Informationsreich und packend, aber unsystematisch

Über Erhard Oesers Studie „Die Angst vor dem Fremden. Die Wurzeln der Xenophobie“

Von Martin LowskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Lowsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erhard Oesers Buch „Die Angst vor dem Fremden. Die Wurzeln der Xenophobie“ bietet – nach einer „Einleitung“ – in neun Kapiteln eine historisch-chronologische Übersicht über den Umgang der Menschen mit dem „Fremden“, angefangen mit den alten Ägyptern und Babyloniern bis hin zu unserer Epoche der Globalisierung. Es folgt noch eine Schlussbetrachtung über die „Universalität der Wissenschaft und der Menschenrechte“. Der größte Teil des Buches ist also historisch: Oeser berichtet von den Schrecklichkeiten, die Menschen den Menschen im Laufe der Geschichte angetan haben. Wir haben hier ein ‚Lesebuch‘ – wenn das harmlose Wort erlaubt ist – über die Brutalitäten, die zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen, verschiedener Nationen, verschiedener Weltanschauungen stattgefunden haben.

Schnell wird deutlich, dass Oeser ein enormes historisches Wissen besitzt: Er beschreibt die „Blutspur des Weißen Mannes in der Neuen Welt“, die Grausamkeiten der Weltentdecker und der von ihnen Entdeckten in der Südsee, den „‚Waren- und Seelenhandel‘ der Portugiesen“ in Fernost, die Martern der afrikanischen Sklaven unter ihren arabischen oder westlichen Herren, den Kolonialismus und Imperialismus samt „Deutschlands Kampf in Ostafrika“ und den „Nationalismus und Rassismus“ ab 1870 bis 1945, ein Phänomen, zu dem die „Monstrosität der industriell organisierten Vernichtung der europäischen Juden“ gehört. Auch der Genozid an den Armeniern 1915, begangen vom türkischen Staat unter Mithilfe deutscher Offiziere, wird dargestellt, ebenso das Massaker unter muslimischen Demonstranten in Paris 1961, das Maurice Papon, um 1942 ein Organisator von Deportationen in die Vernichtungslager, veranlasst hat.

Oesers grundsätzliche Meinung ist, dass das Konzept von „Nation und Nationalismus“ „janusköpfig“ ist und bleibe, „sind doch im Namen der Nation und des Nationalismus in Verbindung mit dem Rassismus die wohl scheußlichsten Massenverbrechen in der Menschheitsgeschichte begangen worden“. Ja sogar: „Die so gepriesene Zivilisation ist auf einer Selbsttäuschung aufgebaut. Diese Selbsttäuschung besteht in der Verleugnung eines Phänomens […]. Es ist die sogenannte Xenophobie in ihrer aggressiven Form der Fremdenfeindlichkeit“. Oesers Gang durch die Geschichte, in der immer wieder die Leidenden im Mittelpunkt stehen, ist in bitterer Weise höchst aufklärerisch.

In „Die Angst vor dem Fremden“ führt der Autor auch die Theorien oder vielmehr Pseudo-Theorien auf, mithilfe derer die Gräuel gerechtfertigt wurden und zu ihnen angestachelt wurde. Oeser gewährt damit einen Einblick in die Gedankenwelt der daran Beteiligten: Aus einer Gesinnung der Eroberung heraus hielt man die Indianer „jeden zivilisatorischen Fortschritts für unfähig“; der „Prophet des Nationalsozialismus“ Arthur de Gobineau sah in der Rassenmischung „den Sturz der Gesellschaften“; nach Meinung der Weißen ähnelte die Bevölkerung Afrikas den „Affen“. Oeser untersucht die Einstellung christlicher Gelehrter im Mittelalter gegenüber dem Islam, den sie gern als „Wüstenreligion“ abqualifiziert hätten, aber angesichts der hochstehenden Kultur und Wissenschaft im Islam – Avicenna und andere muslimische Denker hatten das Erbe der griechischen Philosophie angenommen und weitergereicht – hatten sie ein „Minderwertigkeitsgefühl“, das sie dazu trieb, die Person Mohammeds anzugreifen. Oeser spricht in diesem Zusammenhang von der „Islamophobie“ des Westens und mahnt eindringlich: Wenn man überhaupt von einer Leitkultur des Abendlandes sprechen wolle, so wäre diese Leitkultur nicht nur eine ‚christliche‘ oder ‚griechisch-römische‘, sondern eine, die auch die Kultur des Islam in sich trage.

Apropos Islam: Oeser behandelt auch den Terror, der heute von islamistischen Kreisen ausgeht. Er betont, dass dieser Terror seinen Ursprung im antikolonialistischen Kampf gegen die christliche Welt habe, sich aber heute auch „gegen den gesamten Veränderungsprozess, der während der letzten hundert und mehr Jahre einen großen Teil der muslimischen Welt betroffen hat“, richte. In ideologiekritischer Hinsicht stellt Oeser zwei wichtige Punkte heraus: Einerseits den Umstand, dass die in arabischen Ländern formulierten Erklärungen der Menschenrechte (etwa die von Kairo 1990 oder von Tunis 2004) nicht offen genug sind, sondern „durch ein religiöses Verständnis […] überlagert“ werden, andererseits die Tatsache, dass der Westen die fruchtbaren islamischen Einflüsse übersieht.

Obwohl Oesers Buch reichhaltige historische Kenntnisse offenbart, spielen auch philosophische Überlegungen immer wieder eine Rolle – in der Einleitung spricht er von einer „philosophisch-wissenschaftsgeschichtlich orientierte[n] Untersuchung“. Welche „Wurzeln der Xenophobie“ sieht nun der Autor? Er beruft sich bei seiner Argumentation auf zwei akademische Disziplinen: die naturwissenschaftlich orientierte „Anthropologie“ und die „kulturwissenschaftliche Völkerkunde“. In der erstgenannten habe man festgestellt, dass die Angst vor dem Fremden und die Xenophobie mit ihrer Aggressivität „zu den ältesten Gefühlsregungen der Menschheit“ gehören; in diesem Sinne komme der Xenophobie zunächst eine Schutzfunktion zu. In der anderen Disziplin habe man erkannt, dass die Umweltbedingungen das aggressive fremdenfeindliche Verhalten verstärken oder es im Gegenteil in den Hintergrund treten lassen; die Xenophobie stelle daher keinen Determinismus dar. An dieser Stelle bringt Oeser die „Einheit des Menschengeschlechtes“ und die „Menschenrechte“ ins Spiel: Den Menschenrechten komme eine „Universalität“ zu. Sie beträfen keine „dünne minimalistische Moral“ (Huntington), vielmehr sei ihre Anerkennung eine „normative Forderung oder Aufgabe“.

Man hat Mühe, Oeser hier zu folgen, da seine Ausführungen in diesem Punkt keine Systematik aufweisen. Sie begründen nicht, dass die aggressive Xenophobie gerade in der Zivilisation, wie der Autor an anderer Stelle sagt, bedeutend ist, und sie passen nicht recht zu seiner apodiktischen Aussage, die Xenophobie sei „unausrottbar“. Und was meint Oeser mit der Universalität der Menschenrechte? Einmal spricht er davon, dass die Menschenrechte „unverzichtbare fundamentale Gesetzmäßigkeiten“ seien. Doch seit wann sind Rechte Gesetzmäßigkeiten? Als unsystematisch könnte man auch bezeichnen, dass Oeser zuweilen in ein satirisches Erzählen verfällt, das albern wirkt: Von den Männern des Eroberers Orellana am Amazonas „krochen die einen auf allen Vieren, die anderen auf Stöcke gestützt in den Bergen herum, um irgendwelche Wurzeln zum Essen zu finden“.

Nicht nur unsystematisch, sondern schlicht ärgerlich sind die sprachlichen Schwächen und Fehler des Buches. Das Wort „libysch“ wird mal so, mal „lybisch“ geschrieben, von der türkischen Regierung heißt es, sie „bestreitete“ eine Aussage, und die „traditionellen Religionen“ werden „unvereinbare Zwangsjacken“ genannt. Dazu kommt, dass Zitatfragmente zum Teil grammatisch inkorrekt in die Argumentation eingefügt sind. Einmal ist ein Satz über Richard Wagner und Houston Stewart Chamberlain so verkorkst, dass Wagner als Hitlers persönlicher Bekannter erscheint. Offenbar hat der Konrad Theiss Verlag, der immerhin zur Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gehört, einen kompetenten Lektor eingespart. So ist auch die Bibliografie unvollständig: Michel de Montaigne und Karl May, die Oeser mehrfach zitiert, werden dort gar nicht erfasst. Mildernd ist das ausführliche Personen- und Sachregister mit über 1200 Einträgen anzuführen, das dem 500-Seiten-Buch gut tut.

Titelbild

Erhard Oeser: Die Angst vor dem Fremden. Die Wurzeln der Xenophobie.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2015.
504 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783806231519

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