Schmökern, recherchieren, forschen

Über Pia Jankes zweibändige Dokumentation zu Werk und Rezeption Elfriede Jelineks

Von Barbara MariacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Mariacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der 2015 im Wiener Präsensverlag herausgegebenen zweibändigen Dokumentation von „Werk und Rezeption“ der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, liegt ein sowohl durch seinen Umfang als auch durch seine Genauigkeit beeindruckendes Ergebnis des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums vor. Diese Einrichtung wurde im Jahre 2004 an der Universität Wien von der Germanistin, Theaterwissenschaftlerin und Jelinek-Expertin Pia Janke gegründet. Seitdem tritt das Zentrum mit einer Vielzahl an Publikationen, Symposien, Diskussionen und anderen Veranstaltungen über die Autorin in die literarische und wissenschaftliche Öffentlichkeit.

Auf rund 1.200 Seiten wird in der nun vorliegenden Werkgeschichte das beeindruckende Œuvre Elfriede Jelineks im Zeitraum von 1967 bis 2015 auf das Genaueste und Übersichtlichste dokumentiert. Es ist ein stattliches Zeugnis vom unermüdlichen Schreiben der 1946 geborenen Schriftstellerin, die im Jahr 2004 für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.

Das umfangreiche Kompendium, an dem ein ganzer Stab an Wissenschaftlern mitgearbeitet hat, baut auf einem älteren Werkverzeichnis auf. Dieses wurde kurioserweise genau an dem Tag, an dem der Nobelpreis an Jelinek verkündigt wurde, der Öffentlichkeit präsentiert. Die aktualisierte Version dieses Werkverzeichnisses dokumentiert nicht nur alle Primärtexte Jelineks, sondern spiegelt auch das ungeheure mediale und wissenschaftliche Echo, das ihr Werk in Folge der hohen Auszeichnung erhielt. Zu nennen sind die Vielzahl an Übersetzungen, nationale und internationale Aufführungen, Symposien im In- und Ausland und vieles andere mehr.

Der erste Band schlüsselt zunächst die Primärtexte der Autorin auf. Dies war – wie die Herausgeberin anmerkt – kein leichtes Unterfangen, da es um Jelineks Werk „von seiner Überlieferungslage her schlecht bestellt ist“. Etliche Arbeiten der Autorin sind durch ihre intermediale Arbeitsweise, die über die gewöhnliche Textform hinausgeht, nur schwer verfügbar; sie sind „weltweit verstreut“ und/oder wurden „nur punktuell publiziert“ und sind in den „unterschiedlichsten, nur schwer greifbaren Publikationsmedien“ erschienen, während andere Publikationen wiederum nach kürzester Zeit von der Homepage der Autorin verschwunden sind.

Die einzelnen Titel werden meist durch ein Textzitat eingeleitet und durch Hinweise auf ihre Entstehungsgeschichte, Interpretation und den aktuellen zeithistorischen Hintergrund ergänzt. Dadurch ist die Werkgeschichte zugleich auch ein inspirierendes Lesebuch, das sich vortrefflich zum Schmökern eignet. Es beginnt mit den ersten lyrischen Publikationen der Autorin aus dem Jahr 1967, die unter dem Titel Lisas Schatten erschienen, und endet mitten in der Gegenwart, nämlich mit Jelineks jüngster Theaterproduktion aus dem Jahr 2014: Das schweigende Mädchen, ein postdramatischer Text, der unter der künstlerischen Leitung des niederländischen Regisseurs Johan Simons in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. In diesem Stück werden die Mordanschläge der rechtsextremen Terrororganisation NSU und das beredte Schweigen der Angeklagten Beate Zschäpe verhandelt.

Die Werkgeschichte macht nicht nur sichtbar, dass Jelinek in allen literarischen Gattungen hervorgetreten ist, sondern auch, wie sie diese Gattungen zu allen Zeiten überschritten hat. Dies ergibt sich aus einem sehr handlichem, in den Textrand eingearbeiteten Verweissystem. Daraus kann der Leser und Forscher entnehmen, in welchen anderen Text- und Darstellungsformen das jeweilige Thema der Publikation seine Vorläufer hat und wann und wo es eventuelle Nachbearbeitungen und Weiterentwicklungen erfahren hat. So gibt das Handbuch nicht nur Aufschluss über die Laufbahn der Schriftstellerin, sondern protokolliert zugleich auch „die Herausbildung neuer Publikationsformen, wie der des Internets, das die Autorin von Anfang an extensiv nutzte“, wie Pia Janke in der Einleitung zum Buch betont.

Daneben versteht sich die zweibändige Publikation auch als Darstellung der zeitgeschichtlichen Hintergründe und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge des Literaturbetriebs, in dem Jelineks Wirken verankert ist. Sie ist unerlässlich für das Verständnis besonders jener Texte der Autorin, in denen sie tagespolitische Anlässe zum Ausgangspunkt ihres Schreibens nimmt. So zum Beispiel in Zusammenhang mit der Wahl des umstrittenen Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten im Jahr 1986, die im Dramolett Präsident Abendwind ihr literarisches Echo findet, bis hin zum Irakkrieg in Babel oder der Thematisierung der aktuellen Flüchtlingskrise in den Schutzbefohlenen aus dem Jahr 2013.

Band zwei beginnt mit einem Verzeichnis der unterschiedlichsten Bearbeitungen der Texte Jelineks durch andere Künstler und in anderen Medien wie beispielsweise Graphic Novels, Hörspielbearbeitungen, Operninszenierungen und Installationen. Der überwiegende Teil des zweiten Bandes verzeichnet die inzwischen ins Unermessliche gediehene Sekundärliteratur, die sehr übersichtlich strukturiert auf rund 400 Seiten aufgelistet wird. Es ergibt sich so ein konturiertes Bild über den aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung, das für interessierte Wissenschaftler im In- und Ausland unverzichtbar ist.

Obwohl die Herausgeberin aufgrund der starken internationalen Resonanz des Werks und der oben bereits genannten Schwierigkeiten die Überlieferung betreffend keinen Anspruch auf Vollkommenheit erhebt, ist die Arbeit des Forschungsteams beeindruckend. Allein um den Bereich der Übersetzungen zu erfassen, war eine alle „Grenzen und Dimensionen sprengende Recherche“ sowie die Errichtung und Aktivierung eines internationalen, auf alle fünf Kontinente verteilten Netzwerks erforderlich.

Das stattliche Handbuch, das für die germanistische und kulturwissenschaftliche Forschung ein Muss ist, präsentiert sich im kostengünstigen Soft-Cover, ein kleiner Nachteil für den darin schmökernden, bibliophilen Benutzer, der jedoch vom Vorteil der Erschwinglichkeit aufgewogen wird.

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Pia Janke: Elfriede Jelinek. Werk und Rezeption.
2 Bde.
Praesens Verlag, Wien 2014.
1155 Seiten, 73,80 EUR.
ISBN-13: 9783706907910

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