Die Erste

Antje Schrupps Biografie über „das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull“ liegt in einer Neuausgabe vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die amerikanische Frauenbewegung hat so manche herausragende Persönlichkeit hervorgebracht. Man denke nur an Elizabeth Cady Stanton, Alice Paul oder Shulamith Firestone. Die originellste und außergewöhnlichste von allen aber ist ganz zweifellos noch immer Victoria Woodhull. Tatsächlich hatte sie ihre ebenso starke wie schillernde Persönlichkeit allerdings schon ausgeprägt, lange bevor sie zum ersten Mal mit der Frauenbewegung in Berührung kam.

Über ihre aufregendste Zeit, in der sie sich beispielsweise als erste Frau für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten bewarb, kurz vor der Wahl jedoch ins Gefängnis geworfen wurde, hat die für ihren Feminismus, ihre Vielseitigkeit und ihre Fabulierkünste bekannte Literatin Marge Piercy ein ganz wunderbares Buch geschrieben. Es trägt den Titel „Sex Wars“, erschien vor genau zehn Jahren und wurde zum Leidwesen aller Fans der US-amerikanischen Autorin, die nur des Deutschen mächtig sind, noch immer nicht übersetzt.

Doch immerhin können sie sich mit einem deutschsprachigen Buch über „Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull“ trösten. Nein, nicht nur trösten, denn Antje Schrupps Biografie ist weit mehr als ein bloßer Ersatz für Piercys Roman. Und dies nicht allein, weil der Band im Unterschied zu Piercys literarischem Werk das gesamte Leben von „Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin, Wall Street-Brokerin, Sozialistin, Kurtisane, Frauenrechtlerin, Visionärin, Verlegerin, Parteigründerin“ und „Wunderheilerin“ in all seiner Vielfalt abdeckt und zudem auch sonst manch interessante Information einfließen lässt, indem er etwa erklärt, warum Spiritismus zu Woodhulls Zeiten „nicht nur als fortschrittlich, sondern geradezu als wissenschaftliche Verbindung zur Welt der Toten“ galt, sondern auch noch aus zwei weiteren Gründen.

Der eine liegt in der Protagonistin und ihrem wahrhaft atemberaubenden Leben, der andere in der Biografin, respektive deren Schreibkünsten, die sie nicht nur befähigen, Woodhull mit Leib und Seele vor uns zu stellen, sondern das so wechselhafte Leben der Pionierin mit warmherzigem Humor zu erzählen. Die eingestreuten Ironisierungen sind dabei durchaus in der Minderzahl und richten sich fast immer gegen Personen aus Woodhulls näherem und weiterem Umfeld. So etwa gegen ihren wenig sympathischen Vater Buck. Als der stets klammen und wohl nie so ganz gesetzestreuen Familie einmal Brandstiftung und Versicherungsbetrug vorgeworfen wurde und „ihm der Boden zu heiß wurde, verschwand Buck, ganz verantwortlicher Familienvater, von einem Tag auf den anderen und ließ [seine Frau] Annie und die Kinder ohne einen Cent zurück“. Sollte er seine Tochter zusätzlich zu den ihr häufig verabreichten Prügelorgien auch noch missbraucht haben, wäre seine ‚Fahnenflucht’ angesichts drohender Haft noch ein verhältnismäßig harmloser Vorwurf. Erwiesen ist der Missbrauch zwar nicht, allerdings kann Schrupp auf eine Aussage Woodhulls verweisen, ihr Vater habe sie „vorzeitig zur Frau gemacht“.

Schrupp steht stets ganz auf Seiten ihrer Protagonistin, so fallen die wenigen Ironisierungen ihr gegenüber milde, ja freundlich aus. Schon von klein auf wurde die überzeugte Spiritistin Woodhull immer wieder von einem hilfreichen Geist besucht. Doch erst nachdem sie als erwachsene Frau den „Intellektuellen“ James Blood kennengelernt hatte und dieser sich sehr um ihre Bildung bemühte, kam sie auf die Idee, den Geist nach seinem Namen zu fragen, worauf ihr das jenseitige Wesen mit Flammenschrift bekundete, es sei Demosthenes. „Es war klug von Demosthenes, Victoria Woodhull seine Identität erst jetzt zu enthüllen“, kommentiert Schrupp augenzwinkernd, „denn vor ihren Geschichtslektionen bei James Blood hätte ihr dieser Name wohl kaum etwas gesagt“. Schrupp lässt offen, ob ihre Protagonistin von ihren Visionen und Engelserscheinungen jeweils wahrhaftig berichtete, (d.h. ob Woodhull selbst glaubte, sie erlebt zu haben), oder ob sie sie sich bewusst als Mittel zu bestimmten Zwecken ausgedacht hatte. Vermutlich war mal dieses, mal jenes der Fall. Jedenfalls heiratete sie ihren Mentor James Blood Mitte der 1860er-Jahre.

