Was wissen wir über Luanda, die teuerste Metropole der Welt?

Antworten gibt die Anthologie „Angola entdecken!“

Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Luanda, die Hauptstadt Angolas, ist laut Statistik die teuerste Stadt der Welt – vor Hongkong und Zürich. Wie bitte? Ein Viertel der Gesamtbevölkerung lebt hier, das sind ca. 6,4 Millionen Menschen, aber im Großraum Luanda könnten es geschätzte zehn Millionen Menschen sein. Angola ist auch die drittgrößte Volkswirtschaft Afrikas, nach Südafrika und Nigeria. In diesem Jahr feiert man den 40. Jahrestag der Unabhängigkeit. Soweit die wenigen bekannten Fakten.

Wir wissen nämlich kaum etwas über Angola und seine Bewohner. Es ist sehr reich (Öl), sehr korrupt, hat mehr als 30 Jahre Bürgerkrieg erlebt, und das Gefälle zwischen Arm und Reich ist so enorm, dass es das normale Vorstellungsvermögen sofort sprengt. Das Verhältnis zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Portugal und der Kolonie hingegen hat sich inzwischen verkehrt: Viele arbeitslose Portugiesen suchen heute eine Beschäftigung in Angola, reiche Angolaner führen ein Luxusleben in Lissabon. Vermutlich ist das nicht die Rache der Kolonisierten, sondern einfach Ausdruck der grassierenden Korruption. Einige kulturelle Überlieferungen, vor allem aber die Sprache und die Literatur sind heute ein Bindeglied, das die lusophonen Länder (dazu zählen noch Brasilien, Mosambik und die Kapverden) pflegen, trotz aller Unterschiede. 

Pünktlich zum 40. Geburtstag der Unabhängigkeit legt die Übersetzerin Barbara Mesquita eine Anthologie vor, die zu einer Entdeckungsreise einlädt: In einem knappen Vorwort wird die Geschichte des Landes erläutert, dann aber führt uns die Herausgeberin mit Hilfe einiger beeindruckender Texte durch die immer harten, oft blutigen Zeiten – von der frühen Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Und der Leser staunt: Wie immer erläutern uns die Autoren ihr Land am besten, lassen Bilder von Landschaften und Menschen vor unseren Augen entstehen, die sich einprägen. Pepetela (*1941) erzählt von einer „ruhmreichen Familie“ aus dem Jahre 1642, als die Sklavenjäger unterwegs waren, und dreihundert Jahre später hatten sich die Zustände offensichtlich noch immer nicht wesentlich geändert. Luandino Vieira (*1935) schildert das Leben der von der Patentante zwangsprostituierten Dina, die im Bürgerkrieg ihre „Arbeit“ für die Soldaten ohne Protest erledigen muss. Starke Texte, und beide Autoren zählen auch zu den Giganten der Lusophonie: Sie erhielten für ihr Gesamtwerk die höchste Auszeichnung, den seit 1989 jährlich vergebenen Prémio Camões. 

Die Angolaner hatten Utopien: Man wollte unabhängig werden, eine Generation träumte von einer gerechteren, sozialistischen Gesellschaft (viele Jahre kämpften auch kubanische Soldaten an der Seite der Rebellen). Ondjaki (*1977) erzählt von seinen Erinnerungen an die üblichen Aufmärsche der Schulkinder bei einer Parteiversammlung, an der er einmal mit roten Turnschuhen teilgenommen hatte. Und die Gegenwart, wie lebt man heute? Schon die Titel geben Aufschluss: „Raubtiere“, „Ironie des Reichtums“, „Mit Krawatte“. Der Journalist und Lyriker João Melo (*1955) liefert eine bittere, fast hoffnungslose Bilanz in dem essayistischen Text „Glanz und Enttäuschung“: der Leser ist gebannt von dieser ausgebreiteten moralischen Misere, denn das ist packende Literatur. 

Nach der Lektüre dieser exzellenten Anthologie hat der Leser das Gefühl, Angola ein wenig kennengelernt, vor allem aber Erzählungen von bei uns zu Unrecht unbekannten, großen Schriftstellern gelesen zu haben. Wäre unser Literaturbetrieb weniger eurozentristisch und nicht so angloamerikanisch dominiert, würden Pepetela oder Luandino Vieira im Kreis der großen Autoren der Gegenwart stehen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Barbara Mesquita (Hg.): Angola entdecken! Eine Anthologie.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita.
Arachne Verlag, Gelsenkirchen 2015.
170 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783932005565

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch