Immer neue Leben

Michel Bergmanns kurzer Roman „Weinhebers Koffer“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder gibt es spezielle Buchreihen, vornehmlich in kleineren Verlagen, welchen es  glücklicherweise noch immer eine Herzensangelegenheit zu sein scheint, besondere Texte besonderer Autoren in besonderen Editionen anzubieten (die von Denis Scheck herausgegebene marebibliothek war beispielsweise ein solches Projekt). Nun also die Edition Kattegatt mit zunächst einmal einem Titel pro Halbjahr. Das ist natürlich großartig, weil diesem einen Titel dann von allen Beteiligten (Herausgeber, Verlag, Presse, Buchhändler) maximale Aufmerksamkeit zugute kommt. Den Start besorgt Michel Bergmann, der in den vergangenen Jahren mit seinen Romanen „Die Teilacher“ und „Machloikes“ viele Leser erreicht und begeistert hat und nun „Weinhebers Koffer“ vorlegt: ein Buch, in dem es tatsächlich auch um das Meer geht, um das Meer als Wasserweg, der die Flucht aus Europa nach Palästina ermöglicht.

Aber von vorn: Elias Ehrenwerth ist Journalist und Filmemacher in Berlin (also ein bisschen Michel Bergmann). Auf der Suche nach einem besonders originellen Geburtstagsgeschenk für seine Freundin findet er in einem Trödelladen einen edlen alten Koffer. Da seine Herzensdame Lisa Winter heißt, ist die Entdeckung der eingeprägten Initialen „L.W.“ natürlich ein Riesenzufall. Er findet heraus, dass sich dahinter der Name Leonard Weinheber verbirgt. Dieser Name, dieser Koffer – was hat es damit auf sich? Elias hat Feuer gefangen und will mehr erfahren, eine Recherche beginnt, die ihn nach Israel führt. Dort taucht er ein in die Vergangenheit, in immer neue Leben, und mit ihm taucht der Leser ein in Weinhebers Biographie. Wir erfahren, dass er im Jahr 1931 an einem Roman mit dem Titel „Die blutende Stadt“ geschrieben hat und deswegen mit Verlegern im In- und Ausland in Korrespondenz stand. Wir lesen mit wachsender Neugier und Begeisterung von seiner Liebesbeziehung zu einer Frau, die zu Beginn Helene Rosenblum, später Lenka Rosen heißt. Und Michel Bergmann hat mehrere Absätze des genannten Weinheberschen Romans verfasst, damit das Leben und die Arbeit des verschwundenen Intellektuellen erlebbar und plastisch werden.

„Weinhebers Koffer“ ist großartig geschrieben: spannend, kurzweilig und klug, dabei immer politisch und klar in seiner Haltung. Liest man diesen kurzen Roman, dann erinnert man sich unweigerlich an Anna Seghers‘ „Transit“ oder an den großartigen, aber wohl fast vergessenen Roman „Unsentimentale Reise“ von Albert Drach. Michel Bergmanns Kleinod hat diese Qualitäten. Auch wenn er weniger in die Tiefe und in die Details geht, so hat dieses auch gestalterisch ansprechende Buch (Halbleinen, Lesebändchen) doch die Intensität, die die Emigrationsliteratur auszeichnet. „Weinhebers Koffer“ ist eine Entdeckung und ein Genuss in jeder Hinsicht.

Titelbild

Michel Bergmann: Weinhebers Koffer. Roman.
Dörlemann Verlag, Zürich 2015.
141 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783038200161

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