Woodhull war zwar nicht in allem die erste ihres Geschlechts, aber doch in so manchem. Zwar gab es schon vor ihr Sozialistinnen und Kurtisanen, auch Geisterseherinnen und Visionärinnen, Wunderheilerinnen und Gefängnisinsassinnen, nicht aber Wall-Street-Brokerinnen oder gar Kandidatinnen für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, vielleicht auch keine Verlegerinnen und Parteigründerinnen.

An dieser Stelle könnte die Rezension bereits zu Ende sein. Denn schon jetzt dürfte man sie zur Seite legen, um die Buchhandlungen zu stürmen und schleunigst das Buch selbst zu kaufen, das zweifellos eine bessere Lektüre bietet. Denn Schrupps Biografie führt die Lesenden in eine fremde und faszinierende, ja auf fast märchenhafte Weise unglaubliche Welt, in der Halb- und Unterwelt sich im Schwindel erregenden Reigen mit Spiritismus, Hochfinanz und Feminismus drehen.

Dennoch sei etwas mehr ins Detail gegangen und etwa erwähnt, dass Schrupp die große amerikanische Feministin Elizabeth Cady Stanton mit den Worten zitiert: „Victoria Woodhull hat mehr für die Frauen getan, als jede andere von uns es gekonnt hätte, sie hat den Männern getrotzt und sie herausgefordert, und wurde dafür mit Schmähungen überschüttet, die eine Frau schaudern lassen.“

Doch von Anfang an: Im Jahr 1838 geboren, heiratete Woodhull, die damals noch Claflin hieß, 15-jährig einen 21-Jährigen, um den Fängen ihres Vaters zu entkommen, und kam so zu dem Namen, unter dem sie bekannt wurde. Ansonsten jedoch kam sie nur „vom Regen in die Traufe“. Denn ihr Mann Canning Woodhull war zwar ein Arzt, aber auch ein Trinker, der sich nicht scheute, seine Frau regelmäßig zu verprügeln. 1854 gebar sie ihr erstes Kind, den „geistig behinderten“ Byron, der „sein Leben lang nicht sprechen lernte“. 1861 wurde sie Mutter einer Tochter, der sie den unkonventionellen Namen Zulu Maud gab. Noch im gleichen Jahr ließ sie sich scheiden.

Sie und ihre Familie reisten fortan, mal gemeinsam, mal getrennt, quer durch die USA, da sie aufgrund zahlreicher Gaunereien immer wieder fliehen mussten. Nicht selten war es so, dass Victoria Woodhull sich von ihren Verwandten trennte, bald in irgendeinem Ort als Medium und dergleichen einige finanzielle Erfolge zu verzeichnen hatte, worauf hin ihr alsbald der gesamte Claflin-Clan nachreiste, um sich auf ihre Kosten durchzuschlagen. In Zeiten, in denen Viktoria Woodhull nicht mit ihren Verwandten zusammen war, ernährte ihre jüngere Schwester Tennessee Celeste die vielköpfige Familie durch Wahrsagerei und Prostitution. Denn die unsicheren Einkünfte, die Vater Buck durch seine meist kleineren Betrügereien erzielte, reichten dazu nicht annähernd hin.

Ende der 1860er-Jahre ließ sich Cornelius Vanderbilt, „der reichste Mann Amerikas“ von Victoria Woodhull in New York die Börsenkurse vorhersagen, die sie wiederum aus den Vorhaben schloss, die reiche Freier ihrer Freundin, der Prostituierten Josie Mansfield, im Bett anvertrauten. Selbstverständlich ließ Woodhull sich an Vanderbilts so erzielten Gewinnen prozentual beteiligen. In dieser Zeit hielt er sich, bereits weit in seinen Siebzigern, Woodhulls damals 25-jährige Schwester Tennessee als Geliebte. Bei einer besonders lukrativen Spekulation mit Gold hatte Woodhull mit Vanderbilt eine Beteiligung von 50% vereinbart und strich innerhalb eines Tages 650.000 Dollar Gewinn ein. Eine unvorstellbar hohe Summe, zumal im Jahr 1869.

Sie und Tennessee gründeten mit dem Geld als erste Frauen eine Broker-Firma. Als bevorzugte Klientel betrachteten sie ihre Geschlechtsgenossinnen: „Witwen, reiche Erbinnen, Geschäftsfrauen, Hausfrauen und Dienstmädchen, die ihre Ersparnisse unabhängig von Ehemann und Arbeitgeber anlegen wollten“, und selbstverständlich Prostituierte wie etwa ihre langjährige Freundin Josie Mansfield. Die Kundinnen wurden mit „Champagner, Erdbeeren und Schokokonfekt“ bewirtet, während man Geschäfte abschloss und „Klatsch und Tratsch“ austauschte. Für die männliche Klientel hingegen hing ein Hinweisschild im Foyer, das sie lapidar aufforderte: „Herren tragen ihr Anliegen zügig vor und ziehen sich umgehend zurück.“

Selbstverständlich zog die gesamte Familie bei Victoria Woodhull ein, als sie von dem neuen Reichtum erfuhr. Selbst ihr geschiedener Ehemann tauchte von irgendwoher wieder auf und wurde eingelassen. Sieht man vielleicht einmal von Tennessee ab, taten sie alle ihr Bestes, um Victoria Woodhulls Reichtum nach Kräften zu verprassen. Woodhull selbst aber fühlte sich von ihrem guten Geist Demosthenes zu neuen Aufgaben berufen. Sie trat in die Politik ein, bewarb sich zu einer Zeit, als den Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht zugestanden wurde, um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten und begann sich sozialistisch und feministisch zu engagieren. 

Bereits im Januar 1869, also wenige Monate vor ihrer so erfolgreichen Spekulation mit Gold, war Woodhull zum nationalen Jahreskongress der Frauenrechtlerinnen nach Washington gereist, wo sie „zum ersten Mal alle wichtigen Vorkämpferinnen der amerikanischen Frauenbewegung“ sah. Doch wollte sich Woodhull auch während ihres späteren feministischen Engagements nie „einfach vor den Karren der Frauenrechtlerinnen spannen lassen, denn sie war bei wichtigen Punkten anderer Meinung“. Zwar zerfiel die amerikanische Frauenrechtsbewegung zu dieser Zeit in zwei Flügel, jedoch hatten sie sich beide die Erringung des Wahlrechts für Frauen als wichtigstes Ziel auf die Fahnen geschrieben. Woodhull hingegen bedeuteten „rechtliche Gleichstellung“ und das Frauenwahlrecht trotz ihrer Präsidentschaftskandidatur nie sonderlich viel. Weit wichtiger war ihr vielmehr, „dass sich das Zusammenleben von Frauen und Männer im Alltag ändert“. Während der „offizielle Kurs“ der Frauenbewegung „davon ausging, was Frauen fehlte – Rechte, Bildung, Fähigkeiten –, ging Victoria Woodhull von dem aus, was Frauen haben: Energie, Durchsetzungsfähigkeit und vor allem den starken Wunsch, etwas zu erreichen, etwas zu verändern“. Daher appellierte sie nicht „wie andere Frauenrechtlerinnen an die Männer (die den Frauen das Wahlrecht zugestehen sollen), sondern an die Frauen (die politische Verantwortung übernehmen sollen)“. Eben der Wille politische Verantwortung zu übernehmen, war auch der Grund dafür, warum Woodhull im April 1872 ihre Kandidatur für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika bekanntgab.

Hatte sie 1871 neben der bereits bestehenden eine eigene US-amerikanische Sektion der „Ersten Internationalen Arbeiter-Assoziation“ ins Leben gerufen, so gründete Woodhull ein halbes Jahr vor ihrer Präsidentschaftskandidatur die „Equal Rights Party“.  Mit von der Partie waren 600 Delegierte aus 22 Bundesstaaten. Ihr Parteiprogramm forderte den Achtstunden-Tag, ein soziales Wohlfahrtssystem und die öffentliche Kindererziehung. Es enthielt also nicht ausschließlich frauenspezifische Forderungen, sondern formulierte allgemeine soziale Anliegen. Hinzu trat die friedenspolitische Forderung nach einem Internationalen Gerichtshof zur Schlichtung von zwischenstaatlichen Konflikten, der die Befehlsgewalt über eine internationale Armee innehaben sollte.

