Doch ein wenig Genugtuung?

Sonja Valentin liefert in ihrem Buch „Steine in Hitlers Fenster“ Grundlageninformationen zu „Thomas Manns Radiosendungen ‚Deutsche Hörer!‘ 1940–1945“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Als mein Bruder nach den Vereinigten Staaten übergesiedelt war, erklärte er schlicht und recht: ‚Wo ich bin, ist die deutsche Kultur.‘“ Mit diesem Satz leitet Heinrich Mann im Kapitel „Die Gefährten“ seiner Erinnerungen „Ein Zeitalter wird besichtigt“ die Passage über den Bruder, Thomas Mann, ein. Was das bedeutete? „Ohne Geburtstätte kein Weltbürgertum“. Nun aber, seitdem die Nationalsozialisten in Deutschland herrschten, galt es, festzustellen: „Er hatte Deutschland sittlich gesichert geglaubt. Daher ein Zorn, der nichts nachgibt.“

Die Aussage, die Thomas Mann am 21. Februar 1938 bei der Ankunft in New York den ihn dort erwartenden Journalisten diktierte, war prägnant: „Where I am, there is Germany. I carry my German culture in me.“ In diesem Sinne verstand sich Thomas Mann als Repräsentant des anderen Deutschland – gegen das von den Nazis beherrschte Deutschland, das dabei war, sich all seiner geistigen und sittlichen Grundlagen in erschreckend selbstverständlicher Konsequenz zu entledigen. Das gefiel den Amerikanern. Denn ihnen galt der berühmte Nobelpreisträger als Verbündeter gegen die Nazidiktatur in Deutschland. Der Vortrag, mit dem er nach seiner Ankunft auf Leserundreise durch Amerika ging, lautete denn auch: „The Coming Victory of Democracy“.

Das war eine deutliche Ansage. Ein Zorn, der in nichts nachgibt. Und die Deutschen? Ja, auch für sie war die Botschaft gedacht und Thomas Mann teilte sie ihnen mit in der Radioreihe „Deutsche Hörer!“. Insgesamt entstanden von 1940 bis 1945 58 Sendungen sowie eine weitere Ansprache an die „Amerikaner deutscher Herkunft“ aus dem Jahr 1942. Zunächst kamen die Texte als Telegramme nach London und wurden dort von einem deutschsprachigen Sprecher der BBC verlesen. Seit 1941 aber betrieb die BBC einigen Aufwand, um Thomas Mann höchstselbst über ihren deutschsprachigen Dienst hörbar zu machen. Der Schriftsteller sprach nun jede seiner fünf bis acht Minuten langen Texte, die er jeweils sorgfältig vorbereitet hatte, in einem kalifornischen Studio zunächst auf Platte. Selbige wurde nach New York expediert und von dort mittels Kurzwelle nach London übertragen, wo sie neuerlich aufgezeichnet und auf Tonplatte gebannt wurde, ehe sie gesendet wurde. Erstmals hörte man Thomas Manns Stimme am 18. März 1941: „Hier ist der Londoner Rundfunk. Wir bringen Ihnen jetzt aus Amerika eine Sonderbotschaft an das deutsche Volk von Thomas Mann, dem größten deutschen Schriftsteller des Jahrhunderts.“

Für Thomas Mann, darauf macht Sonja Valentin in ihrem Buch „Steine in Hitlers Fenster. Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940-1945“ aufmerksam, waren die Radioansprachen an die deutschen Hörer eine Möglichkeit der Annäherung an ‚sein‘ verlorenes deutsches Publikum. Diesen durch die Nazis erzwungenen Verlust hatte Thomas Mann in den ersten Exiljahren schmerzlich erlebt und lange meinte er noch, die Verbindung zu seinen Lesern in Deutschland wiederherstellen zu können, indem er sich einer klaren Positionierung für das Exil und gegen das ‚neue Deutschland‘ enthielt. Solche Zurückhaltung war nun längst überwunden. Aber gerade deshalb mochte ihm die Möglichkeit, mit eigener Stimme den Deutschen unmittelbar ins Gewissen zu reden, eine gewisse Genugtuung bereiten.

Dass dabei die Engländer die Ansprachen des „größten deutschen Schriftstellers des Jahrhunderts“, die in Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern empfangen werden konnten, als „festen Bestandteil“ ihrer Propagandapolitik verstanden, störte Mann nicht. Er stand auf der richtigen Seite und ansonsten, so informiert die Autorin, genoss er bei der BBC eine ausreichend privilegierte Stellung, will sagen: Ihm redete keiner rein!

Welche Wirkungen die Ansprachen Thomas Manns in Deutschland hatten, ist nur schwer zu beschreiben. Im Goebbelʼschen Propagandaministerium jedenfalls wurden die Ansprachen als eine Waffe der gegnerischen Propaganda sorgfältig zur Kenntnis genommen – auch wenn sie keine unmittelbare Gefahr für die Nazis darstellten. Eher, so beschrieb Thomas Mann selber die Wirkung seiner Ansprachen, waren sie Trost und Ermutigung für „manches gequälte Herz“ im „unterjochten Europa“.

Ganz anders wirkten sich die Ansprachen nach dem Krieg aus. Sonja Valentin widmet einen  Hauptteil ihres Buchs der „großen Kontroverse“ zwischen Vertretern der sogenannten „inneren Emigration“ und Thomas Mann. Hier mag man freilich von einer echten Kontroverse nicht wirklich reden wollen, denn sie besteht vor allem aus bösartigen Anfeindungen gegen den „Amerikaner“ Thomas Mann, der sich von Deutschland hasserfüllt abgewandt habe und dessen im „luxuriösen Exil“ verfassten Ansichten zur deutschen Sache man sich verbiete. Zur „Kontroverse“ adelte die kleinsüchtig-bösartige Streitsucht erst ein ehemaliger Presseoffizier der Wehrmacht: Franz Gottlieb Grosser gab unter dem Titel „Die große Kontroverse“ 1963 einen Sammelband mit Briefen und Texten derjenigen heraus, die zur Begründung ihrer Ansicht, Thomas Mann sei gar ein „Verräter“ an der Deutschen Sache, zuweilen auch auf die Radioansprachen verwiesen.

Sonja Valentin führt in ihrem Buch eine Menge Informationen zu den Radiosendungen „Deutsche Hörer!“ zusammen. Zumeist werden sie linear referiert, auf Vertiefungen und Interpretationen verzichtet sie weitgehend. Deshalb ergeben sich auch keine neuen Erkenntnisse zum Verständnis Thomas Manns und der spezifischen Bedeutung, die die Radioansprachen in seinem Werk beanspruchen können. Ob und wie die Ansprachen etwa als Ausdruck einer Politisierung Thomas Manns interpretiert werden können? Zu derartigen Fragen, die Autorin regt es selber an, seien weiterführende Studien nötig. Möglich – aber ein wenig zupackenden Mut zur Interpretation hätte man sich auch von der Autorin gewünscht, um Sichtweisen zu weiten.

Titelbild

Sonja Valentin: Steine in Hitlers Fenster. Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940-1945.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
336 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835316966

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