Die Ehe als verantwortungsbewusstes Schicksal

Monique Schwitter hinterfragt in ihrem Roman „Eins im Andern“ die Praktikabilität moderner Paarbeziehungen zwischen Erinnerung, Mythos und Fluchtimpulsen

Von Raphaela BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Raphaela Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Monique Schwitter ist im deutschsprachigen Literaturbetrieb zwar nicht völlig unbekannt, ihr jetzt erschienener Roman Eins im Andern ist jedoch erst ihr „Zweitling“, wenn man von den Erzählsammlungen Wenn’s schneit beim Krokodil (2005) und Goldfischgedächtnis (2011) einmal absieht; in den aktuellen Lesekanon ist die 1972 in Zürich geborene Schauspielerin, Regisseurin und Autorin noch nicht eingegangen. Ihr jetziger Roman hat es nun bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Dabei stellt sich die Frage, was einen weiteren Text über die Liebe so lesenswert macht.

Eine Antwort darauf ist das Thema selbst, ist doch die Liebe eines der allgemeinmenschlichsten und ältesten der Welt. Sie hat schon zu jeder Zeit als Konzept, als menschliche Erfahrung, als Essenz des Zusammenlebens, als religiöses Grundprinzip, als schöpferisches Inspirationsgut, als eine jedem einzelnen Menschen in irgendeiner Form zugängliche Erfahrung die Literatur geprägt. Dementsprechend vielfältig sind aber auch die Variationen der Gestaltung des Themas und ebenso hoch ist gerade in der heutigen Zeit die Gefahr, dass ein Roman über die Liebe ins Rosamunde-Pilcher-hafte, in einen Inbegriff von Epigonalität hinüberkippt oder ganz im Gegenteil, im Versuch dieser Gefahr zu entgehen, allzu sehr verkünstelt, gefühlskalt oder überindividualisiert daherkommt. Mit anderen Worten: Heutzutage ist es ein wahrhaft mutiges, weil riskantes Unterfangen, wenn eine Autorin es wagt, einen authentischen Roman über die Liebe zu schreiben.

Monique Schwitter ist in der Tat so mutig, und, soviel sei bereits gesagt, sie erleidet keineswegs Schiffbruch an der im Sonnenuntergang rosarot schimmernden Klippe des Schmonzettenkitsches. Sie hat mit Eins im Andern einen Roman geschrieben, der in eher nüchternen Farben und unter Einbezug der vielgestaltigen Liebesverhältnisse, die eine Frau zu den verschiedenen Männern ihres Lebens haben kann, die Liebe als Wegbegleiter zeichnet, der zwar treu, aber in seinen Eigenheiten und seiner Unplanbarkeit ebenso anstrengend sein kann wie jede Beziehung. Es sind die erinnerten und ausgelebten Beziehungen der Protagonistin zu unterschiedlichen Männern, deren Namen aus nicht ganz erklärlichen Gründen auf die Namen der Jünger Jesu anspielen, die in einer zwölf Kapitel umfassenden Erinnerungsabfolge, vermischt mit Einsprengseln aus der problematischen Gegenwart mit dem spielsüchtigen Ehemann, eine Liebesbiographie konstituieren. Als eine solche gibt sich der Roman zumindest auf den ersten Blick.

Ein zweiter offenbart leider ein etwas unentschlossenes Gemisch, weniger in Fragen der Stilistik – hier weiß der Roman gerade durch die wenig emotional aufgeladene Sprache, die detailliert situativ beschreibt, das dabei Empfundene aber nicht plakativ benennt, zu überzeugen –, als in der Ausführung des Themas, bei dem gerade wegen seiner weltliterarischen Ausgelaugtheit die Frage erlaubt sein muss, was der besondere und neue Impuls sein soll, der dem Leser hier geboten wird. Die junge Protagonistin, die die Macht ihrer Weiblichkeit und ihre Autonomie durch das Tragen roter High Heels in jeder noch so unpassend erscheinenden Situation zelebriert, ist darauf wohl kaum die Antwort. Ihre Haltung ist so verstaubt wie mutmaßlich ihre Schuhe. Sie bleibt die – und das ist zwar authentisch, aber keineswegs innovativ – Fragende in Liebesdingen und probiert sich innerhalb eines westlich konventionell erscheinenden Rahmens noch aus.

