Taormina im 40-Jahre-Zyklus

Paul Theroux’ „Der Fremde im Palazzo d’Oro“ in deutscher Übersetzung

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer ist der Fremde im Palazzo d’Oro? Eigentlich ist es eine Frau. Der Ich-Erzähler, ein junger Amerikaner, der durch Italien bummelt und Maler werden will, sieht sie auf der Terrasse des Nobelhotels in Taormina auf Sizilien sitzen. Sie symbolisiert für ihn das luxuriöse Leben, nach dem er sich sehnt – und das er schon bald mit ihr teilen wird. Denn Haroun, der Begleiter und – wie sich herausstellt – Leibarzt der rätselhaften Schönen, macht ihm ein überraschendes Angebot. Er soll auf seine Kosten im Palazzo wohnen und versuchen, die Dame zu verführen. Denn sie sei einsam, unglücklich, und fühle sich hässlich.

Paul Theroux, 1941 in Medford, Massachusetts geboren, gehört zu den auch hierzulande bekannteren amerikanischen Autoren. Viele seiner über vierzig Bücher sind ins Deutsche übersetzt worden. „The Stranger at the Palazzo D’Oro“ ist eigentlich kein Roman, als der er im Untertitel der Übersetzung verkaufsfördernd ausgegeben wird, sondern stammt aus dem gleichnamigen, 2003 erschienenen Erzählband.

Theroux hat sich vor allem mit Reiseliteratur einen Namen gemacht, und auch „Der Fremde im Palazzo d’Oro“ erinnert ein wenig daran, mit seinem mehr oder weniger exotischen Schauplatz, dessen Atmosphäre mit wenigen Strichen eingefangen wird, und dem umherreisenden Ich-Erzähler, der hier Zwischenstation macht. Eigentlich geht es aber um Psychologie und – damit verbunden – um das Geheimnis, das die Figuren umgibt: Wer ist diese offenbar nicht mehr ganz junge, aber immer noch betörend schöne Frau – eine Deutsche, die im Text fast immer nur „die Gräfin“ genannt wird? Was will sie von dem jungen Amerikaner? Falls sie überhaupt etwas von ihm will, denn meist behandelt sie ihn wie einen Domestiken. Dann wieder gibt sie sich herausfordernd lasziv und gewährt ihm, dessen erotisches Verlangen längst geweckt ist und durch den offenbaren Altersunterschied – 15 Jahre, wie er schätzt – noch befeuert wird, pikante Einblicke.

Theroux baut gekonnt Spannung auf, aber nach dem ersten Sex scheint klar zu sein, um was es geht – nämlich um Sex. Schnell entwickelt sich ein Spiel mit wechselnden Rollen: Die Gräfin gibt ihre Hochnäsigkeit keineswegs auf. Doch nachts, im Bett, auf dem Sofa und (vor allem) auf dem Fußboden ihres Luxus-Appartements, ist sie diejenige, die sich unterwirft, die gedemütigt werden will – was den Erzähler bald an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringt. Ein bisschen pervers und ziemlich banal ist das, nicht besonders aufregend, wie es mit literarischem Sex eben meistens so geht, aber psychologisch doch irgendwie stimmig. Leider ist man da erst bei der Hälfte des Buches angelangt und es warten noch zwei Pointen, auf die man gerne verzichtet hätte.

Erstens: Das Alter der Gräfin. Sie ist nicht 35, wie der Erzähler vermutete, sondern 60. Ein guter Schönheitschirurg kann das, zumindest in der Literatur, und Haroun ist ein guter. Sie ist sein Werk und das Begehren des Erzählers der Beweis, dass es gelungen ist.

Zweitens: Die Gräfin ist nicht nur am Fleischlichen interessiert, ihr geht es auch irgendwie ums Ideelle. Sie prophezeit dem Erzähler, dass er einmal reich und erfolgreich sein werde. Denn vor 40 Jahren hätte auch sie nichts gehabt außer ihrem Ehrgeiz und dem Wunsch nach Geld und Luxus. Dann hatte sie in Taormina eine Affäre mit einem reichen 60-jährigen Mann, der seinerseits 40 Jahre früher – also 1880! – an gleicher Stelle eine Affäre mit einer 60-jährigen Adligen hatte. Und jetzt, wiederum 40 Jahre nach der Geschichte mit der Gräfin, sitzt der Erzähler, inzwischen 60 Jahre alt und ein erfolgreicher Maler, an einem Hotelpool in Taormina und schreibt diese Geschichte nieder. Er hebt seinen Blick von dem Blatt Papier – und ein barbusiges Fräulein kommt auf ihn zu…

Es hilft nichts, dass sich im Buch eine Reihe intertextueller Bezüge entdecken lassen, zu D.H. Lawrence zum Beispiel, der selbst eine Zeit lang in Taormina lebte und im Text mehrfach erwähnt wird, zu „The Picture of Dorian Gray“ mit seiner Hauptfigur, die nicht altert, oder zu Henry James, zu dessen amerikanischen Expatriates man vielleicht auch Theroux’ Erzähler gesellen könnte. Laut Aristoteles hat eine Geschichte einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss. In „Der Fremde im Palazzo d’Oro“ ist der Anfang gut, die Mitte mittelmäßig und der Schluss ziemlich bekloppt.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Paul Theroux: Der Fremde im Palazzo d'Oro. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
174 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405231

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