Die Kontroverse als Prisma

Die Stiftung für Romantikforschung hat ihren letzten Sammelband herausgegeben

Von Sabine HauptRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Haupt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer einen Crash-Kurs zur Romantik-Diskussion der letzten 20 Jahre durchlaufen möchte, dem sei dieser Sammelband empfohlen, der sich selbst als „Debattenparcours“ versteht und den Schlussstrich zieht unter 20 Jahre aktive und äußerst produktive Romantikforschung. Zum 20-jährigen Jubiläum ihres Bestehens (und gewissermaßen als Abschiedsbotschaft an kommende Forschergenerationen) gibt das Kuratorium der „Stiftung für Romantikforschung“ – darunter in Fachkreisen einschlägig bekannte Romantik-Koryphäen wie Gerhard von Graevenitz, Walter Hinderer, Gerhard Neumann und Günter Oesterle – mit den kürzlich erschienenen Beiträgen des Symposiums „Romantik kontrovers“ einen Überblick über die verschiedenen, seit Mitte der 1990er-Jahre geführten Debatten zur deutschen Romantik.

Das Thema des Bandes eignet sich vorzüglich für einen Rückblick, der sowohl literaturhistorisch als auch fachgeschichtlich angelegt ist. Denn keine Epoche der deutschen Literaturgeschichte wurde im Laufe der letzten 150 Jahre so prominent und kontrovers diskutiert wie die Zeit um 1800. Nirgends sonst zeigen sich weltanschauliche und ästhetische Positionen, ideologische Verwerfungen und modellhafte Reprisen so explizit und meist auch so spannend und produktiv wie in den immer wieder geführten Diskussionen um Werke und AutorInnen der Romantik. Der Spannungsbogen reicht von der vieldiskutierten „politischen Romantik“ und ihren Folgen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert über die Verbindung von Literatur und Philosophie bis hin zu der immer wieder aufgegriffenen Frage nach der Rolle der Romantik für die Entwicklung der Moderne.

Auch der Aufbau des Bandes, der die Struktur und den Verlauf des Symposiums wiedergibt, ist überzeugend: In sieben Kapiteln, die jeweils einer speziellen Kontroverse gewidmet sind, werden – ganz im Sinne des triadisch-dialektischen Diskursschemas von These, Antithese und Synthese – komplexe Debatten zur romantischen Geldtheorie, zur romantischen Toleranz, zum romantischen Kitsch et cetera aufgerollt und kontrovers diskutiert. Auch gruppendynamisch ist der dramaturgische Dreischritt von „Eröffnung“, „Erwiderung“ und „Folgerung“ genau geregelt. Während die Rolle des Eröffners (mit einer Ausnahme) von den VertreterInnen der älteren, sich verabschiedenden Forschergeneration übernommen wird, erfolgt die Erwiderung aus dem Mund der NachfolgerInnen, während die Schlussthesen einem eher Außenstehenden mit meist komparatistischem und kulturwissenschaftlichem Hintergrund überlassen wird.

Was aber ist der konkrete Erkenntnisgewinn der einzelnen, zum Teil auch fachgeschichtlich rekonstruierten Debatten? Während Jochen Hörisch – auch im Anschluss an seine eigenen Studien – die Rolle des Geldes als „Abstraktionsmedium schlechthin“ definiert und die Geldtheorie als Grundlage einer neuen, um 1800 entstehenden Wissenschaftslehre deutet, beruft Maximilian Bergengrün sich bei seinem Einspruch auf den Topos des „kalten Herzens“, das heißt auf jenes bis zum Kitsch verkommene romantische Klischee von der trügerischen bis todbringenden Macht des Geldes. Auch bei den als Schlussfolgerung gedachten anschließenden Überlegungen von Harald Neumeyer hat man stellenweise den Eindruck, dass die vermeintliche „Kontroverse“ eher ein kultiviertes Aneinandervorbeireden ist. Dies gilt ganz besonders für das zweite Kapitel und die dort geführte Diskussion über den Begriff der „romantischen Toleranz“, den Ralf Simon – in seinen rein erkenntnistheoretisch argumentierenden Einlassungen und in Verkennung der politischen Implikationen – schlicht als irrelevant deklariert. Für gedankliche und ideengeschichtliche Klarheit sorgt dann glücklicherweise der abschließende Beitrag von Ethel Matala de Mazza, der den (nicht-expliziten) Toleranzbegriff an den konkreten politischen Positionen des frühen 19. Jahrhunderts, beispielsweise an Achim von Arnims Antisemitismus, misst.

Dass erst in der Romantik der „Kitsch“ überhaupt zu einem theoretisch fassbaren Problem wird, nämlich als entfremdete, unauthentische Gefühlskultur, macht Ernst Osterkamp in seiner Erwiderung auf Johannes Grave deutlich. Seine angenehm klaren Ausführungen gipfeln in dem zitierfähigen Bonmot, „dass Kitsch nicht etwa eine Bedingung der Möglichkeit romantischer Kunst ist, sondern romantische Kunst eine Bedingung der Möglichkeit von Kitsch“. Auch Gerhard Neumanns Analyse des romantischen Fragments ist von bestechender Klarheit. Er interpretiert diese neue, einer Art philosophischen „Notlösung“ geschuldete Textsorte, als bewusste wissenstheoretische Gegenposition zur französischen Enzyklopädik der Aufklärung: Disseminiertes, „zerstreutes“ Wissen tritt dem hierarchisch organisierten Wissen entgegen.

Besonders bei diesem Kapitel, wie auch schon in dem vorhergehenden über die Modernität der Romantik, zeigen sich nun aber auch die Grenzen des Bandes. Bei manchen zentralen Fragen der Romantikforschung herrscht nämlich inzwischen so etwas wie Konsens. Da kann man als ,Erwiderer vom Dienst‘, wie David E. Wellbery bescheiden anmerkt, dann auch gar keine Gegenposition im eigentlichen Sinne mehr formulieren, sondern höchstens gewisse Fragen perspektivisch anders gewichten. Es kann allerdings auch geschehen, dass – wie etwa bei der Diskussion um das romantisch „Interessante“ – beide Kontrahenten sich in hochspezialisierten Prolegomena verzetteln, so dass das Thema erst im dritten Beitrag wirklich auf den Punkt gebracht werden kann. In ihrer „Folgerung“ verweist Liliane Weissberg dann vor allem auf die übergeordnete Diskussion um eine Ästhetik des „Nichtschönen“ und auf den internationalen Kontext der im Grunde bis ins 19. Jahrhundert reichenden „querelle des anciens et des modernes“.

Eine kleine literarische Trouvaille bildet dann der letzte Diskussionsbeitrag, Feridun Zaimoglus fiktiver Briefwechsel zwischen Karoline von Günderrode und Clemens Bretano, in dem die Romantikerin den Schriftstellerkollegen und dessen manipulative Versuchsanordnungen in die Schranken weist.  Zaimoglu inszeniert hier nicht nur ein witziges Spiel mit literarturhistorischen und biografischen Fakten, sondern auch eine kleine Genderdebatte der ganz besonderen Art, wenn er seine fiktionale Briefeschreiberin mit dem sarkastischen Rat enden lässt, Brentano möge „zur Abkühlung“ doch bitte „härenes Leibzeug“ anlegen, ein „Fußbad im Bachwasser“ nehmen und „bekömmliches Latein aus Tugendtraktaten“ studieren. Nicht zuletzt diese Dichterschelte und späte Genugtuung für eine Romantikerin, deren Leben eine einzige „Kontroverse“ mit ihrer Zeit darstellte, macht den Band lesenswert.

Titelbild

Walter Hinderer / Gerhard Neumann / Günter Oesterle / Gerhart von Graevenitz (Hg.): Romantik kontrovers. Ein Debattenparcours zum zwanzigjährigen Jubiläum der Stiftung für Romantikforschung.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2015.
285 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783826056918

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch