Der Versuch, alles mit allem zu verbinden

Manfred Rumpls Roman „Reisende in Sachen Relativität“ über Erwin Schrödinger

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von 1983 bis zur Euro-Einführung 1999 war auf dem österreichischen 1000-Schilling-Schein Erwin Schrödinger abgebildet. 1933 erhielt dieser den Nobelpreis für Physik, in dessen Begründung es heißt: „Ihre Theorie gibt eine einfache und bequeme Methode für das Studium der Eigenschaften der Atome und Moleküle unter verschiedenen äußeren Verhältnissen und ist ein großes Hilfsmittel für die Entwicklung der Physik geworden.“ Dem Leben und Denken dieses bedeutenden Mannes hat sich der aus der Steiermark stammende und dort sowie in Wien lebende Manfred Rumpl in seinem bereits achten Roman gewidmet. Dass er Lebensgeschichten geschickt und leserfreundlich aufbereiten kann, hat er zuletzt in „Echo jener Zeit“ (2012) bewiesen.

Rumpl beginnt seinen Roman über den 1887 in Wien Erdberg geborenen Wissenschaftler mit der Darstellung eines Krankenhausaufenthaltes im Jahr 1960 in der Hauptstadt. Es sind die Orte, die die Abschnitte der Erzählung definieren. Dabei wird nicht unbedingt chronologisch erzählt. Anders als Erwin Schrödinger selbst in seinen eigenen „Autobiographical Sketches“ aus dem Jahr 1960 geht Rumpl eher kaleidoskopisch vor, ohne dass dabei für den Leser der Verlauf weniger gut nachzuvollziehen wäre. Bereits das erste Bild aus dem Leben Schrödingers macht deutlich, dass Rumpl ein fiktionales Werk im Sinn hat. Der Erzähler in „Reisende in Sachen Relativität“ steht außerhalb des Erzählten und kennt noch den letzten Albtraum seines Protagonisten. Rumpls Roman ist eine Art spekulative Versuchsanordnung, die Antwort geben will auf Schrödingers Suche nach einer Theorie von Allem. Wenn der Protagonist im Roman erklärt: „Wir wollen verstehen, wie das alles zusammenhängt, das Kleinste und das Größte, das Schwerste und das Leichteste, das Schnellste und das Langsamste, das Stärkste und das Schwächste, das Nächste und das Fernste, und es in einer einzigen Theorie zum Ausdruck bringen“, dann charakterisiert dies treffend die Intention des Buches.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden nicht nur Schrödingers zeitgenössische Physiker-Kollegen und Kolleginnen von Lise Meitner bis Albert Einstein eingeführt, sondern es wird im Roman auch immer wieder auf Literatur und Philosophie eingegangen. Das entspricht durchaus Schrödingers Interessen, der 1918 eine Stelle im ruhigen Czernowitz mit der Absicht angenommen hat, seine gesamte Freizeit dem Studium der Philosophie Arthur Schopenhauers zu widmen, die ihn in die „Unified Theory of the Upanishads“ eingeführt habe. Aus der Stelle am Rande der Donaumonarchie wird es jedoch nach deren Zusammenbruch nichts und Schrödinger geht nach Jena. Wie sehr Rumpl mit den vielen Verweisen auf Literaten (von Franz Grillparzer bis Erich Fried), Künstler (von Francisco de Goya bis Pablo Picasso) und Philosophen (von den Upanishaden bis Bertrand Russel) seine Anordnung absichern kann, bleibt zumindest offen. Ein wenig taucht jedoch der Verdacht auf, dass es auch darum geht, das philosophische Repertoire des Autors vorzuführen.

Schrödinger war nicht bloß ein nachdenklicher Mensch und großer Physiker. In seinem „Ephemeridae“ genannten Tagebuch verzeichnete er auch die Namen aller seiner Geliebten – eine lange Liste: Lotte Rella, Felice Krauss, Irene Drexler, Ella Kolbe, Ithi Junger, Erica Boldt, Hilde March, Hansi Bauer-Bohm, Sheila May Green und so weiter. Er hatte mindestens drei außereheliche Töchter. Mit seiner Frau Anny, die aus unbekannten Gründen keine Kinder bekommen konnte, führt er eine offene Ehe, zeitweise lebte er mit ihr, Hilde March und deren Tochter in einem Haushalt. Freilich ist dieser erotomanische Zug im Charakter Schrödingers auch Thema in „Reisende in Sachen Relativität“. Dabei verzichtet das Buch auf Sensationslust und zeichnet die ungewöhnlichen Beziehungen des Mitbegründers der Quantenphysik behutsam auf. Es gelingt Rumpl, die Schwierigkeiten mit den gänzlich anderen Moralvorstellungen der damaligen Zeit ohne große Übertreibungen festzuhalten. Andererseits wird Schrödingers Getriebensein gerade auch zu sehr jungen Frauen psychologisch nicht unbedingt einsichtig.

Vermutlich zu Recht geht Rumpl auch mit Schrödingers Versuch, sich mit den Nazis während seiner Zeit in Graz 1936/37 durch eine Loyalitätsadresse in einer lokalen Zeitung gut zu stellen, sehr rücksichtsvoll um. Schrödinger selbst erwähnt davon in seinen autobiografischen Notizen übrigens gar nichts. Jedenfalls flohen die Schrödingers schließlich über Italien nach Irland, wo er bis 1956 forschte und lehrte. Die letzten Lebensjahre verbrachte er in Österreich. Seine Frau Anny begleitete die letzte Zeit Schrödingers, der letztlich an einer Tuberkulose starb. Begraben wurde Schrödinger in Alpbach, auf seinem Grabstein steht seine berühmte Gleichung.

Rumpl gelingt es in seinem Roman, einen vielschichtigen Menschen vorzustellen, der, in vielem seiner Zeit voraus, sich dennoch mit uralten Gedanken herumschlägt, der unermesslich auf der Suche nach Liebe ist und von der Theorie von Allem träumt. Das Buch lässt sich flüssig lesen, wenn man sich an manch missglücktem Vergleich („Wie ein Elektron auf ein niedrigeres Energieniveau, sprang sein Geist in die Vergangenheit“) oder kitschigem Bild („Einstein stand am Bug, aufrecht und unerschütterlich wie Ahab“) nicht stört. Dem doch recht unkonventionellen Charakter Schrödingers hätte eine weniger konventionelle Darstellung sicherlich besser entsprochen.

Titelbild

Manfred Rumpl: Reisende in Sachen Relativität. Roman.
Picus Verlag, Wien 2015.
289 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783711720207

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