Seit Mai 1870 brachte Woodhull zudem gemeinsam mit Tennessee die Wochenschrift „Woodhull and Claflin’s Weekly“ heraus, die eine Auflage von 20.000 Exemplaren erreichte, 1876 jedoch wieder eingestellt werden musste. In ihr traten die Schwestern für die Freie Liebe, die Anerkennung der Prostitution, die Aufhebung aller Ehegesetze, den Spiritismus und den Sozialismus ein. Zugleich geißelten sie die bürgerliche Doppelmoral, ohne je ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ein Bericht Tennessees über eine Vergewaltigung zweier junger Frauen in einem Bordell brachte ihnen eine Anklage ein, weil sie unerlaubter Weise Obszönitäten über den Postweg verbreitet hätten. Tatsächlich hatte der juristische Angriff auf die Schwestern allerdings seine Ursache in einem anderen Artikel, in dem sie den hochangesehenen Priester Henry Ward Beecher, damals „der führende Theologe Amerikas“ und „größter Tugendwächter der Nation“, als den bigotten Heuchler und vielfachen Ehebrecher publik machten, der er war. Zwar saßen die Schwestern aufgrund der Anklage mehrfach im Gefängnis – so auch während der Wahl zur Präsidentschaft der USA, für die Woodhull kandidierte –, doch endete der Prozess schließlich mit einem Freispruch, weil in dem Paragraphen, auf den sich die Anklage berief, nur von Büchern und Pamphleten die Rede war, sie aber ihren AbonentInnen eine Zeitschrift geschickt hatten.

1877 siedelten die Schwestern nach England über, wo Woodhull all ihren revolutionären Idealen abschwor, um von der Familie des schwerreichen Bankiers John Martin als künftige Schwiegertochter anerkannt zu werden, was ihr 1883 schließlich auch gelang. Selbst Schrupp, die Woodhull mit großer Sympathie zugetan ist, findet „den Verrat an ihren früheren Ideen in der Tat irritierend“. Es stecke „nichts als blankes Eigeninteresse“ dahinter, vermutet die Biografin. Immerhin kehrte Woodhull nach einigen Jahren zu ihren alten Ideen zurück, wenngleich sie diese nun in abgewandelter, ‚modernisierter‘ Form vertrat. So publizierte sie 1890 gemeinsam mit Tennessee das Buch „Der menschliche Körper, Gottes Tempel. Die Philosophie der Soziologie“. Denn in der neuen wissenschaftlichen Disziplin sah sie „eine Möglichkeit, ihre Thesen zu weiblicher Freiheit, Sexualität und Fortpflanzung auf eine ‚wissenschaftliche‘ Grundlage zu stellen“. In England gründete sie zudem erneut eine Zeitschrift, in der sie bis 1901 ihre Ideen propagierte. Diesmal trug sie den Titel „The Humanitairian“. Ihr dritter Mann, John Biddulph Martin, starb 1897. Woodhull überlebte ihn um drei Jahrzehnte. Sie wurde 88 Jahre alt.

Über all das und etliches mehr aus dem Aufsehen erregenden Leben ihrer Protagonistin informiert Schrupp ausgesprochen detailreich und dabei doch so unterhaltsam, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Wer allerdings die Möglichkeit hat, sollte doch lieber versuchen, noch ein Exemplar der vergriffenen, 2002 im Ulrike Helmer Verlag erschienen Ausgabe des Bandes zu ergattern. Denn gegenüber dieser wurde in der Neuausgabe schon mal auf die eine oder andere der zahlreichen Abbildungen verzichtet. So fehlt etwa ein faksimiliertes Beispiel für die „energische Handschrift“ Woodhulls. Auch weist die nun vorliegende Ausgabe bedauerlicherweise eine korrupte Stelle auf. Die Passage „James Blood und Tennessee unterstützten Victoria in ihren Ambitionen. Schließlich hatte sie nun Geld, war populär und stand in den Zeitungen – daraus musste sich doch etwas machen lassen“, wurde in ihr zu dem sinnfreien Satz „James Blood und Tennessee unterstützten Victoria in ihren Amu sich doch etwas machen lassen.“ verkürzt. Anzulasten ist dies vermutlich der modernen Textverarbeitung. Diese kleine Lücke ist zwar bedauerlich, aber doch bei weitem kein Grund, nicht zu dem Buch zu greifen.

Leider erfüllte sich Cady Stantons Prophezeiung bislang nicht in angemessener Weise, Woodhull werde künftig „in den Annalen der Emanzipation“ als eine „Befreierin verzeichnet“ sein. Zumindest hierzulande ist sie auch unter FeministInnen noch viel zu wenig bekannt. Möge Schrupps Buch dazu beitragen, das zu ändern.

Titelbild

Antje Schrupp: Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull.
buch & netz, Zürich 2015.
314 Seiten, 29,49 EUR.
ISBN-13: 9783038050407

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