

Liliane Weissberg untersucht Karl Löwiths Beitrag zum Preisausschreiben des Soziologen Allport; der umfangreiche Text ("Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933") operiert - ähnlich wie Benjamins Berliner Kindheitserinnerungen - mit topisch versetzbaren Konstellationen, die persönlich Erlebtes und zeitgeschichtlich Relevantes didaktisch überformen. Der Text stellt, wie auch zwanzig Jahre später Löwiths Autobiographie, die Frage nach der persönlichen Verantwortung des einzelnen für die Heraufkunft des NS-Staates. Löwith schreibt: "Ich lebte ganz und gar von der `Emanzipation´, und mein Instinkt war gegen Juden empfindlicher als bei vielen naiven Germanen [...], worauf ich von Anfang an stand: die Emanzipation der Juden zum Deutschtum."

Für viele Deutsche wurde die Religionszughörigkeit erst zum Problem, als sie zum "rassischen" Selektionskriterium umsemantisiert wurde. So auch für den "Operettenkönig" Fritz Hirsch, der fünfzehn Jahre lang (von 1925 bis 1940) in den Niederlanden lebte und arbeitete, bevor er im April 1941 verhaftet, nach Deutschland deportiert wurde, wo er 1942 in Mauthausen starb. Andreas Oettel untersucht seine Karriere in Holland und seinen Einsatz für die deutschen Künstler-Emigranten, die nach 1933 zu ihm ins Exil kamen.

Der Buchkünstler und Illustrator Menachem Birnbaum, der das Erscheinungsbild des Welt-Verlages und des Jüdischen Verlages wesentlich geprägt hat, wird von Georg Schirmers eingehend gewürdigt. Birnbaum lebte ebenfalls im niederländischen Exil, bevor er im Zuge der Welle der Deportationen im Februar 1943 nach Auschwitz kam.

Weitere Beiträge des umfangreichen Heftes beschäftigen sich mit "Deutschen Exilantinnen innerhalb der Häftlingsgesellschaft des GULag" (Meinhard Stark), mit "Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler 1933 - 1945" (Edita Koch), mit dem Projekt einer umfassenden Feuchtwanger-Bibliographie (Sigrid Thielking), mit Ernst Weiß (Josef Quack) und Erich Frieds "Exillyrik" (Jörg Thunecke). Die Rubriken "Chronik" und "Hinweise" der Herausgeberin Edita Koch informieren über die neuesten Entwicklungen und Publikationen der Exil-Forschung.

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Edita Koch / Frithjof Trapp (Hg.): Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse. Exil 1933 bis 1945.
Verlag Edita Koch, Frankfurt 1998.
108 Seiten, 11,20 EUR.
ISSN: 07216742

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