Grenzgänge

Über David Grays Krimi „Kanakenblues“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Reden wir nicht von den Problemen deutscher Krimis, reden wir lieber von einem guten deutschen Krimi, der jede Aufmerksamkeit verdient hat. Harte Sachen zu schreiben, ist, wenn keine Kunst, so doch gutes Handwerk, für das man einiges lernen muss. Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. So braucht es einen coolen, bösen Helden, der dennoch immer das Gute will und vielleicht auch schafft. Es muss korrupte Polizisten geben und gewalttätige Gangster. Alle müssen über Leichen gehen, die Situation muss hinreichend kompliziert sein, der Durchblick des Protagonisten nicht allzu groß. Und es braucht die geheimnisvolle Schöne beiderlei Geschlechts, wir sind ja modern.

Aber zurück zum Hartgesottenen. Das ist alles gern gelesen, schnell erkannt, aber eben nicht einfach zu erzählen, vor allem weil wir uns hier in einem Bereich bewegen, der mehrfach belegt ist. Da rutscht das Ganze gern ins Gewollte und Peinliche ab, was schnell aus einer guten Idee einen schlechten Roman macht.

Hinzu kommt noch das Ambiente, das dem Hardcore-Roman immer wieder ins Gehege kommt: Deutsche Städte haben da erst einmal einen Nachteil, weil sie nicht mit dem herben Charme Manhattans oder Chicagos protzen können. Hamburg, Berlin, Köln, München sind dazu immer noch ein bisschen zu harmlos. Aber das ist manchmal einfach egal.

David Gray legt seinen „Kanakenblues“ also ins Hamburg des Jahres 1999. Vier reiche Jungs vergewaltigen eine junge Türkin. Deren Vater wird von Onkel und Frau angetrieben, auf Vergeltungsjagd zu gehen und tötet einen der Jungs nach dem anderen in einer einzigen Nacht. Der Vater eines der Jungen ist allerdings der Hamburger Polizeipräsident Stiller, der einen farbigen Kommissar namens Boyle auf den Killer hetzt, mit dem Auftrag, ihn zu töten, wenn er ihn erwischt.

Boyle nimmt den Auftrag an, weil ihn Stiller mit einem alten Deal erpresst, den Boyle gemacht hat, um zwei korrupte Polizisten zu kassieren. Dafür hat er einen Drogentransport des LKA an einen der lokalen Gangsterbosse verhökert. Was er für ein Geheimnis hält, entpuppt sich als ein Irrtum, denn den Deal kennt anscheinend jeder, der etwas darüber wissen will.

Die Szenerie, in der sich Killer, Polizisten, Gangster und noch ein paar Leute mehr bewegen, ist unübersichtlich und düster. Die unterschiedlichen Figuren sind auf die eine oder andere Art miteinander verbunden oder verfeindet. Was als Jagd auf vier jugendliche Vergewaltiger auf der einen Seite und ihren Killer auf der anderen Seite, als kleines Kammerspiel zwischen Vergeltungssucht und Rechtssystem beginnen mag, wird mehr und mehr zu einem Spiel um die innerstädtische Macht, um die Posten in der Polizeihierarchie und um die Märkte im Milieu, die anscheinend neu verteilt werden müssen. Die Vergewaltigung und deren Vergeltung, die einem der Akteure dazu zu dienen soll, alles neu aufzumischen, gerät zu einer unsteuerbaren und unkontrollierten Gewaltorgie, in der eine Figur nach der anderen aus dem Spiel genommen wird.

Am Ende steht in der Tat eine völlig neue Ordnung, die für einen Moment zumindest Stabilität zu verheißen scheint. Aber die Hinweise, dass es dabei nicht bleibt, sind deutlich genug. Dies ist eine fragile Machtbalance, die schnell aufs Neue gefestigt werden muss.

Ein solches dynamisches System ist schwer zu erzählen, und Gray gelingt dies auch nur deshalb, weil er seine Figuren auf jede neue Situation jeweils neu reagieren lässt. Dass das notwendig wird, liegt am Zugewinn an Wissen, aber auch daran, dass aus Zug und Gegenzug verschiedener Akteure sich jeweils neue Konstellationen ergeben, die neue Entscheidungen verlangen, von denen alle Beteiligten wissen, dass sie nur vorläufig sind.

Hinzu kommt, dass alle Situationen mehrdeutig sind und eine von Beginn an auf eine wissende Steuerung des Systems setzende Erzählung das Ganze nicht fassen würde, sondern unglaubwürdig und überheblich wirken würde. Deshalb taucht Gray auf das Niveau seiner Figuren ab, denen er zugleich die notwendige Härte und Abgeklärtheit zuschreibt, die sie brauchen, um sich in einem solchen undurchschaubaren Gelände bewegen zu können. Sie spielen alle in einer Ausnahmesituation und mit dem Handicap, dass sie sie nicht beherrschen. Wie sollte das auch gehen?

„Kanakenblues“ ist 2011 bereits einmal als E-Book unter dem Titel „Glashaus“ erschienen, liegt jetzt aber in einer überarbeiteten Fassung auch im Druck vor. Grays Roman ist definitiv politisch unkorrekt, aber das muss ein Krimi auch sein, wenn er in die richtige Klasse gehen soll.

Titelbild

David Gray: Kanakenblues. Roman.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2015.
373 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783865324542

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