Versöhnung mit der Kontingenz

Banana Yoshimoto liefert mit „Moshi Moshi“ eine weitere Variante ihrer Gesundungsprosa

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stadtviertelkur Shimokitazawa

Geht es ihren Protagonisten richtig schlecht, schickt sie Banana Yoshimoto, die bekannte Autorin bibliotherapeutischer Prosa, in die verbliebenen Wohlfühlzonen des typischen japanischen Quartiers mit seinen Restaurants und kleinen Kneipen. Nur in diesen letzten urbanen Enklaven findet man noch die nostalgisch geliebten Reste der guten alten Shôwa-Moderne, während plutokratische Strukturierung und Gentrifizierung des 21. Jahrhunderts unaufhaltsam fortschreiten.

Im Bistro „Les Liens“ der begabten Chefin Mitsuyo findet Yoshie nicht nur Arbeit, sondern auch eine Aufnahme in die egalitäre Gemeinschaft der Künstler und Köche von Shimokitazawa – ein an der Inokashira-Linie gelegenes Viertel mit viel Flair und Bausubstanz aus den Dekaden der Vor- und Nachkriegszeit. Die junge Frau hat jüngst ihren Vater verloren; er beging gemeinsam mit einer rätselhaften Geliebten Selbstmord, hinterließ Yoshie nebst Mutter ebenso fassungslos wie wütend. Im Kontakt mit der gemächlichen, menschennahen Kultur des Orts gewinnt das Paar, das sich zu einer Notgemeinschaft jenseits der familiären Struktur zusammengeschlossenen hat, seine Lebensfreude und eine Perspektive für die Zukunft − ohne Mann und Vater − zurück.

Eat Pray Love à la Yoshimoto

Leser von Yoshimotos Texten werden viele Motive wiedererkennen: eine traumatisierte Protagonistin, die einen schweren Verlust erlitten hat, einen Platz, der Zuflucht bietet, die Interaktion mit den Menschen dieses Kraftorts, die Würdigung ihrer Fähigkeiten, die Hingabe an das Kulinarische, die Emanzipation von den Eltern, das Austesten des Erotischen, die Akzeptanz der Kontingenz, die Einsicht in die Vergänglichkeit und die innere Zustimmung zu den Gegebenheiten des Universums als Ziel der Lebensschule. Dass es in diesem wiederholten Entwurf der populären Ratgeber in literarisierter Form um eine Bewältigung von Schicksalsschlägen geht, sagt bereits die Eingangspassage, in der sich die Protagonisten auf die – real existierende, 1932 in Berlin geborene – schwedisch-japanische Pianistin Fujiko Hemming beruft, deren Biographie ihr „Zuversicht und das Gefühl für das Leben gewappnet zu sein“, vermittele.

Yoshie weiß, dass sie mit dem Tod des Vaters künftig den Schutz der Familie und die Geborgenheit des elterlichen Heims entbehren muss – sie erfährt sozusagen die Vertreibung aus ihrem Moratorium, konfrontiert mit der Aufgabe, aus dem Schatten Papas zu treten. Nach dessen unrühmlichem Abgang bedürfen jedenfalls sowohl Mutter wie Tochter einer Kur, die sie aus der Trauer wieder zurück ins Leben holt. Yoshie richtet sich in einem kleinen Appartement in Shimokitazawa ein, arbeitet in der Gastronomie, meditiert über ihre Situation und zieht eine frühe Lebensbilanz, die wenig befriedigend ausfällt.

Ein erster Schritt in Richtung Genesung erfolgt über die Zuführung eines fruchtigen Eisdesserts sowie einer köstlichen Salatmahlzeit: „Außer den Graupen war der Salat üppig mit knusprigen Croutons und rohem Schinken garniert. Unter dem frischen Eisbergsalat gab es reichlich Babymais, Minitomaten, Okraschoten und Gurken“. Diese vegetabile „Infusion“ wurde von Mitsuyo als eine Art von Fastenspeise zubereitet, die beide im „Les Liens“ zu sich nehmen und die sie ebenso körperlich wie seelisch wieder aufrichtet. Das Lob der Protagonistin im Hinblick auf die „Aufrichtigkeit“ des Bistros fällt dementsprechend enthusiastisch aus.

Wärmflaschenprosa

Während die Mutter sich im weiteren Verlauf der Geschichte beinahe frohgemut vom Dasein als elegante, Hermès-Taschen bewehrte Hausfrau im Nobelstadtteil Meguro verabschiedet, zu Yoshie zieht, sich in das Milieu des legeren Viertels schnell eingewöhnt und sichtlich aufblüht, bleibt es für Yoshie wichtig, ihren Vater und dessen Beziehung zu der „gefährlichen Geliebten“ zu verstehen. Erst als sie die Dinge durchdacht und für sich ein Fazit gezogen hat, kann auch Yoshie wieder positiv in die Zukunft blicken. Allerdings, so ist zu lesen, bleibt ihr Ideal in Liebesdingen der Vaterfigur verhaftet − in Gestalt eines Freundes des Verstorbenen. Der stürmische, sexuell ambitionierte Gleichaltrige ist doch nicht ganz ihr Geschmack; zu ihm meint sie: „Wenn man miteinander geschlafen hat, ist der Zauber verflogen.“

In letzter Konsequenz, legt Banana Yoshimoto dar, geht es darum, das behagliche heimatliche Haus in sich selbst zu kultivieren, seine eigenen Schutzzonen zu errichten, um den Verlust der Retro-Refugien in der Realität zu ersetzen. Zu dieser warmen Wohnstatt des in der kalten Moderne verirrten Kindes gehört ein Vorratsraum des Herzens, gefüllt mit genug Resilienz für alle kommende Unbill sowie ein Zimmer mit schönen Träumen, zum Beispiel von einer Reise nach Paris, und nicht zuletzt die flauschig-weich umkleidete Papa-Ersatz-Wärmflasche. Kurzum, mit Banana erhält man wie immer eine medizinisch unbedenkliche Grundausstattung der Kontingenzbewältigung oder eben ein literarisch zu verabreichendes Placebo gegen Enttäuschungsfrust. 

Titelbild

Banana Yoshimoto: Moshi Moshi. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Matthias Pfeifer.
Diogenes Verlag, Zürich 2015.
292 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257069310

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