Der Gast im Garten

Ein meditativer Katzenroman über den Rückzug in die Abgeschiedenheit

Von Anna UlbrichtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Ulbricht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1988: Die durch Wohlstand geprägte Shōwa-Zeit geht ihrem Ende zu und Japan steht nicht nur vor einer Wirtschaftskrise, sondern auch vor der Kommerzialisierung seiner Kultur. Da scheint es nur passend, dass die Atmosphäre in Takashi Hiraides Roman der Gast im Garten weniger heiter, als vielmehr melancholisch ist und die Handlung aufgrund der gesellschaftlichen Unsicherheiten in der Abgeschiedenheit des Privatlebens stattfindet.

Ein kinderloses Paar Ende Dreißig zieht sich in die Ruhe und Ungestörtheit eines japanischen Gartens zurück. Die Idylle scheint perfekt, würden der Erzähler und seine Frau sich nicht immer weiter voneinander entfernen und beginnen, nebeneinander her zu leben. Eines Tages taucht unerwartet eine kleine dreifarbige Katze in ihrer Nähe auf, die in der japanischen Kultur ein Symbol für Glück und Wohlstand ist. Während das Paar das Tier in sein Herz schließt und ihm eine Zufluchtsstätte im eigenen Haus herrichtet, kommen sich der Erzähler und seine Frau wieder näher und beginnen mit der Umgestaltung ihrer festgefahrenen Leben. Als „Chibi“ schließlich verschwindet, wird dem Ehepaar die Bedeutung der kleinen Katze erst in ihrem vollen Ausmaß bewusst.

Soweit der recht seicht anmutende Plot der Erzählung, in dessen Mittelpunkt die eigenwillige Katze steht, die mit nahezu religiöser Verehrung beschrieben wird. Die Vergötterung, die Chibi und ihren Artgenossen in dem Roman entgegengebracht wird, geht soweit, dass es allein Katzen sind, die einen Namen tragen, wobei die Menschen der Erzählung anonym und relativ bedeutungslos bleiben. Die Psychologisierung und Vermenschlichung der Katze wirkt in einigen Passagen ein wenig übertrieben. So heißt es an einer Stelle: „Unsere kleine Pilgerin sprach zwar kein Gebet, als sie an unser Fenster kam, aber sie schien mit der traditionellen Begrüßung vertraut und stellte ihre Pfoten artig nebeneinander.“

Die ruhige und poetische Sprache passt sich nahtlos der Handlung an, die, obwohl episodenhaft erzählt, dennoch dahinzufließen scheint. Durch die detailgetreue Darstellung entführt Takashi Hiraide den Leser in die Beschaulichkeit der Szenerie. Die Sensibilität, mit der der Autor seinen sprachlichen Ausdruck wählt, hat die Murakami-Übersetzerin Ursula Gräfe auch in deutscher Sprache nachbilden können. Durch die Beibehaltung einiger japanischer Worte bleibt die ostasiatische Atmosphäre auch in der Übersetzung erhalten. Der stimmungsvolle Stil des kurzen Romans verrät den lyrischen Hintergrund Hiraides, der bisher vorwiegend Gedichtbände veröffentlichte. Bevor er sich dem literarischen Schreiben widmete, arbeitete er als Verlagslektor. Die Parallelen zwischen Hiraides Karrierelaufbahn und der seines Erzählers lassen die biographischen Grundzüge des Romans erkennen.

Sich seines sprachlichen Talents sehr wohl bewusst, nimmt Hiraide den unaufgeregten Handlungsablauf in Kauf. Dabei spricht er insbesondere das über ein Machiavelli-Zitat eingeführte Thema der Fortuna, der launischen Göttin des Glücks oder Unglücks an, der ihre Gegenspielerin, die Virtue, die Tugend oder Tüchtigkeit nur wenig entgegenzusetzen hat. Die Frage nach der eigenen Wirkmacht ist vor allem für die Lebensperiode des 38-jährigen Erzählers eine relevante Thematik, auf die der zu dem Zeitpunkt des Verfassens 50-jährige Autor mit gewonnener Weisheit zurückblicken kann. Der Leser mag nun selbst abwägen, ob er die meditative Leichtigkeit der Sprache einfach genießt oder versucht, zwischen den Zeilen Antworten auf die großen Fragen der Menschheit zu finden. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Takashi Hiraide: Der Gast im Garten. Roman.
Mit Bildern von Quint Buchholz.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Insel Verlag, Berlin 2015.
135 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783458176268

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