Photographien statt Fotografien

Wim Wenders‘ photographisches Werk wird entdeckt

Von Lothar StruckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lothar Struck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem Jahr wird Wim Wenders 70 Jahre alt. Anlass genug, dem Sohn der Stadt im Museum Kunstpalast in Düsseldorf eine Retrospektive zu widmen. Gezeigt werden nicht etwa seine Filme, sondern Photographien. Trotz einiger kleinerer Werkschauen und opulenter Bildbände ist es allgemein weniger bekannt, dass Wenders seit den 1970er-Jahren professionell photographiert. Neben dem Ausstellungskatalog erscheinen hierzu bei Schirmer/ Mosel zwei weitere Bände: Die Neuauflage des 1994 erschienenen Bandes Einmal und, ebenfalls überarbeitet, Written in the West. Revisited.

Auf den in der Stadt zahlreich angebrachten Plakaten wird die Ausstellung mit dem Titel Wim Wenders. Landschaften. Photographien. beworben. Wie ein Untertitel wirkt dabei der von Wenders selbst gefundene Name: 4 Real & True 2. Was zunächst wie ein Akronym aus der Rap-Szene oder wie abgeschaut aus der Pseudo-Kommunikation in sozialen Netzwerken anmutet, verdeutlicht doch zutreffend die Programmatik und den Anspruch von Wenders‘ photographischem Œuvre: „For Real and true too“ – frei übersetzt: „Wirklich und auch wahr“.

Im Katalog gibt es neben Aufsätzen von Hubertus von Amelunxen und Laura Schmidt einen fast manifestartigen, emphatischen Text von Wenders, verfasst in rhythmischer Prosa, der beherzt gegen den Zeitgeist der digitalen Photographie Stellung bezieht (Nicht ausser 8 lassen was es alles gibt). Dabei rekapituliert er zunächst die Aura und den Akt des (analogen) Photographierens von dessen Anfängen an. Diese ermöglichte ihm, die „Begeisterung an der Wirklichkeit“ zu zeigen, etwas, was der Malerei „seit jeher verwehrt geblieben war“. Verzückt erzählt Wenders von der Herstellung eines Photos, vom Weg des Lichts „durch die Linse auf das Negativ“, dem chemischen Prozess nebst dem sehnsuchtsvoll in der Dunkelkammer erwarteten, sich schließlich zeigenden Resultat: „Die Wirklichkeit, die sich im Licht offenbart hatte, war eben jene, die man später auf dem Photo wiedererkannte.“

Analog versus Digital

Mit dem Aufkommen der Digitalphotographie sieht Wenders einen Kulturbruch, die in einer Technikkritik mündet, wie sie beispielsweise aktuell Byung-Chul Han betreibt. Die digitale Technik bestimme immer mehr den Photographen, nicht mehr umgekehrt, so Wenders‘ These. Allein die Möglichkeit, beliebig oft Photos machen zu können, ändere die „innere Bereitschaft des Photographen“ in Bezug auf sein Objekt: „Der einst so einmalige Vorgang […] ist immer beliebiger geworden.“ Auch die Möglichkeit, das digitale Bild sofort „zu checken“, stört ihn dahingehend, dass sich der „Entwicklungsprozeß“ durch Beschleunigung fundamental verschiebe. Für Wenders war die Zeit, die vom Photographieren bis zur Entwicklung im Labor verging, Teil des Schaffensprozesses. Verkürzt man diese Zeit auf wenige Sekunden, lässt, so könnte man Wenders paraphrasieren, die Aufmerksamkeit des Photographen, ja seine Konzentration auf das Motiv, nach beziehungsweise verflüchtige sich.

Die als nicht gelungen angesehenen Aufnahmen würden sofort gelöscht. Damit gehe die „Einmaligkeit“ des photographischen Aktes verloren. Hinzu komme, dass das digitale Bild in „kleinste Atome zertrümmert“ und auf diese Art und Weise zu „Datenketten“ reduziert werde. „Zwischen dem Licht, das durch die Linse fällt, auf einen Sensor, der es in Nuklearteilchen namens Pixel aufteilt, und dem Licht, das auf dem Bild später erscheint, besteht keine schlüssige Verbindung mehr.“ Schließlich werde das Bild gegebenenfalls noch durch Collagen und Bearbeitungen manipuliert – und mit ihm die Wirklichkeit, die man sich auf diese Weise „gefügig“ mache.

