Das einzigartige Blau des Himmels

Norbert Scheuers „Die Sprache der Vögel“ beschwört die Schönheit der afghanischen Natur

Von Gunter IrmlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunter Irmler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch ist weit mehr als ein Roman über das Knattern der Maschinengewehre, das Beben der Erde im Krieg oder die drastische Schilderung des Tötens in militärischen Schlachten. Zwar berichtet der Schriftsteller Norbert Scheuer in „Die Sprache der Vögel“ über die Bedrängnis und Not des 24-jährigen Paul Arimond als Sanitäter bei der Bundeswehr in Afghanistan in den Jahren 2003 und 2004, hatte dabei aber etwas anderes im Sinn als eine Kriegsreportage über den freiwilligen Einsatz am Hindukusch. Vielmehr beschwört er dichterisch die Schönheit der afghanischen Natur und die Leichtigkeit der Welt der Vögel  gegen die Vernichtungsmaschinerie des Krieges.

Afghanistan ­– das war eine Illusion: Der NATO-geführte Militäreinsatz mit deutscher Beteiligung in diesem Land ging im Dezember 2014 zu Ende. Immer wieder war es beim Aufbau des Landes und beim Kampf gegen Aufständische zu Zwischenfällen gekommen: 54 deutsche Soldaten sind dabei umgekommen. Unter der brennenden Sonne Afghanistans sucht der junge Protagonist Paul einen Ausweg aus seiner tiefen persönlichen Krise. Jedoch reißt ihn die ständige Begegnung mit dem Tod noch tiefer in einen Strudel der Haltlosigkeit.

Ein Abgrund an Langeweile wartet auf ihn und seine Kameraden im Militärlager, die Zeit scheint sich ins Unermessliche zu dehnen. Andererseits pflegt Paul auch unter Lebensgefahr verletzte Soldaten, kümmert sich um die Sterbenden und Toten nach Sprengstoffanschlägen oder militärischen Angriffen. Zuflucht nach den Schrecken des Krieges findet Paul zuerst in der unberührten afghanischen Natur.

Während eines Rundgangs findet er eine Vogelfeder: „Ich streiche sie glatt und lege sie in mein Notizbuch. Meine erste hier gefundene Feder.“ Er räsoniert darüber, dass es in Afghanistan „vielleicht mehr Vogelarten als in ganz Europa, ja in der ganzen westliche Welt“ gibt, und dass das „am einzigartigen Blau des Himmels“ liege. Er beobachtet mit dem Fernglas die Vögel: Es tröstet ihn, „ihnen beim Fliegen zuzusehen.“ Ihre Balztänze, ihr Gesang und ihre Schönheit lassen Paul nicht mehr los.

So vergisst er immer wieder einen Moment lang sein großes Schuldgefühl und seine innere Not. In diese geriet er nach einem Autounfall, den er vor seinem Militärdienst verursacht hatte. Sein Freund Jan erlitt dabei eine schwere Verletzung und trägt eine bleibende Behinderung davon. Der Rettungsanker für Paul sollte Afghanistan werden, aber jetzt erscheint der Krieg ihm „wie ein lauerndes Tier mit tausend Fratzen“ und er droht sich mehr und mehr zu verlieren. Wenn der Schmerz allgegenwärtig ist und die Hölle des Krieges quält, bleibt nur die Sehnsucht nach der Natur: „Vielleicht kommt es im Leben nur darauf an, irgendetwas zu finden, bei dem alles andere in Vergessenheit gerät.“

Norbert Scheuers Geschichte einer Desillusionierung und menschlicher Verluste im Zeitalter der Militärmissionen vermag sehr zu berühren. Sie wechselt zwischen der Perspektive Pauls in Afghanistan und seiner Erinnerung an seine Freundin, seine Freunde und Eltern in der Heimat in der Eiffel, wo die bisherigen Romane Scheuers angesiedelt waren.

Das alles ist ­– gegen die Erwartung beim Thema Krieg – unaufgeregt und ruhig erzählt, bewusst unspektakulär, wie immer bei Norbert Scheuer. Der Autor, der 1951 geboren wurde, lebt in Kall in der Eiffel. Sein Roman „Überm Rauschen“ stand 2009 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. „Die Sprache der Vögel“ landete im Frühjahr auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse. Sein Roman ist eine raffinierte poetische Antwort auf unsere existenziellen Nöte, gesellschaftspolitischen Fragen und die zunehmende Neigung zur Weltflucht.

Titelbild

Norbert Scheuer: Die Sprache der Vögel. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2015.
233 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406677458

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch