Die alte Leier heißt Biedermeier

Wiglaf Droste rückt mit „Wasabi dir nur getan?“ dem Alltag mit humorvoller Dichtung zu Leibe

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den größten poetischen Errungenschaften des unübertroffenen Robert Gernhardt zählen die „Bilden Sie mal einen Satz mit …“-Gedichte: Gernhardt hat zu diesem Subgenre der komischen Lyrik nicht nur Perlen wie „Lenin“ beigesteuert („Opa ist voll bis an den Rand, / Lenin einfach an die Wand.“), sondern als Vermächtnis auch eine ganze, gemeinsam mit Klaus Cäsar Zehrer herausgegebene Anthologie hinterlassen. Dass die Gattung nach wie vor lebendig ist, beweist auch Wiglaf Droste mit dem Titelstück seiner neuen Lyriksammlung. Unter dem Titel „Meer und Rettich“ dürfen sich da nicht nur Japanologen über Schmuckstücke wie die Frage an Gabi freuen: „Sake! Wasabi / dir denn nur getan?“ Es bleibt in Drostes Buch nicht bei dieser einen Verbeugung vor Gernhardt: Er hat für die in jambischem Paarreim geleisteten Bekenntnisse aus dem Kräutergarten („Agnostisch ist der Majoran: / liest weder Bibel noch Koran.“) ebenso Pate gestanden wie für eine kleine Hommage an die Briefe des Paulus – sandte dieser bei Gernhardt seine Grüße an nordamerikanische Ureinwohnerstämme, so lässt ihn Droste den Makrelen („Ihr sollt hier nicht rumkrakeelen!“) predigen.

Das Multitalent Droste aber nur als Epigonen der Neuen Frankfurter Schule verstehen zu wollen, greift zu kurz – mindestens ebenso groß ist der Einfluss von Peter Hacks auf sein Dichten zu beziffern. Auch in „Wasabi dir nur getan?“ versammelt Droste neben Kalauern und Humoresken auch zärtlich verspielte Liebesgedichte („Wie sich der Verstand vertschüsste / Als ich deine Brüste küsste …“) und wird nicht einmal wirklich derb, wenn sich sein lyrisches Ich in ein Zwiegespräch mit dem eigenen Penis („Mal will er dieses, mal wünscht er sich jenis.“) vertieft. Droste beherrscht die poetische Watsch’n (die mit Rilke-Anleihen versetzte Schmähung von Leggings tragenden Frauen im Herbst ist ein Höhepunkt des Buchs), doch seine Lyrik ist weitaus stärker darauf bedacht, Streicheleinheiten zu verteilen: Da wird in einem kleinen Fünf-Akt-Drama das empfindliche Trommelfell besungen, die wahre Freundschaft mit einem wärmenden Kachelofen verglichen, und selbst den beharrlich und lautstark seine Etüden klimpernden Klavierschüler im oberen Stockwerk trifft kein Zorn, sondern Anerkennung: „Es ist so leicht, Vollkommenheit zu lieben. / Wer wahrhaft lieben will, der liebt das Üben.“ Fast schon biedermeierlich muten solche Stellen an. Noch mehr Ähnlichkeit mit den Schnurren aus Hochwürdens lyrischer Hausapotheke haben die zahlreichen Gelegenheitsgedichte, die Aufnahme in den Band gefunden haben – etwa Verse, die zum Geburtstag des Verlegers Klaus Bittermann oder als Nachruf auf Joe Cocker entstanden sind. Amüsant zu lesen sind sie allemal, auch wenn Schmunzel-Haikus nicht mehr unbedingt den Gipfel der Originalität im Fach darstellen. Droste versteht sein Handwerk, da lässt man ihm sogar einen Liedtext für die dröge La-Le-Lu-Lolita Annett Louisan („Liebeslied der klugen Frau“) durchgehen.

Als Leitmotive kristallisieren sich auf knapp 130 Seiten (auch das ganz Biedermeier) des Dichters Gaumenfreuden heraus, gelegentlich klopft sogar das politische Zeitgeschehen an. Droste bleibt Herr der Lage, egal ob er ein Glutamat-Trauma im asiatischen Restaurant schildert und sich anschließend „zum Nudeltum konvertier[en]“ lässt, ob er Sprachkritik leistet oder seine Epigramme bundesrepublikanischem Hurra-Patriotismus („das Schland so strunzendumm“) und Drohnenkriegen widmet. Auch wenn manches davon kaum mehr als lyrisches Assoziationsspiel zur Zeitungslektüre ist – die Pointen sitzen und die Reime sind elegant getroffen. Auch Freunden schwermütigerer Reimlos-Lyrik mit Betroffenheitsgarantie, die in diesem Leben vielleicht nicht mehr zu Droste bekehrt werden, sei im Übrigen zu diesem Buch geraten, denn es besitzt durchaus tragische Tiefe – jedenfalls dann, wenn der Autor die katastrophale BVB-Saison 2014/15 bedichtet: „Was Politik nicht schafft und nicht die Frau, / Dortmund kann das, es färbt das Resthaar grau.“

Titelbild

Wiglaf Droste: Wasabi dir nur getan? Gedichte.
Verlag Antje Kunstmann, München 2015.
127 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783888977046

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