Von Wiedergeburten, Delfinen und Pop

Joachim Bessing schreibt mit „Super: Mein Leben“ Friedrich Liechtensteins Künstlerbiographie

Von Julian GärtnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Gärtner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man sollte Friedrich Liechtenstein eigentlich seines galanten Albums Bad Gastein wegen kennen. Es sind jedoch die knapp dreieinhalb Minuten eines Musik- beziehungsweise Werbevideos für Edeka, die ihm so etwas wie medialen Ruhm verschafft haben. Darin kommentiert er Dinge, die er gut findet, tänzelt durch mehr oder minder wohnliche Räume und nimmt lässig ein Milchbad. Nachdem letztes Jahr mit Selfie Man eine Mischung aus Bilder- und Tagebuch erschienen ist, folgt nun mit Super: Mein Leben die Biographie des Künstlers Friedrich Liechtenstein. Geschrieben hat sie Joachim Bessing.

Die Geburt des Elektropop in der DDR

Als Friedrich Liechtenstein in den 1950er-Jahren in Stalinstadt geboren wird, heißt er noch Hans-Holger Friedrich. Ähnlich wie sich nach Friedrich Nietzsche in der antiken griechischen Kultur die apollinische Kunst des Bildners und die dionysische Kunst des Musikers zu ständig neuen Geburten reizen, muss auch Friedrich Liechtenstein immer wieder neu geboren werden. Schon als Junge interessiert er sich für Plastiken und Architektur, sowie für Geigenunterricht und besonders für Algen. Entsteht bei Nietzsche schließlich die attische Tragödie, so ist es bei Friedrich Liechtenstein der Elektropop. Das ist das etwas verhärmte Leitmotiv, das die Künstlerbiographie Super: Mein Leben in mindestens fünffacher Häufung geradezu per Saugglocke versucht, auf den Weg zu bringen. Ein besonders zärtliches Verhältnis hat Friedrich zu seinen Eltern: Die Mutter ist Erzieherin und der Vater Zahnarzt. Gemeinsam verbringen sie ihre Urlaube an der Ostsee, wo Friedrich lernt, Pudel aus getrockneten Algen zu basteln.

Statt Meeresforscher zu werden, beginnt Friedrich eine Lehre als Koch in Frankfurt an der Oder, rückt zeitweilig in die NVA ein und wird schließlich Puppenspieler. In Waitzdorf in der sächsischen Schweiz zieht er mit seiner ersten Frau Patrizia drei Kinder auf. Friedrich betreibt mit dem Materialtheater „eine etwas spröde, sehr ostige Form des Figurentheaters“. Doch er entdeckt nicht nur sein Talent für das darstellende Spiel, sondern verantwortet seine Kunst auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Gerade die Zustände in der DDR werden immer wieder nostalgisch bis frotzelnd erwähnt: „Die eigenen Produktionen, die des sogenannten Fernsehens der Deutschen Demokratischen Republik, haben mich nicht interessiert, weil ich da alles verstehen konnte. […] Aber bei den Muppets war allein schon die Idee mit einem Theater voller Puppen, die anderen Puppen applaudieren, derart nach meinem Geschmack.“ Mit dem Fall der Mauer geht auch Friedrichs erste Ehe in die Brüche. Wenig später zieht er nach Berlin: Er ist auf dem Weg, Künstler zu werden.

Liechtensteins tragisch-komisches Leben als Schmuckeremit

Das Berlin der 1990er-Jahre hat für Friedrich einiges mit Anton Tschechows Kirschgarten gemein: Die DDR wird ausverkauft, sie verblasst zur Erinnerung. Mit Gesine erlebt Friedrich eine synergetische Beziehung, die Zusammenleben und gemeinsame Arbeiten vereint. Nach verschiedenen Theater-Arrangements wird Friedrich zum Dolphin Man, seinem kreatürlichen Alter Ego. Im Berliner Pratergarten kumulieren Tanz, Kabarett und Gesang zur Performance-Kunst, der jedoch nur wenig Erfolg beschieden ist: „Von meinem Engagement hatte man sich offenbar etwas streng Politisches erhofft.“ Wenn lebensgeschichtliches Erzählen eine Form des sozialen Handelns ist, in dem die individuelle Geschichte mit kollektiven Interessen und Phantasien zusammengewoben wird, wie es Peter Sloterdijk behauptet, dann zerfasert an diesem Punkt Friedrichs Leben deutlich. Er entspricht nicht den kollektiven Erwartungen. In ‚Boomtownʻ versiegen die Fördergelder und die Miete bricht weg. Am Punkt der tragischen Peripetie eröffnet Friedrich – sehr ironisch und tief traurig – kurzzeitig einen öffentlichen Schlafsaal.

Eine kurze Beziehung und ein Engagement als Sänger auf einem Kreuzfahrtschiff können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei Friedrich nicht so recht läuft. Seine Eltern sind gestorben. Er löst sein Konto auf, gibt seinen Besitz ab und wird zum Dauer-Flaneur. Das Brillengeschäft seines Bekannten Ralph wird schließlich zu seiner Eremitage. Als Schmuckeremit darf Friedrich einfach sein, er lässt sich seinen schlohweißen Bart wachsen und spricht mit den Angestellten über Algen. Aus innerem Drang heraus muss er sich noch einmal als Friedrich Liechtenstein zur Welt bringen. Mit dem Musikvideo Supergeil für Edeka – einer reinen Auftragsarbeit – wie in der Biographie immerzu beteuert wird, kommt er schließlich zu größerer Bekanntheit.

Super: Mein Leben – ein bisschen mehr als eine Biographie

Friedrich Liechtensteins Kunst besteht eigentlich darin – sei es mit Musik, Tanz oder Gesang – große Sinnzusammenhänge oder den Big Sense zu unterlaufen. Die Biographie schafft es, virtuos die flüchtigen Klangfarben der Worte stilistisch zu binden: „Super“ lässt sich einerseits nicht mehr steigern und geht ganz in expressiver Bedeutung auf, andererseits ist es auch beliebig und bleibt an anderen Worten haften. Es kann vulgär oder charmant, plump oder seicht, emphatisch oder ironisch sein. Dessen bedient sich Friedrich Liechtenstein zwecks eigener Stilisierung zur Pop-Figur. Er bereitet „eine abstruse Idee so [auf] […], dass sie viele, sehr viele Menschen erreicht“. Es bleibt der leise Verdacht, dass dieser Gedanke als Prinzip dieser Biographie zugrunde liegt. Vieles, was sich in der Biographie als „super“ verkauft, ist eher „ganz okay“. Man möchte Friedrich Liechtenstein zurufen: „Mach weiter Konzeptalben wie Bad Gastein, mach weiter genialische Musikvideos und Performances – aber bitte verlege dich nicht auf Bücher! Auch sind die Coverdesigns deiner Bücher, ob von Aufbau oder Piper, immer so unsagbar hässlich!“

Das kann Joachim Bessing viel besser: Neben seinem Archiv für literarischen Journalismus, macht Bessing seit dem Popquintett Tristesse Royale vor allem mit Übersetzungen, Theaterstücken und auch Romanen von sich reden. Bessing hat schon einmal mit Waschen, Schneiden, Leben die Biographie eines B-prominenten Friseurs niedergeschrieben, die pikanterweise besonders für ihre „seitenlange Beschreibung eines Gulasch-Rezepts“ gelobt wurde. Damit ist Super: Mein Leben nicht zu verwechseln: Bessing schafft es, Friedrich Liechtenstein als Lebenskünstler und Flaneur durch Anspielungen ganz unprätentiös zwischen Laurence Sternes Tristram Shandy und Edgar Allan Poes Massenmensch zu zeigen, der immer dort auftaucht, wo sich angeblich gerade das Leben abspielt. Erst dadurch wird Super: Mein Leben etwas mehr als eine seichte Plauder- und Unterhaltungsbiographie. Zwar wird Bessing als Mitautor im Epilog und in der Danksagung genannt, nimmt sich aber ansonsten ganz zurück. Schade eigentlich.

Titelbild

Friedrich Liechtenstein: Super: Mein Leben.
Unter Mitarbeit von Joachim Bessing.
Piper Verlag, München 2015.
271 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492056663

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