Die Entscheidungen eines Tages

Monika Dreykorns Buch „30. Januar 1933“ beleuchtet den Tag der Machtübernahme Hitlers und dessen Folgen

Von Detlev MaresRSS-Newsfeed neuer Artikel von Detlev Mares

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kein Tag hat sich derart verhängnisvoll auf die neuere deutsche, europäische und die Weltgeschichte ausgewirkt wie dieser.“ Diese Einschätzung des 30. Januar 1933 steht im Zentrum der Überlegungen Monika Dreykorns. Ohne die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wäre die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit großer Wahrscheinlichkeit anders verlaufen. Verbrechen, Weltkrieg, Völkermord – ohne die Machtübertragung an Hitler in dem Ausmaß, das sie annahmen, kaum denkbar! Dreykorns Darstellung beschränkt sich daher nicht auf den „eiskalten Wintertag“ im Januar 1933, sondern schildert in knappen Zügen die gesamte Entwicklung des Dritten Reiches bis in Krieg und Holocaust hinein als Folge dieses Tages.

Diese Konzentration auf die Entscheidungen eines Tages birgt die Gefahr, ein einzelnes Ereignis in seiner Bedeutung zu übersteigern und hinter dem Intrigenspiel der Machtübergabe deren tieferreichende Ursachen zu vernachlässigen. Dieser Versuchung erliegt die Autorin nicht. Ausführlich schildert sie nicht nur die Folgen, sondern auch die Vorgeschichte des 30. Januar 1933. Dabei wägt sie die strukturgeschichtlichen Faktoren gegenüber den Intrigen der Clique um Franz von Papen und den Reichspräsidenten ab und interpretiert die Ernennung Hitlers als „Meilenstein einer langen unheilvollen Entwicklung“. Diese war geprägt von der Stärke der extremen politischen Lager in der Weimarer Republik, den Folgen der Wirtschaftskrise und dem Bestreben der konservativen Eliten, einen autoritären Staat zu errichten. Die Machtübertragung erweist sich damit als ein in erster Linie „symbolischer Wendepunkt“. Das Ereignis erhält seine Bedeutung als Folge bestimmter Voraussetzungen und als Auslöser bestimmter Konsequenzen.

Vielen Zeitgenossen erschien Hitlers Amtsantritt bezeichnenderweise weniger dramatisch, als er rückblickend in Kenntnis der Folgen erscheinen mag. Wichtig wurde die Kaltblütigkeit, mit der die neuen Machthaber die ihnen gegebene Chance nutzten: Dreykorn stellt zurecht die in rascher Folge eingeleiteten Maßnahmen heraus, durch die die Nationalsozialisten die Macht im wahrsten Sinne des Wortes „ergriffen“. Rasch waren die konservativen Steigbügelhalter abgeschüttelt, die Gegner verfolgt oder kaltgestellt. Der Autorin gelingt es, plausibel zwischen den Interpretationspolen der Forschung zu vermitteln, die zum Teil das strukturelle Korsett, in dem die Akteure steckten, zum Teil deren Entscheidungsspielräume betonen.

Bei all dem beansprucht Dreykorn nicht, grundlegend neue Perspektiven auf das Thema zu eröffnen oder neue Rechercheergebnisse zu bieten. Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, die einen fachlich soliden und darstellerisch ansprechenden Zugang zur Bedeutung dieses für die Geschichte so folgenreichen Tags auf der Basis der existierenden Forschung gewinnen wollen. Der Text ist mit zahlreichen Abbildungen, eingeschobenen Erläuterungskästen und einer Zeittafel angereichert, vor allem aber setzt die Autorin anschauliche Akzente, die den Band bereits für fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler attraktiv machen dürften. So führt sie den Leser zu Beginn vom Schlafzimmer des Reichspräsidenten über das Quartier Hitlers im Hotel Kaiserhof bis zur Wohnung des Strippenziehers Franz von Papen. Auf diese Weise demonstriert sie die hektische Betriebsamkeit am Morgen der Kanzlerernennung, die bis wenige Minuten vor dem Vollzug nicht gesichert war.

Der aktuelle Forschungsstand fließt unaufdringlich in die Darstellung ein. So wird das immer noch verbreitete Bild vom gutwilligen, aber überforderten Paul von Hindenburg korrigiert durch den Hinweis auf den Meister der Selbstdarstellung, der zwar die Verfassung der Weimarer Republik nicht offen brechen, aber doch autoritär umgestalten wollte. So widerwärtig ihm Hitler persönlich gewesen sein mag, war der Reichspräsident doch kein willenloses Geschöpf der ihn umgebenden Kamarilla, sondern teilte deren wesentliche Ziele. Auch die „Mischung aus Verführung und Bedrohung“ in der Machtdurchsetzungsphase, die spezifische Kombination aus propagandistischen Coups und brutaler Gewalt, tritt plastisch hervor. Für die Schilderung der Ereignisse des 30. Januar selbst orientiert sich Dreykorn nicht zuletzt an Henry A. Turners Studie „Hitlers Weg zur Macht“ von 1996. Wie Turner stellt sie abschließend Überlegungen zu möglichen Alternativen an, die dem Reichspräsidenten statt einer Hitler-Kanzlerschaft zur Verfügung gestanden hätten, wie Turner beurteilt sie die Chancen eines auf die Reichswehr gestützten Staatsnotstands vielleicht etwas zu positiv. Doch rechtzeitig bremst sie selbst zu weit führende Spekulationen ab und betont abschließend erneut, wie sehr die von Papen geschmiedete Regierung der konservativen Kräfte dem Reichspräsidenten „ein Herzenswunsch“ gewesen sei. Von Papens Einrahmungskonzept enthielt das Versprechen, die angestrebte Umgestaltung der Weimarer Republik ohne Verfassungsbruch und Bürgerkrieg vollziehen zu können. Die schlimmsten Folgen seiner Selbsttäuschung musste Hindenburg nicht mehr erleben. Mit seinem Tod im August 1934 sieht auch Dreykorn die eigentliche Phase der Machtdurchsetzung abgeschlossen.

Populärwissenschaft im besten Sinne also: Monika Dreykorn hat eine rasant erzählte, auf knappem Raum dennoch differenzierte Darstellung geschrieben, die den Forschungsstand zu einem historischen Drama verdichtet und dieses trotz der großen Zahl an Akteuren und Handlungslinien leicht zugänglich präsentiert.

Titelbild

Monica Dreykorn: 30. Januar 1933. Hitler an der Macht!
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2015.
151 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783806230468

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