Schwitter will zu Vieles auf zu engem Raum, man möchte ihr mehr Mut zur Entscheidung wünschen. Dominant im Roman erkennbar ist der Wechsel von Erinnerung und gegenwärtiger Eheauseinandersetzung, die Frage danach, ob die Liebesvergangenheit die Gegenwart klären helfen kann. Die Erinnerung selbst changiert dabei, unterstützt vom gestalterischen Prinzip der Vermischung zeitlicher Ebenen, zwischen nacherzähltem literarischen Liebesmythos, biblischer Anspielung, fiktionalem Schöpfertum, autobiographischer Rekonstruktion, Liebesroman und Beziehungstherapie. Diese Ideen bieten zwar alle ihren Reiz, bewirken jedoch, dass es schwer fällt, die Richtung des Textes zu bestimmen, zumal auf ein denkbares postmodernes Formen- und Intertextualitätsspiel allerhöchstens das recht kitschige Popartmadonnen-Cover verweist.

Mit der Vielzahl möglicher Liebesfunktionen korrespondiert die auch in der Struktur des Romans angelegte Bandbreite, leider aber auch die Konventionalität der „Lieben“, die in der Erinnerung der Protagonistin entworfen wird. Sie reicht von der klassischen ersten großen Liebe, der Langzeitbeziehung, dem spontanen One-Night-Stand, der platonischen Liebe zum homosexuellen Freund, der Sympathie für den Schüler, der Liebe zu den eigenen Söhnen, der zum gestorbenen Bruder bis hin zum Gipfelpunkt des spätestens in den 1990er-Jahren für tot erklärten, heute aber teilweise wiederentdeckten westlichen Beziehungsideals: der Ehe. In dieses Potpourri der Beziehungserinnerung, die die Brücke zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit und damit an die individuelle Biographie und der mit einem zukunftsungewissen Fragezeichen versehenen, aktuell gelebten Ehegegenwart schlägt, werden zusätzlich auch die Liebe zur Großmutter, zum Beruf und zum Haustier eingeflochten. Sie entsprechen nicht der durch die Kapiteleinteilung suggerierte Zwölfteilung in bedeutsame Beziehungen zu männlichen Figuren, sondern stehen – nicht weniger fundamental zum roten Gefühlsfaden des Romans gehörend – außerhalb der vermeintlich offensichtlichen Struktur des Textes.

Die Wirkung dieser Zweiteilung ist verwirrend: Soll es nun um die Liebe zu Männern in ganz unterschiedlich denkbaren Formen gehen oder um die Liebe als einen wichtigen lebensumspannenden Faden, der jede Art von bedeutsamer zwischenmenschlicher Beziehung prägt? Geht es um ein Vorführen der Möglichkeiten und Grenzen von Liebe oder eher um ihren prototypischen Charakter in festgelegten Konstellationen, die zwar jeweils immer auch individuelle Züge tragen, in ihrer Essenz aber einander so sehr ähneln, dass sie ein Gros menschlicher Leben in ähnlicher Weise bestimmen? Geht es also am Ende doch um Liebe als überindividuelle, menschliche Erfahrung? Schwitter wirft diese Fragen in Eins im Andern auf, leider jedoch als Fragen an die Machart und das Ziel dieses Textes, nicht aber an das Thema selbst. Jeder Ansatz lässt sich bis zu einem bestimmten Punkt mitdenken und verfolgen, dann jedoch wirft Schwitter stets ein weiteres Thema, eine weitere Beziehungskonstellation, einen weiteren Nebenschauplatz in den Ring. Nun ließe sich versöhnlich anmerken, dass ja auch weder das Leben und schon gar nicht die Liebe einem Plan folgt, dessen Funktion und Verweisungscharakter je deutlich wird. Wünscht man sich aber nicht gerade von einem Roman eine Auseinandersetzung mit den schwierigen Themen und Fragen des Lebens, die, zwar nicht unbedingt Antworten gebend, doch mit den Mitteln der Kunst dem schnöden Alltag Impulse hinzufügt, die es wert sind, bedacht zu werden?

Denn dass Frau Schwitter über einigen Kunstwillen verfügt, zeigt sich ja überdeutlich. Der Roman will in dieser Hinsicht zweierlei: tagesaktuell und künstlerisch sein. Zwei Ansprüche, die durchaus löblich sind. Leider bleiben insbesondere die tagesaktuellen Akzente oberflächlich. Angestoßene Fragen wie die nach der sexuellen Abweichung, wie sie in Erzählungen des besten Freundes Nathanael über seine Verwandtschaft anklingen, das durch ihn verkörperte Homosexuelle, das die Illusion der Möglichkeit einer romantischen Liebe zurückweist, oder die Nazi-Vergangenheit des deutschen Verwandten bleiben schemenhaft und mit der Handlung seltsam unverbunden. Ein Bemühen um künstlerische Komplexität lässt sich an den beiden Elementen besonders deutlich ablesen, die dem Beruf der Protagonistin, kreativ Schaffende und Autorin, und an der mit der Großmutter verknüpften Erinnerung an Friedrich de La Motte Fouquès Erzählung Undine zugeordnet sind. Die Protagonistin erinnert sich nicht allein privat und im Angesicht ihrer erst im Laufe der Handlung deutlich zutage tretenden Ehekrise an vergangene Liebesbeziehungen, sondern sie schreibt parallel dazu an einem Liebesroman, setzt insofern das Thema ihrer Erinnerung gleich auch künstlerisch um. Die naheliegende Vermutung, auch Eins im Andern sei eine solche Verwebung des Privaten mit dem Künstlerischen, wird vehement zurückgewiesen. Das zeigt sich, als die Protagonistin während einer Autorenlesung darüber reflektiert, wie wenig professionell es vom Lesepublikum sei, eine Erzählung in Ich-Form stets gleich als autobiographischen Autorenbericht zu begreifen. Diese einzigartige Metareflexion über das Schreiben als solches weist also die Kunst als reine Abbildung des Geschehens in der Realität zurück – zugegeben, auch das ein Anspruch, der in der Literaturgeschichte bereits seit langer Zeit bekannt ist, der aber hier Schwitters Distanzierung von einem Liebes- als einem Individualroman mit der ironischen Stimme der Protagonistin unterstreicht.

Der literarische Verweis auf die Undine-Erzählung dient als ein weiteres und diesmal als ein weibliches Deutungsangebot für die Rolle der Frau in Liebesbeziehungen. Die Großmutter nutzte Undine, die in ihrer Liebe zum Mord am Geliebten gezwungen ist, als Identifikationsfigur, die sie der Enkelin ans Herz legt. Diese meidet die Begegnung mit der Figur, bis eine männliche Zufallsbekanntschaft sie erneut auf die Erzählung stößt, ja sie nacherzählt. Die Großmutter und ihr Liebesmodell geraten wieder in den Fokus, werden einer Kritik unterzogen und wirken auf die junge, erlebende Protagonistin unromantisch. Für die ältere, erzählende jedoch erweist sich die großmütterliche Ergebenheit in die Schicksalshaftigkeit der Liebe, die mit dem aus der Epoche der Romantik stammenden Los der Undine in eins geschrieben ist, als lebensklug. Die Alltagsweisheit der Großmutter wird daher auch zunehmend ein Mantra der Protagonistin in der Entscheidung für oder gegen ihren Ehemann: „Die Liebe sucht man sich nicht aus, mein Herz.“ Die Protagonistin entscheidet sich letztlich gegen die Erinnerung an die Männer, aber für den weiblichen Rat der Großmutter und nimmt bewusst den problembeladenen Ehemann, die eigene Familie und den Kampf um die Paarbeziehung im Hier und Jetzt an, indem sie ihren Fluchtimpuls zügelt. Auf die hohen Schuhe wird zugunsten sicheren Gehens in praktischen Schuhen verzichtet. Die ursprüngliche weibliche Selbstverwirklichung, nach der die Protagonistin in der Liebe und im Beruf sucht, wird insofern als unpraktikabel markiert.

Und so heißt weibliche Ermächtigung in Schwitters Roman ganz offenbar, sich auf die alten Werte, die konservative Ehe rückzubesinnen, Verantwortung für den anderen zu übernehmen und sich in guter alter weiblicher Manier zurückzunehmen, diese Konstruktion in Sisyphosʼscher Manier aber auch noch als das eigene Schicksal zu begreifen und in seiner Annahme doch die Freiheit zu spüren. Der Ausgang der komplexen Reflexionen, die der Roman also hinsichtlich der Geschlechterrollen und der Rolle der Kunst anstoßen könnte, wird am Ende enttäuschenderweise im Happy End harmonisiert. Dies mag zwar ganz im Sinne der biblischen Anspielung den Auftrag der Jünger, eine Liebesbotschaft in die Welt zu tragen, erfüllen, bleibt aber doch hinter der Bibel und ihrer Berücksichtigung der menschlichen Komplexität und Schwäche zurück, gerade in der heutigen Zeit.

Titelbild

Monique Schwitter: Eins im Andern. Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2015.
232 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783854209690

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