„Möchtegern-Wirklichkeiten“ nennt Wenders das treffend: „[Z]usammengesetzte Bilder“, die „neue Realitäten erfinden und vor uns ausbreiten“. Und so kommt er auf die eindrucksvolle wie amüsante Idee, digitale Bilder als „Fotografien“ zu schreiben (mit „f“) – im Gegensatz zu den „Photographien“ der analogen Welt (mit „ph“). Und fast entschuldigend für dieses naive Festhalten an dem, was man als Bekenntnis zu einem photographischen Naturalismus bezeichnen könnte, seine Begründung: Eine autobiographische Geschichte von einem Haschkeks-Rausch in der Jugend, der ihn fast um dem Verstand gebracht hätte und womöglich auf die Feier der Realität für immer konditioniert habe. Und daher sei alles an seinen Bildern „4 real & true 2“.

Vielleicht sollte man diesen autoritativen Text Wenders‘, der im Katalog auf Seite 228 abgedruckt ist, zuerst lesen. Zwar nimmt Hubertus von Amelunxen mit seinem als Einleitung konzipierten, konzisen Aufsatz über Wenders‘ photographisches Schaffen diese Verfahrens-Programmatik auf, aber es ist vor allem der von nahezu jedem akademischen Wortgeklirre befreite, zuweilen kindlich-kluge Duktus von Wenders‘ Text, der ergreift und einen für die Sache einnimmt. Dass am Ende die großformatigen Bilder der Ausstellung – bis zu 5 m hoch und 3,80 m breit – Digitalisate der analog entstandenen Photographien sind, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Ort, Augenblick, Dauer

Von Amelunxen balanciert in seinem Text zwischen Wenders als Regisseur und Wenders als Photograph. Und obwohl er strikt das photographische Werk von den Filmen trennen möchte, arbeitet er zunächst Gemeinsamkeiten in der Bildsprache heraus. Wobei es dann doch die Unterschiede sind, die den besonderen Reiz ausmachen. Im Gegensatz zum Film, der stetig Bild auf Bild setzt, ist die Photographie befreit von der Filmsyntax. Die Photographie hält inne, sie sei im Gegensatz zum Film, der „unter dem Gesetz [steht], dass es eine ihr vorausgehende und eine ihr folgende Einstellung gibt“, geradezu „erholsam“, wie Wenders einmal bekannte. 

Als „einen bestimmten, einmaligen und unabänderlichen Ausdruck des Ortes in der Zeit“ sieht von Amelunxen Wenders‘ Bilder. Gezeigt werde die „Bezauberung eines einmaligen, irreversiblen Augenblicks“, dem durch die Photographie Dauer zugewiesen werde. Wenders zeige das „Sosein des Ortes“ in seiner Zeit. Laura Schmidt bezeichnet Wenders‘ Bilder etwas pathetisch als „Akt des Widerstands gegen das Vergessen und Verschwinden, gegen Entfremdung und das langsame Sterben an allgemeiner Ratlosigkeit“.Im Gespräch mit dem 1943 geborenen französischen Filmkritiker und Regisseur Alain Bergala – abgedruckt in Written in the West Revisited – erfährt man mehr zu Wenders‘ Ästhetik des Photographierens. Hinter seinen Photos stecke „der Wunsch, etwas im Blick zu fassen … und zu bewahren“, so Wenders. Aber „Hingabe an die Dinge“ allein reiche nicht aus. Hinzukommen müsse eine Form, „in der diese Hingabe stattfinden kann“. Weiter führt Wenders aus: „[W]enn ich keinen Rahmen habe, innerhalb dessen ich mich verlieren kann […] oder wenn ich nicht sehe, wie die Linien miteinander harmonieren“, dann werde man „zum Touristen, und dann bedeutet die ganze Anstrengung nichts mehr und das Bild bleibt leer.“ Bestimmend für den Photographen sei das, was er  „Haltung“ nennt: „Alle großen Photos sind frei von Arroganz.“ Und weiter: „Die Photos, die mir wirklich etwas bedeuten, sind diejenigen, in welchen sich der Photograph verloren hat.“ Wenders sieht sich als bescheidenen „Licht-Handwerker“. Interessant wäre es gewesen, im Katalog auf diese Programmatik einzugehen, aber das Gespräch wird in keinem der Aufsätze erwähnt.

Im Übrigen lässt nur ein Copyright-Vermerk im Buch das Datum des Gesprächs erahnen. Tatsächlich führte es Wenders bereits 1987, drei Jahre nach seinem Durchbruch mit dem Film Paris, Texas. Es überrascht, dass er damals bereits von 30 Jahren Erfahrung im Photographieren sprach. Das Jahr des Gesprächs ist nicht ganz unwichtig, da es (1.) die Kontinuität des Werkes von Wenders praktisch von den 1980er-Jahren bis heute zeigt und (2.)  grundlegende Erkenntnisse über das Selbstverständnis Wenders‘ seinen Photographien gegenüber aufzeigt.

Von Amelunxen weist darauf hin, dass die Bilder der Ausstellung fast alle menschenleer seien. Ganz richtig ist dies nicht, denn auf einem Viertel der Aufnahmen sind Menschen zu sehen, auch wenn sie selten im Zentrum stehen. Häufiger sind sie von hinten zu sehen oder wie sie auf einen im Bild selbst nicht sichtbaren Punkt schauen. Sie wirken oft wie Verlorene oder, existentialistisch formuliert: Geworfene, wie beispielsweise die Frau auf der Straße neben zwei haltenden Autos. Nie sind sie direkt Handelnde, aber dennoch nicht bloße Staffage; im ungünstigsten Fall zeigen sie Dimensionen an (etwa an einem Vulkankrater auf Sizilien – On Mount Etna, Sicily, 2007 – oder vor einem hässlich-futuristischen Parkhaus in Houston – Entrance, Houston, Texas, 1983).

Häufig zeigt Wenders Industrie- oder anderweitige Bauruinen: Un-Orte, wie sie auch in der Prosa seines Freundes Peter Handke immer wieder auftauchen. Nicht minder eindrucksvoll die verwitterten Friedhöfe, wie der Indianerfriedhof in der „Gegend von Montana“ (Indian Cemetery in Montana, 2000) oder auf dem Berg Zion (Jerusalem Seen from the Mount Zion, 2000). Andere Bilder zeigen Städte oder Dörfer, die womöglich unmittelbar vor dem Verfall stehen. Written in the West Revisited zeigt ausschließlich Orte aus dem amerikanischen Westen. Längst dienen sie nur noch als Durchgangsstationen zu den Metropolen. Dabei wirkt alles irgendwie pittoresk. Gezeigt werden bunte, hübsch anzusehende Gebäude. Aber auch eine gewisse Portion Leichtigkeit fehlt nicht, etwa wenn Busse die Namen ihrer Fahrer statt Linienbezeichnung und Fahrroute tragen (Joshua and John (behind), 1983).

Die Bilder aus den Staaten wecken Assoziationen zu Malern wie Edward Hopper (Wenders‘ Lieblingsmaler) und auch Andrew Wyeth; Wenders macht daraus keinen Hehl. Unter „Kodachrome-Himmeln“ – Wenders bekennt in einem Text zu den Fotos von 2001, „keine Angst“ vor diesen Motiven mit ihrem „weiten Horizont und diesem gleißenden Licht“ gehabt zu haben – sieht man zuweilen melancholische, alte Cowboys mit ihren riesigen Hüten, häufig in leicht gebückter Haltung irgendwo am Rand des Bildes („Hot Springs“ Truth or Consequences, New Mexico).

Das Konservieren und Bewahren, der flüchtigen Stimmung Dauer zu geben, ist jedoch nicht der einzige Movens von Wenders‘ Photographien. Sonst könnte man die Bilder von verfallenden Gebäuden des amerikanischen Westens oder auch der malerische Charme der bunten, aber langsam verwitternden Häuser aus Havanna Ende der 1990er-Jahre (The Orange Building, Havana, 1998 oder Shoeshine Stand, Havana, 1998) als Ästhetisierung des Morbiden, des Hässlichen denunzieren. Nichts liegt Wenders jedoch ferner.

Verlorene Paradiese

So sehr Wenders Wert auf Dauer und „Wirklichkeit“ legt – hiermit alleine lässt sich die Faszination seiner Photographien nicht erklären. Ein zusätzlicher Aspekt muss hier genannt werden. Die zum Untergang bestimmten Orte, Gebäude und Landschaften werden zum Ausgangspunkt für die Evokation einer Geschichte aus einer verlorenen Zeit. Die Photographien sollen Assoziationen an das potenzielle oder mögliche Gewesene auslösen. Das meint Wenders, wenn er seine Photographien als Beginn einer Erzählung ansieht (Einmal). Dass das Denken an das Vergangene eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich besonders deutlich bei seiner kleinen Serie über Onomichi, Japan (2005). Es ist der Ort, den der japanische Filmregisseur Yasujirō Ozu als Ausgangspunkt für seinen Film Die Reise nach Tokyo (1953) nahm. Wenders, der Ozu nicht nur in dem Dokumentarfilm Tokyo Ga (1985), sondern auch in vielen seiner Filme mit Widmungen immer wieder gehuldigt hat, spricht über seine Ankunft von dem „Gefühl, heiligen Boden zu erreichen: das Gebiet eines Verlorenen Paradieses“. Unterstrichen wird dies mit einem imposant im Dämmerlicht gezeigten Caspar-David-Friedrich-Baum (The Dead Tree, Onomichi, Japan, 2005).

Und so sollte man seine besten Photographien als Reminiszenzen, ja Beschwörungen „Verlorener Paradiese“ sehen, auch wenn diese womöglich heute noch gar nicht als solche erscheinen, wie das Spargelfeld in Brandenburg (Aspartagus Field, near Beelitz, 2014). Dabei ist es natürlich weniger die eigentliche Topographie des Ortes – das diese beispielsweise im Fall von Onomichi nach mehr als 50 Jahren eine andere ist, wäre eine Binsenweisheit. Das „Verlorene“ im Paradies in Onomichi ist die Aura, dass Ozus Film dort entstand. Das „Verlorene“ in der amerikanischen Provinz ist das, was man den amerikanischen Traum nennen könnte. Das „Verlorene“ an den verrottenden Autokinos in Kanada (Four Drive-in Screens, Montréal, Canada, 2013) ist die Bedeutung des Kinos, wie sie in Walker Percys „Der Kinogeher“ beschworen wird. Das „Verlorene“ im Motiv des wunderbar-opulent photographierten, verrotteten Riesenrads irgendwo in Armenien (Ferris Wheel, Armenia, 2008) zeigt sich bei der Sicht von der Gegenseite aus (Ferris Wheel (Reverse Angel), Armenia, 2008): eine menschliche Siedlung, in der einst gelebt, gelacht und geweint wurde. Und fast zur gleichen Zeit als Peter Handke sein verlorenes Arkadien Jugoslawien wütend betrauerte (was zwischenzeitlich zur Entfremdung der Freunde geführt haben soll), konservierte Wim Wenders in seinem Dokumentarfilm Buena Vista Social Club (1999) nicht nur eine aus betagten Senioren bestehende kubanische Band, sondern auch die Insignien einer eigentlich längst vergangenen Zeit.

Dies geht soweit, dass die Gegenstände auf den Photographien zuweilen anthropomorphisiert werden. Wenders spricht dann von der „Würde“ der Gegenstände. Und als er sich einmal Eintritt in ein lange schon geschlossenes Hotel verschafft und in der Halle bunte Sessel im Halbkreis photographiert, die wie Statuen einer einst ruhmreichen Zeit wirken und „untereinander tief ins Gespräch vertieft“ scheinen (Lounge Painting #2, Gila Bend, Arizona, 1983), weiß man, was gemeint ist. 

Ground Zero und Fukushima

Einige wenige Photographien fallen dagegen in qualitativer Hinsicht ab. Es sind diejenigen, die dem Betrachter zusätzlich eine irgendwie geartete Botschaft mitgeben sollen. Sie werden dann zu Statements, die den Blick des Schauenden wenn nicht verbauen, so doch mindestens ablenken. Bei den Photographien vom Ground Zero, wenige Wochen nach dem Anschlag, mag man Wenders‘ Faszination noch folgen (New York, November 8, 2001, I bis New York, November 8, 2001, V). Er erzählt hier von einem fast epiphanischen Erlebnis, als plötzlich und unverhofft die rauchende Trümmerstätte „in flammendes Sonnenlicht gehüllt“ wurde. Wenders mystifiziert dies als Zeichen dafür, dass dieser Ort „nicht zu einem Grund für weiteres Blutvergießen“ und zum „Ort des Friedens und des Heilens“ hätte werden können. Resigniert nimmt er dann schließlich zur Kenntnis, dass es stattdessen zum „Ausgangspunkt eines neuen Krieges“ wurde.

Übermotiviert wirkt Wenders bei den drei Photographien aus Fukushima (Fukushima I, 2011 bis Fukushima III, 2011). Im Beitext zu den Bildern berichtet er von der gemessenen Strahlenbelastung, die sich, je näher er an den Ort des Unfalls heranrückte, naturgemäß verstärkte. Am Ende misst er „schreckliche 8,19 Mikrosievert“ pro Stunde. Eine Belastung, die sicher hoch ist, aber relativiert wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Flug Frankfurt-Tokio zwischen 45 und 110 Mikrosievert Strahlenbelastung über die gesamte Flugdauer verursacht. Daher erscheint es unglaubhaft, dass die Strahlenbelastung vor Ort dazu geführt haben soll, dass auf den Photos eine Sinuskurve zu sehen ist. Die Wahrscheinlichkeit ist ungleich höher, dass es sich um Einflüsse des Röntgengerätes bei der Gepäckkontrolle am Flughafen handelt, beispielsweise dahingehend, dass der Film nicht richtig eingelegt worden war.

