Eine etwas dünne Rezeptur

Lars Gustafsson erzählt in „Doktor Wassers Rezept“ eine Variante des Doppelgänger-Motivs und macht es sich dabei zu leicht

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Doppelgänger ist ein Lieblingsmotiv der „romantischen“ Literatur – bis heute. Erst jüngst hat der Schweizer Autor Daniel Goetsch in Ein Niemand eine zeitgemäße Interpretation dafür gefunden. Ein paar Monate zuvorgekommen ist ihm Lars Gustafsson mit dem Roman Doktor Wassers Rezept, der 2015 auf Schwedisch erschienen ist. Ein Mensch schlüpft in die Rolle eines anderen und lässt das eigene Leben wie eine Larve hinter sich liegen. Was im Falle von Goetsch zu einem Identitätskonflikt führt, gelingt Gustafssons Helden und Hochstapler Kent Andersson aus dem mittelschwedischen Flecken Karlbenning beinahe reibungslos. „Ich bin ein Gewinner“, ruft er rückblickend im Alter von achtzig Jahren aus.

In einer gefährlichen Kurve unweit seines Zuhauses war der jugendliche Kent in den 1950er-Jahren zufällig auf den halb verwesten Leichnam eines Motorradfahrers gestoßen, in dessen Tasche er noch einige Ausweise und Bescheinigungen fand. Der Tote war demnach Kurth Wasser, Medizinstudent aus Weimar/DDR. Der Junge nahm jene an sich, noch ohne Arg und Täuschungsabsicht. Erst später, als er dem tristen Job als Fensterputzer entkommen wollte, erinnerte er sich wieder an den Fund, um mit dem medizinischen Abschlusszeugnis der Universität Weimar die Aufnahme in einem Studentenheim zu erwirken. Bald folgte die ärztliche Stellvertretung in einer Mütterpflegezentrale, welcher sich eine steile Karriere als Schlafforscher anschloss. Frauen, die auf den unerklärlichen „Womanizer“ untrügliche Faszination ausübten, unterstützen ihn auf seinem Weg – vorab die 17 Jahre ältere resolute Caroline Sundborn, die seine Mäzenin und Geliebte wurde. Ob sie ihn durchschaut hat? Es wäre gut möglich, denn Doppelgänger und Hochstapler können auch für Außenstehende von eigennützigem Interesse sein.

Die Geschichte des Gewinners und Flunkerers Andersson alias Wasser wird in kurzen Kapiteln aus der Rückblende des alten Doktors erzählt, der die Schlafforschung in Schweden mit Elan vorangebracht hat. Er war auf dieses Fach gestoßen, als er für den neu auferstandenen Doktor Kurth Wasser eine medizinische Betätigung suchte, die für ihn selbst wie für seine Patienten einigermaßen ungefährlich sein würde.

Gustafssons Werk der letzten Jahre zeichnet sich durch seine Leichtigkeit aus, besonders schön in Frau Sorgedahls schöne weiße Arme (2009). Passagen eines stoischen Witzes und einer funkelnden Doppelbödigkeit finden sich auch im neuen kurzen Roman, speziell in den Erinnerungen an die Jugendzeit. Doch leider verknüpfen sie sich hier nicht zu einem geistreichen Ganzen, sondern bleiben aufs Episodische beschränkt. Die gerafft angedeutete Karriere klingt zweifelhaft. Wie nur mochte es dem Hochstapler gelingen, seine Umwelt derart zu narren, dass sein Aufstieg bis in die höchsten Sphären der medizinischen Forschung gelang? Lockere Einsprengsel wie die Hinweise auf Frazers mystischen Der goldene Bogen bleiben ohne nähere Beziehung zur Hochstapler-Geschichte. So tun sich Lücken auf, die eher der Leichtfertigkeit des Verfassers als seiner philosophischen Leichtigkeit und Verspieltheit geschuldet sind. Der Titel bezieht sich auf eine Verhandlungstaktik gegenüber einem anderen Hochstapler, den der gewiefte Hochstapler Wasser entlarvt. Die Episode wird indes wie andere mehr in seinem Lebenslauf nur angetippt.

Lügen haben kurze Beine, doch auch damit lässt sich gut durchs Leben kommen, bezeugt Andersson, der als „ehemaliger Generaldirektor Kurth Wasser“ mit 84 Jahren in allen Ehren stirbt – ein zweites Mal gewissermaßen. Aller Phantasterei zum Trotz bleibt Gustafssons Roman jedoch enttäuschend uninspiriert und farblos. Kurth Wassers Identitätswechsel erinnert eher an künstlichen Budenzauber als an eine verblüffende Schelmengeschichte.

Titelbild

Lars Gustafsson: Doktor Wassers Rezept. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783446250512

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch