Leben und Tod

Jan Costin Wagner erzählt in seinem Band „Sonnenspiegelung“ von den Abgründen zwischenmenschlicher Beziehungen

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Durch seine inzwischen fünf Romane um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa wurde der 1972 geborene Jan Costin Wagner zum viel gelobten und auch erfolgreichen Autor. Mit dem Erzählband „Sonnenspiegelung“ legt er nun bei Galiani Berlin einen Band mit acht kurzen Geschichten vor, die allerdings den über das Krimigenre hinausgewachsenen Romanen Wagners in stilistischer wie thematischer Hinsicht treu bleiben. Nicht anders als die Romane um Joentaa, der den Verlust seiner Frau zu verwinden hat, begegnet dem Leser auch in „Sonnenspiegelung“ immer wieder der Verlust eines geliebten Menschen. Doch auch die bei Wagner so häufig hervorgehobene Stilistik, seine knappe, kühle und präzise Stimmungen erzeugende Sprache, kehren in diesem Erzählband wieder, durch die knappe Form hier nun allerdings noch konzentrierter. Einige der in dem Band versammelten Texte sind überarbeitete Fassungen von zuvor bereits in Zeitschriften veröffentlichten Texten; das gilt etwa für die titelgebende Erzählung „Sonnenspiegelung“. Das letzte im Buch abgedruckte Stück „Kleine Monde“ ging darüber hinaus aus einer Erzählstudie zu Wagners 2014 erschienenem Joentaa-Roman „Tage des letzten Schnees“ hervor.

Wagner wirft in seinen Erzählungen in stets sehr knapp gehaltenen Kapiteln den Blick auf abgründige zwischenmenschliche Konstellationen. Auf wenigen Seiten, und meist aus mehreren Perspektiven zusammengesetzt, entwickeln sich Beziehungsgeflechte, die sich – so beispielsweise in den Erzählungen „Am hellen Tag“ und „Kleine Monde“ – um die Lücken gruppieren, die ein verstorbenes Familienmitglied jeweils hinterlassen hat. Eine kleine Familie, die den Tod des Vaters betrauert und mit ihm umzugehen gezwungen ist, oder umgekehrt ein Elternpaar, das ein Kind verloren hat und in dieser Situation den Silvesterabend mit Freunden verbringt – Unfalltod und Suizid, auch sexueller Missbrauch und Mord sind die Materie, aus denen Wagner intensive Szenen webt.

Diese in ihrer Knappheit so oft überzeugende psychologische Dimension seiner Texte bricht sich jedoch bedauerlicherweise in einzelnen Fällen an wenig überzeugenden oder geradezu klischeehaft überzeichneten Handlungszusammenhängen. Besonders die Darstellung des Geschäftslebens, an dem sich hier beruflich vorrangig die jeweiligen Männer beziehungsweise Väter beteiligen, gerät im Gegensatz zu den innerfamiliären Beziehungen leider allzu sehr zur Karikatur. Andererseits wartet wiederum die bereits erwähnte Erzählung „Sonnenspiegelung“ zum Ende hin mit einer geradezu sarkastischen Volte auf. Hier geht es um die unerwarteten Dynamiken, die sich aus einem unheimlichen Zwischenfall für ein Ehepaar ergeben: Ein unbekannter Mann hatte ihr Haus aus näherer Distanz über Stunden und Tage hinweg schweigend, jedoch für alle sichtbar, beobachtet. In „Ein lachendes Herz“ wiederum wird die Depression eines Familienvaters zum Thema, das die Erzählung in ihren zahlreichen Perspektiven auch über die Familie hinausführt. Dadurch wird der Band insgesamt zu einer lohnenswerten Lektüre, die in ihrer Melancholie und szenenhaften Entwicklung nahtlos an die Joentaa-Romane anschließt, ja sie in dieser Hinsicht auch – wo ein breiterer Erzählrahmen wegfällt – weiter verdichtet.

Titelbild

Jan Costin Wagner: Sonnenspiegelung.
Galiani Verlag, Köln 2015.
187 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783869711126

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