Die Bücher

Dieser Einwand soll niemanden davon abhalten, die von Beat Wismer sorgfältig und kongenial kuratierte Ausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf anzuschauen und zu genießen. Einige wenige der 87 im Katalog gezeigten Photographien fehlen in der Ausstellung. Auch die von Wenders zu fast allen Bildern verfassten Texte (zuweilen als Haikus bezeichnet) werden nur teilweise gezeigt. Das ist durchaus zwiespältig: Auf der einen Seite wird damit der Blick des Betrachters nicht vorzeitig auf die von Wenders beabsichtigte Intention konditioniert. Andererseits gehen damit vom Künstler beabsichtigte Kontexte verloren, die allerdings im an zwei Stellen kostenlos ausliegenden Katalog nachgelesen werden können.

Wenn man vorher den 13,5 cm x 20 cm broschierten Katalog durchgeblättert hat, ist man womöglich ob der Größe der Bilder (bis zu 5 m breit und 3,80 m hoch) überrascht (weil es etwas anderes ist, die Formate zu lesen und sie dann zu erleben). Obwohl einige Bilder ausschnittweise vergrößert dargestellt sind, erscheint das Format des Kataloges den Photographien nicht angemessen. Die gute Nachricht dazu gibt es gleich am Eingang: „Fotografieren ist erwünscht“ (mit „f“, nicht mit „ph“).

Der von Wenders als „Geschichtenbuch“ bezeichnete Band Einmal zeigt Bilder aus der Frühphase seines Schaffens. Alle 45 Bildgeschichten mit 225 Photographien werden in Form eines Prosagedichts, stets beginnend mit „Einmal“, kommentiert. Der Band zeigt, dass Wenders, der kein ausgewiesener Portraitphotograph ist, trotzdem Menschen photographiert hat und dies auch sehr gut beherrscht. So gibt es Bilder von indonesischen Straßenkindern, Peter Handke (von hinten), einer Bäuerin in den Alpen oder „heimatlosen“ Amerikanern auf der Straße. Besonders zu Beginn werden jedoch vor allem bekannte Schauspieler und Regisseure gezeigt wie Akira Kurosawa, Nicholas Ray vor und nach seiner Chemotherapie, dem mit Heiner Müller zusammen schweigenden Jean-Luc Godard, Elia Kazan, der beim Krankenhausbesuch eine Maske tragen muss und aussieht „wie ein Häuptling eines kriegerischen Stammes“, oder dem badenden Francis Ford Coppola. Das wunderbarste Bild in diesem Band zeigt Isabella Rossellini und Michael Scorsese. Mit 15,0 cm x 20,5 cm ist das Format ähnlich dem des Kataloges, was jedoch nicht so stark ins Gewicht fällt, weil es kaum Panoramaaufnahmen enthält.

Written in the West Revisited zeigtausschließlich „Photographien aus dem amerikanischen Westen“ (so der Untertitel). Zunächst 43 Photographien aus 1983 (Written in the West), als Wenders fast streunend durch den Westen gezogen war um sich für seinen Film Paris, Texas inspirieren zu lassen. Die Photographien sind beispielsweise aus Las Vegas/New Mexiko, Odessa/Texas oder Douglas/Arizona. Wie auch der Film Paris, Texas am Ende an einem anderen Ort gedreht wurde (von Paris in Texas stammt nur das Bild, dass der Protagonist Travis im Film mitführt), so ist auch keines der Bilder von 1983 aus dieser Stadt. 2001 besucht Wenders die Gegend wieder (Revisited) und zeigt dann15 Photographien aus Paris/Texas. Die Tristesse, der fortschreitende Verfall – sie werden melancholisch, fast respektvoll gezeigt (etwa auf Cowboy Bar oder Paris Street Crossing.) Written in the West  Revisited ist ein Coffee-Table-Book mit schwelgerischem Potential. Zusammen mit dem Gespräch Wenders‘ mit Bergala ist es ein Muss für jeden, der diese Photographien mag.  

Die Ausstellung im Düsseldorfer Museum Kunstpalast ist noch bis 16. August 2015 geöffnet.

Titelbild

Wim Wenders: 4 Real & True 2. Landschaften. Photographien.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2015.
352 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783829606967

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Wim Wenders: Einmal. Bilder und ihre Geschichten.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2015.
271 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783829607100

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Wim Wenders: Written in the West. Revisited.
Photographien aus dem amerikanischen Westen.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2015.
107 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783829607094

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