Geballte Fäuste als Liebeslied

Über die schönsten Seiten des Lebens schreibt Jón Kalman Stefánsson im Roman „Fische haben keine Beine“

Von Elisabeth BökerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Böker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem neuesten Roman Fische haben keine Beine hat der isländische Schriftsteller Jón Kalman Stefánsson wieder einmal gezeigt, was die isländische Erzählkunst ausmacht: Bildstark und poetisch zugleich schreibt er über die besonderen Dinge im Leben – voran die Familie, aber auch die Freundschaft, die Liebe und nicht zuletzt die Literatur wird hier gefeiert. Ferner nimmt der Autor einen mit in ein so nahes, fernes Land, das mit seinen vielen Eigenarten den Lesern ans Herz wächst.

Ari, Portagonist des Romans, ist Schriftsteller und Verleger. Er sitzt gerade im Flugzeug von Dänemark nach Island. Dort wird er von dem Erzähler des Romans, der nicht namentlich erwähnt wird, in dem Ort Keflavik unweit des internationalen Flughafens auf Island erwartet. Seine Rückkehr ist plötzlich und unerwartet: Drei Jahre zuvor hatte er Hals über Kopf das Land verlassen und damit auch seine Frau sowie drei Kinder. Auslöser für seine Rückkehr ist eine Urkunde seines Großvaters, dem Kapitän und Schiffseigner Oddur Jónsson, die Aris todkranker Vater ihm geschickt hat. Ari möchte seinen Vater noch einmal sehen, bevor er stirbt. Während das Flugzeug mit Ari auf Keflavik zusteuert, erfährt der Leser vom Erzähler, wie Oddur sich in seine Frau Margrét verliebte: „Die geballten Fäuste waren Oddurs Liebeslied, sein innigstes Gedicht und der Beweis, dass er da machtlos am Ufer stand, dass seine – trotz seiner Jugend – bereits weithin bekannte Kraft und Härte, seine Willensstärke und sein Mut zusammengenommen wenig bis gar nichts auszurichten vermochten.“ Noch am selben Tag erwidert ihm Magrét seine Liebe, indem sie sagt: „Wenn ich mein Haar löse, dann weißt du, dass ich unter dem Kleid nackt bin, und dann weißt du, dass ich dich liebe. Es gelingt ihm, mit dem Kopf zu nicken. Er wartet, rührt sich nicht. Dann löst sie ihr Haar.“

Es ist Jón Kalman Stefánssons Stärke, für die schönsten Dinge des Lebens die glühendsten Worte zu finden und sie zu wahren Meistersätzen zu formen. Viele weitere Passagen kann man als Beweis hierfür anführen, eigentlich müsste man gleich den gesamten Roman zitieren. Der setzt sich aus immer wieder verwobenen Abschnitten aus Aris Leben zusammen.

Am Tag der Rückkehr nach Island, während der Landung auf dem internationalen Flughafen von Keflavik und auf dem Weg in den Ort, in dem Ari gemeinsam mit dem Erzähler seine Jugend verbracht hat, zieht an ihm sein ganzes bisheriges Leben und das seiner Eltern wie Großeltern vorbei. Mit „heute“ ist der Tag, an dem das Buch spielt, an dem der Erzähler in Keflavik auf Ari wartet und ihn dort in einem Hotel empfängt. Dann gibt es Abschnitte, die vom „damals“ handeln, der Ort hierfür ist der kleine Ort Norðfjörður im Nordosten des Landes. Es ist die Zeit, als sich die Großeltern kennen und lieben lernten, eine Familie gründeten, Aris Vater und Geschwister geboren wurden. Hinzu kommen Passagen von Keflavik Mitte der 1970er-Jahre, als Ari und der Erzähler als Jungen in den Ort zogen und hier ihr Unwesen trieben, beispielsweise von fahrenden Lastwagen der auf Island stationierten US-Armee wertvolle US-Waren wie M&Ms, Teddybären, Hähnchen oder Kekse stahlen. In den sogenannten Exkursen wird vor allem über Aris Weggang aus Island geschrieben.

Der Tag der Rückkehr Aris nach Island, an dem all diese Ereignisse aus seinem Leben erzählt werden, ist für ihn nicht nur eine Rückkehr in sein Heimatland, sondern auch zu sich selbst. Er stellt sich seinem Leben und seiner Vergangenheit. Hierzu gehört ebenfalls die Suche nach seiner ersten großen Liebe, deren tragisches Schicksal Ari nicht mehr loslässt. Gerade dieses, nicht zuletzt aber auch die Handlung des Romans insgesamt, verdeutlicht dem Leser, wie kostbar aber auch verletzlich das Leben ist, wie sehr man sich ihm in jedem Moment stellen sollte.

Titelbild

Jon Kalman Stefansson: Fische haben keine Beine. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig.
Piper Verlag, München 2015.
408 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783492056892

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