Der Preis der Freiheit

Andrea Stolls Biografie Ingeborg Bachmanns liegt nun als Taschenbuch vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder einmal erscheint eine neue Biografie über Ingeborg Bachmann, die ein anderes, gelegentlich sogar unerwartetes Licht auf das Leben der österreichischen Schriftstellerin wirft. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der zugängliche Quellenfundus von Jahr zu Jahr wächst. Und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Vermutlich zumindest bis ins Jahr 2025. Denn solange ist der Briefwechsel zwischen Bachmann und Max Frisch gesperrt.

Unlängst hat die ausgewiesene Bachmann-Kennerin Andrea Stoll den bisherigen Biografien ihre Sicht auf das Leben der Nachkriegsautorin hinzugefügt. Im Unterschied zu manch anderen BiografInnen genoss Stoll während der Arbeit an dem Buch das Privileg, von den Erben Bachmanns Zugang zu einigen der Öffentlichkeit ebenso wie der Forschung bislang unbekannten Briefen zu bekommen. Vor allem aber haben Ingeborg Bachmanns Geschwister der Biografin einige Interviews gewährt, in denen sie offenbar doch einigermaßen freimütig über das Familienleben plauderten. Das kommt der Biografie zweifellos zugute, wenngleich es auch den im Unterschied zu zahlreichen früheren Lebensbeschreibungen recht freundlichen Blick auf Bachmanns innerfamiliäre Beziehungen, zumal auf die zu ihrem Vater beeinflusst haben mag. Aber vielleicht wird ja eben dieser Blick Bachmanns Verhältnis zu Eltern und Geschwistern gerecht.

Jedenfalls ist die 2013 erstmals unter dem Titel „Der dunkle Glanz der Freiheit“ erschienene Biografie nun als Taschenbuch neu aufgelegt worden. Stolls Blick richtet sich nicht zuletzt auf die „Besonderheiten“, „die eine freie Autorenexistenz in den 50er- und 60er-Jahren für eine Frau bereithielt, die ihre Weiblichkeit nicht verstecken wollte, die sich aber mit jedem Schritt im Dickicht der damals noch festgeschriebenen Geschlechterrollen behaupten musste“. Das in diesen Jahren für Autorinnen unausweichliche „Ausgeliefertsein an männliche Bewertungsmuster“ wurde durch die von Bachmann unter Verzicht auf „materielle Sicherheiten“ gewählte „freie künstlerische Lebensform“ noch einmal „verschärft“. Sie trieb den von Bachmann zu zahlenden „Preis für ihre Freiheit“ schließlich in eine Höhe, die „im Laufe der Jahre ihre Kraft übersteigen“ sollte.

Stoll lässt ihre Biografie mit einer Tagebucheintragung vom 16. März 1945 der 18-jährigen Kärntnerin einsetzen, dem Tag, an dem Bachmann sich entschied, „den wahnhaften Anordnungen der NS-Kriegsgesellschaft“ nicht länger „Folge zu leisten“. Endlich einmal eine Lebensbeschreibung, in der Kindheit und Jugend zwar nicht ignoriert, aber auch nicht schlicht nacherzählt werden, sondern die entscheidenden Erlebnisse der Protagonistin an entsprechender Stelle beschrieben und interpretiert werden. Der Entschluss der jugendlichen Bachmann war zweifellos ebenso charakteristisch für ihre Wesensart wie bestimmend für ihren weiteren Werdegang. Ein Einstieg also, wie eine Biografie ihn kaum besser wählen könnte.

Zwar wuchs Bachmann, wie Stoll mehrfach betont, „in einer liebevollen Familie“ auf, die selbst noch der Erwachsenen im „Elternhaus Schutz und Geborgenheit“ sowie gelegentliche „finanzielle Unterstützung“ bot. Doch „die Herrschaft des Nationalsozialismus und ihre Folgen“ hatten „die räumliche, soziale und psychische Identität der Heranwachsenden“ zerschlagen, die sich „inmitten einer zusammenbrechenden Lebenswelt nur auf zwei Dinge verlassen konnte: auf ihre Sprache und sich selbst“.

1952 wurde die junge Autorin erstmals zu einem Treffen der „Gruppe 47“ eingeladen, womit sich Bachmann „das Tor zur literarischen Welt“ öffnete. Nach der Preisverleihung an Ilse Aichinger im gleichen Jahr schleppte Ernst Schnabel die „Ritter dieser literarischen Tafelrunde“ an einen „unbekannten Ort irgendwo in der Stadt“, der sich als Bordell herausstellte, „was einige der anwesenden Schriftstellerinnen nicht wenig irritierte“.

Bachmann blieb zwar zeitlebens ledig, doch hatte sie zweifellos zahlreiche Liebhaber. Allerdings sind es nur drei Männer, die in ihrem Leben eine herausragende und nicht in jedem Fall positive Rolle spielten: der Lyriker Paul Celan, der Komponist Hans Werner Henze und der für Bachmann so fatale Schriftstellerkollege Max Frisch. Stoll kommt Bachmanns Beziehungen zu den drei Männern wohl so nahe, wie es einer posthumen Biografie nur möglich ist. Dabei interessiert sie sich erfreulicherweise nicht für amouröse Details, sondern für das Wesen des jeweiligen Liebes- beziehungsweise, im Falle des homosexuellen Henze, Freundschaftsverhältnisses.

Bachmanns langjährige und wechselhafte Beziehung zu Celan war alleine schon darum spannungsreich, weil beide „miteinander und gegeneinander ihren Weg suchten, ein jeder mit seiner eigenen Herkunft und Geschichte geschlagen“, wie Stoll prägnant und doch zugleich einfühlsam formuliert. Ihre auf die beiden Liebenden gemünzte Rede vom „Opfersohn“ und der „Tätertochter“ allerdings ist etwas schief. Denn während Bachmann tatsächlich nur die Tochter eines Täters, aber nicht selbst Täterin war, war Celan zwar ein „Opfersohn“, vor allem aber selbst Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes; mag er auch, anders als seine Eltern, den Lagern der Nazis lebend entronnen sein. Der „selbstverliebte“ Hans Weigel, mit dem Bachmann liiert war, als sie Celan kennenlernte, versuchte in seinem Roman „Unvollendete Symphonie“ den Konkurrenten um Bachmanns Liebesgunst „zu diffamieren“ und als Dichter „künstlerisch zu diskreditieren“. Doch gelang ihm das weder bei Bachmann noch bei sonst irgendjemandem. Die Beziehung zwischen Bachmann und Celan war jedoch aus anderen Gründen stets prekär. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sich Celans „Verständnis“ des Geschlechterverhältnisses „im Einklang mit der Auffassung seiner Zeit“ befand, „die die künstlerische Begabung einer Frau gerne noch unter die Hoheit eines männlichen Genius gestellt sah“, wohingegen Bachmann keineswegs „willens war, sich für ihn aufzugeben“.

Apostrophiert Stoll das Liebespaar Bachmann und Celan als „Tätertochter und Opfersohn“, so das Freundespaar Bachmann und Henze als Königstochter und Götterliebling“. Zwar gab es für beide, wie die gemeinsame Zeit auf Ischia zeigte, auf Dauer „kein friedvolles Miteinander“, doch „blieb“ ihnen „die gemeinsame Arbeit und das hohe Gut einer von beiden tief empfunden Freundschaft“. „Was Bachmann mit Henze erlebte“, mutmaßt Stoll wohl zu Recht, „musste sie, trotz aller Unterschiede der Persönlichkeiten, auf fatale Weise an ihre Beziehung mit Celan erinnern“.

Der „Coup de foudre, der ihr Leben radikal verändern sollte“, aber war ihre Liebschaft mit dem „erklärten ‚Macho‘“ Max Frisch. Die „Minderwertigkeitskomplexe“ des, wie Stoll ihn in süffisanter Anspielung auf seinen Beruf nennt, „literarischen Baumeisters“ gegenüber dem „hochreflexiven Schreibverständnis“ Bachmanns steigerten sich „über die Jahre des Zusammenlebens bis ins Unerträgliche“ und schlugen im Laufe der Zeit „in kaum verhohlene Abwehr und Aggression“ um. Zuletzt ließ er Bachmann für eine wesentlich jüngere Studentin sitzen, von der er keinerlei literarische Konkurrenz zu fürchten hatte. Für Bachmann war dies eine private „Vernichtungserfahrung“. Sie wurde ihr zur „Schlüsselerfahrung“, „die sie unter dem Arbeitstitel Todesarten jahrelang schreibend zu bewältigen suchte“, in dem sie sie „soziohistorisch […] dem politisch motivierten Krieg zugeordnet“ hat. Überhaupt lässt sich „das unaufhörliche Zusammenspiel von schriftstellerischen Ideen mit historischen und lebensgeschichtlichen Erinnerungen“ in Bachmanns Werk Stoll zufolge „bis in die Komposition von Themen, Motiven und Metaphern nachweisen“.

Die vorliegende Biografie kann ohne Einschränkungen allen zur erhellenden Lektüre empfohlen werden, die sich für Bachmanns Leben und Werk interessieren, ohne einen Blick durchs Schlüsselloch werfen zu wollen.

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Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit – Biografie.
btb Verlag, München 2015.
382 Seiten, 10,99 EUR.
ISBN-13: 9783442748679

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