Ein nur bedingt gelungenes Experiment

Der italienische Lyriker Luigi Trucillo gibt mit „Die Geometrie der Liebe“ sein Romandebüt

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Teilgebiet der Mathematik ist die Geometrie gekennzeichnet durch Exaktheit, Nachprüfbarkeit und Beweise. Es geht um ganz konkrete Abstände, um Punkte, Linien, Winkel. Die Liebe ist maximal von einer Exaktheit und von Beweisen entfernt, sie ist ein Gefühl, eventuell ein Zustand. Wenn also der Mare Verlag den Roman seines Autors – den in seiner Heimat Italien als Lyriker bekannten und mehrfach mit Preisen bedachten Luigi Trucillo – „Die Geometrie der Liebe“ betitelt, deutet er damit an, dass die Absicht dieses schmalen Liebesromans darin bestehen könnte, die Liebe beweisbar und exakt machen zu wollen. Oder der Titel verweist auf einen Widerspruch, auf eine Unmöglichkeit, auf eine Vergeblichkeit.

Wie auch immer, es handelt sich bei diesem Buch jedenfalls um ein sprachlich äußerst ambitioniertes Kammerspiel, in dem ein Namenloser während einer Schiffspassage von Italien nach Griechenland eine Frau kennen- und lieben lernt. Sie kannten sich vorher schon flüchtig, doch nun, nachdem sie – ebenfalls namenlos – die Trennung von ihrem ehemaligen Freund zu verarbeiten sucht, indem sie auch räumlichen Abstand nimmt, kommen sich die beiden schnell näher. Der Rausch, die Obsession, das alles Verzehrende beherrscht das Paar für eine kurze Zeit. Dann beginnt ein neuer Abschnitt, das dionysische Fest wird vom Alltag unterbrochen, die Arbeit ruft. Er arbeitet als Zeitungsarchivar (ein in der Gegenwart durchaus anachronistischer Beruf), sie ist Sinologin (was durchaus mit Fremdheit und Rätselhaftigkeit verbunden werden kann). Der Stachel wird ihm gesetzt, als ihn ein Kollege auf ein Foto in einer Zeitung aufmerksam macht, das einen Raubüberfall zeigt; eine der Umstehenden scheint seine neue Geliebte zu sein. Wie kann das sein?

Ja, sie war zum geschilderten Zeitpunkt auf Reisen, angeblich bei ihrer Mutter. Doch warum sollte sie ihm etwas verheimlichen? Tut sie das denn? Führt sie ein Doppelleben? Die Fragen bestürmen ihn, der so gern mit ihr zusammenziehen möchte. Doch da er aus einer früheren Ehe eine Tochter hat, die er nicht mit einer neuen Frau an seiner Seite überfordern und verunsichern möchte, bleibt dieser Wunsch offen. Luigi Trucillo, der seinem Buch ein Zitat von Roland Barthes zur Eifersucht vorangestellt und damit das Hauptthema seines Romans benannt hat, dekliniert dieses verschlingende, kopflos machende Gefühl fortan durch. Er lässt seine männliche Hauptfigur um dessen Geliebte schleichen, lässt ihn zweifeln, leiden, Rachepläne schmieden. Als er sie konfrontiert, bleibt sie erstaunlich gelassen, erinnert ihn an ihre große Liebe, die nicht zerstört werden, nicht in Gefahr geraten darf. Er will ihr glauben, will sie besitzen, doch sie ist von durchaus spielerischer und exaltierter Art, gibt zu, während eines Kongresses einen One-Night-Stand gehabt zu haben, nichts Dramatisches. Dann wird es ihm zu viel, ihre Unberechenbarkeit, sozusagen ihr Nicht-geometrisches greift ihn so stark an, dass er nach Griechenland flieht und sich dort sofort mit Yoanna, einer Ärztin, die er schon länger kennt, in eine leidenschaftliche Affäre stürzt. Als er dort eine wahrhaft katastrophale Waldbrandserie erlebt – eine tolle und atemlos beschriebene Passage –, macht er sich mit den besten Vorsätzen auf den Heimweg.

Trucillos Buch ist ein durchgearbeitetes Kunstwerk, ein bereits formal sich von realistischem Erzählen entfernendes Textgebilde – der Namenlose wird von einem unbekannten Erzähler mit „Du“ angesprochen, eine etwas anstrengende und distanzierende Erzählweise. Die beiden Hauptfiguren werden nicht plastisch, durch ihre Anonymität macht der Autor sie zu Phänotypen, zu Platzhaltern, einzig die Geliebte in Griechenland hat in diesem artifiziellen Tanz einen Namen. Und Trucillo setzt sehr stark, streckenweise zu stark, auf die lyrische Karte, seine bildhafte und kunstvolle Sprache wird selten narrativ, so dass kein dauerhafter Lesefluss in Gang kommt, was streckenweise auch den Lesegenuss einschränkt. „Die Geometrie der Liebe“ ist damit ein nur bedingt gelungenes Experiment, der Liebe und der Eifersucht sprachlich näher zu kommen, sie analysieren, ja gar erklären zu wollen.

Titelbild

Luigi Trucillo: Die Geometrie der Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Valerie Schneider.
Mare Verlag, Hamburg 2015.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783866482258

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch